Kantone verschärfen den Corona-Kurs – jedoch in unterschiedlichem Ausmass

Der föderale Flickenteppich: Ja, er existiert in der Bekämpfung des Coronavirus. Und er wird fast von Tag zu Tag bunter. Denn viele Kantone verschärfen ihre Massnahmen und gehen über die Vorgaben des Bundes hinaus. Sie tragen seit Ende Juni wieder die Hauptverantwortung in der Bekämpfung der Pandemie und nehmen ihre Kompetenzen wahr. Je nach epidemiologischer Situation in unterschiedlichem Ausmass.

Gestern verkündete der bevölkerungsstärkste Kanton neue Massnahmen, was eine Signalwirkung haben dürfte. In Zürich gilt ab Donnerstag eine Maskenpflicht in Läden und Einkaufszentren, eine Registrierungspflicht in Restaurants, eine Obergrenze von 100 Personen in den Innenräumen von Clubs und Restaurants. Und ist das Einhalten von Hygieneregeln wie Maskentragen und 1,5-Meter-Abstand nicht möglich, dann sind Veranstaltungen ab hundert Personen grad ganz verboten.

In Basel-Stadt gilt bereits seit gestern eine erweiterte Maskenpflicht. Und Obergrenzen für Gastrobetriebe und Veranstaltungen sind etwa in der Nordwestschweiz verbreitet.

Am drastischsten greift Genf durch. Der Kanton ist mit den höchsten Fallzahlen konfrontiert. Er hat letzte Woche die Schliessung von Diskotheken und Clubs bis am 10. September verlängert. Am wenigsten rigide sind die Zentral- und Ostschweizerkantone.

Eigenverantwortung lässt nach, jetzt greift die Regierung durch

Die Zürcher Regierungspräsidentin Silvia Steiner (CVP) begründete die Verschärfungen mit dem starken Anstieg der Fallzahlen im Kanton. Gestern vermeldete er zwar nur 31 neue Infektionen, doch die Zahlen sind zu Beginn der Woche immer tiefer, weil übers Wochenende weniger getestet wird. Allein am letzten Freitag kamen im Kanton Zürich 83 neue Fälle hinzu. Damit kommt das Contact-Tracing, also die Rückverfolgung der Kontakte von erkrankten Personen, um die Ansteckungsketten zu unterbrechen, ans Limit.

Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) sagte, das Contact-Tracing könne bei bis zu 100 Fällen pro Tag gewährleistet werden: «Es ist eine gute Begleitmassnahme, aber es genügt nicht zur Eindämmung des Virus.» Rickli stellte fest, dass die Eigenverantwortung der Menschen abnehme: «Deshalb muss die Politik Massnahmen ergreifen.» Die Gesellschaft trage eine Verantwortung gegenüber den Heimen und den Institutionen des Gesundheitswesens.

Regierungspräsidentin Steiner betonte, die Regierung habe die Situation im Griff, man handle präventiv. Die Zürcher Regierung will verhindern, dass der Kanton zum Risikogebiet erklärt wird. Die Fallzahlen sollen stabilisiert werden, damit auch in Zürich ab Oktober wieder Grossveranstaltungen mit mehr als tausend Leuten durchgeführt werden können.

Der Kanton kommt einer Forderung der Stadt nach

Die Zürcher Regierung hatte die verschärften Massnahmen an einer ausserordentlichen Sitzung verabschiedet. Sie kommt dabei auch einer Forderung der grössten Stadt des Landes nach. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) hatte in der «NZZ am Sonntag» eine Maskenpflicht für öffentliche Gebäude und Geschäfte gefordert. Sie bezeichnete die Lage in der Stadt als «besorgniserregend». Ausgerechnet ihre Parteikollegin Jacqueline Fehr schoss in einem Blogeintrag und auf Twitter quer. Die Zürcher Justizdirektorin monierte zwar die Sorglosigkeit in der Bevölkerung, sie hinterfragte aber auch weitere Eingriffe in die Grundrechte.

Die Regierung beurteilte die Lage anders und folgte den Anträgen von Gesundheitsdirektorin Rickli, die seit längerem ein schärferes Coronaregime fordert. Die Regierung stützte sich dabei auf die Vorschläge des kantonalen Krisenstabes. Dieser orientiert sich an Werten und Zielgrössen, um zu entscheiden, ob neue Massnahmen ergriffen werden müssen. Der Krisenstab stützt sich dabei auf Kriterien wie die Fallzahlen und deren Entwicklung, die Hospitalisierungen und die Auslastung des Contact-Tracing.

Die Basler Epidemiologin Emma Hodcroft hatte in der «Schweiz am Wochenende» gefordert, der Bund müsse Grenzwerte festlegen, damit die Menschen wissen, wann welche Massnahmen eingeführt würden. Damit schärfe man das Bewusstsein der Bevölkerung: «Die Zahl muss kommuniziert werden, denn es hilft, sie im Kopf zu haben», sagte Hodcroft. Diesen Weg von mehr Transparenz beschreitet nun der Kanton Bern, allerdings nur bei der Erweiterung der Maskenpflicht. Ab 35 Neuinfektionen pro Tag soll sie in Berner Geschäften gelten. Der Kanton wolle in diesen unsicheren Zeiten einen Orientierungsrahmen schaffen, heisst es in der Berner Gesundheitsdirektion.