
Katholiken und Muslime gleichstellen
Martin Grichting, romhöriger Generalvikar des Bistums Chur, möchte, dass die Römisch-katholische Kirche in der Schweiz nicht mehr «Staatskirche» ist. Katholiken und Muslime sollen gleichgestellt sein – da reibt man sich die Augen. Doch so einfach ist die Sache nicht, was bereits beim Begriff der «Staatskirche» beginnt.
Eine Staatskirche im rechtlichen Sinn kennt England. An der Spitze der Church of England steht Queen Elisabeth II. in ihrer Funktion als Supreme Governor of the Church of England. Umgekehrt nimmt auch die Kirche Einfluss auf den Staat: Die beiden Erzbischöfe sowie 24 weitere Bischöfe sind Mitglied im House of Lords.
In dieser Form gibt es in der Schweiz keine Staatskirche. Auf Bundesebene ist die Glaubensfreiheit festgeschrieben, aber nichts zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat – hier entscheiden die Kantone. So weist die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich (die Zwingli-Kirche) eine Tendenz in Richtung Staatskirche auf. Generell aber haben wir es mit 24 unterschiedlichen Systemen und Namen zu tun. 24 deshalb, weil die Kantone Genf (trotz oder wegen Calvin) und Neuenburg eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat kennen.
Im Aargau sprechen wir von Landeskirchen. Neben der Römisch-katholischen und der Evangelisch-reformierten trägt dieses Label auch die Christkatholische Kirche, was nicht in allen der 24 Kantone so ist. Was sind die Vorteile, Landeskirche zu sein? Ein wichtiger ist ein monetärer. Der Staat Aargau treibt diesen drei Religionsgemeinschaften die Steuern ein – basierend auf der «weltlichen» Steuerveranlagung. Weshalb tut das der Staat? Die Historie ausgeblendet: aus pragmatischen Gründen. Er will, dass die Kirchgemeinden zu ihrem Geld kommen. Sie sind die Eigentümerinnen wichtiger historischer Bauten – der Kirchen –, deren Unterhalt grosse Summen kostet.
Fehlt den Kirchgemeinden ohne Steuern das Geld und will man das Wahrzeichen der Stadt oder Gemeinde nicht verlottern lassen, wäre die allgemeine Steuerkasse – also auch Freikirchenmitglieder, Muslime, Juden und Atheisten – in der Kostenpflicht. Übrigens: In vielen Kantonen der Schweiz – der Aargau gehört zu den Ausnahmen – sind juristische Personen kirchensteuerpflichtig. Ein Teil ihrer Steuern wird den anerkannten Kirchen abgeliefert.
Zurück zu Martin Grichting und dessen Ziele. Für eine Kirche – insbesondere eine strikt hierarchisch organisierte Weltkirche wie die Römisch-katholische – hat es auch Nachteile, Landeskirche zu sein. Der Staat anerkennt in seinem Innern nur Organisationen an, die demokratische Strukturen haben– in denen Entscheide von der Basis, vom Kirchenvolk gefällt werden. Die Kirchgemeinde wählt den Priester, nicht der Bischof. Steuergelder fliessen auch nicht (direkt) an diesen, sondern an die Gemeinden und die Landeskirche.
Darin liegt das Problem Grichtings stellvertretend für den Vatikan. Für viele konservativ gesinnte Katholiken sei das Schweizer System nicht mit den Maximen der Katholischen Kirche vereinbar. Es sei eine «Quelle zahlreicher Querelen zwischen Bischöfen, Priestern und Gläubigen», schreibt Grichting. «Trägt der Staat durch seinen Interventionismus Konflikte in die Religionsgemeinschaften hinein, verletzt er die Religionsfreiheit und entfremdet sich gläubigen Menschen.»
Gleich lange Spiesse für alle Religionen, das heisst aus Sicht der Churer Bistumsleitung: «Kein staatliches Gütesiegel für niemanden mehr.» Das heisst konsequenterweise: Katholiken und Muslime sind gleichzustellen und beide Gemeinschaften sind vom Staat nicht anerkannt. Was meinen römisch-katholische Kirchgenossinnen und -genossen dazu?