
Kehrtwende an der Urne in Roggwil: Zonenplanänderung und Wiedererwägungsantrag bewilligt
Roggwils Gemeindepräsidentin Marianne Burkhard (SP) ist nicht bekannt für ihre überschwängliche Art. Entsprechend ruhig und nüchtern verkündete sie an einer Pressekonferenz das Resultat der Urnenabstimmung über die Zonenplan- und Baureglementsänderung Brunnmatt. Sie sprach dann aber doch von einem denkwürdigen Sonntag, der in die Geschichte Roggwils eingehen werde.
Die Stimmberechtigten haben dem Wiedererwägungsantrag zur Abstimmung an der Gemeindeversammlung vom 30. August 2020 zugestimmt und die Zonenplanänderung Brunnmatt an der Urne genehmigt. Damit wurde dem Detailhändler Lidl der Weg geebnet für das geplante Verteilzentrum auf dem ehemaligen Gugelmann-Areal.
Die Stimmbeteiligung war mit 71,4 Prozent bemerkenswert hoch. Der Wiedererwägungsantrag wurde mit 1062 Ja- zu 828 Nein-Stimmen und die Zonenplanänderung mit 1028 Ja- gegenüber 834 Nein-Stimmen bewilligt. Das Ergebnis ist eine Kehrtwende: Noch an der geschichtsträchtigen Gemeindeversammlung im August hatten die anwesenden Stimmberechtigten die Vorlage äusserst knapp abgelehnt. Das Resultat wurde anschliessend vom Regierungsstatthalteramt allerdings als ungültig erklärt, weil die damals geltenden Corona-Massnahmen nicht eingehalten wurden.
Gemeindepräsidentin Marianne Burkhard sprach von einem deutlichen Ergebnis an der Urne. «Verglichen mit dem Resultat an der Gemeindeversammlung im August ist es dieses Mal klar.» Damals machten nur wenige Stimmen den Unterschied, nun betrug die Differenz zwischen Ja und Nein fast 200 Stimmen. Sie sei überzeugt, dass die Vorlage das Dorf nicht gespalten habe. «Die 834 Nein-Stimmen dürfen wir aber nicht einfach so zur Seite legen», sagte sie.
Gegner sollen in Planung miteinbezogen werden
Die Projektgegner sollen bei der Planung weiterhin miteinbezogen werden. Positiv wertete die Gemeindepräsidentin die hohe Stimmbeteiligung. Einerseits hätten sicher auch die teils umstrittenen nationalen Abstimmungsvorlagen dazu beigetragen, andererseits zeige es das grosse Interesse der Roggwiler Bevölkerung am Lidl-Projekt.
Auch Fredy Lindegger von der Interessengruppe (IG) «Roggwil liegt üs am Härz», welche die Vorlage bekämpft hatte, äusserte sich erfreut über die hohe Stimmbeteiligung. Es sei gelungen, einen Diskurs über das Vorhaben zu führen. Anders als die Gemeindepräsidentin bewertete Lindegger das Resultat jedoch als knapp. Er betrachte das als Auftrag, weiterhin genau hinzuschauen. Sie seien enttäuscht und hätten sich ein anderes Resultat gewünscht, sagte Lindegger im Namen der Gegner der Vorlage. Immerhin habe der Widerstand zu Verbesserungen im Projekt geführt, «das ist im Moment aber ein schwacher Trost für unseren grossen Einsatz». Nach der Gemeindeversammlung habe man sich bereits am Ziel gewähnt, nun gelte es, den Entscheid zu akzeptieren.
Hans-Rudolf Ammann von der IG Entwicklung Gemeinde Roggwil sagte, es sei ein schöner Tag für die Befürworter. Sie seien froh, dass auf dem Areal in der Brunnmatt endlich ein Projekt umgesetzt werden könne. Allerdings betonte Marianne Burkhard, bis dahin sei es noch ein langer und steiniger Weg. «Aber ein erstes Etappenziel ist erreicht.» Bei den Vertretern von Lidl Schweiz war die Freude am Pressetermin verständlicherweise gross. Es sei weiterhin das Ziel, mit allen Interessierten einen offenen Dialog zu führen, sagte Mediensprecher Mathias Kaufmann. Letztlich wolle Lidl in Roggwil einen Mehrwert für alle schaffen. Sie seien weiterhin offen für Inputs und wollten auch in Zukunft mit den Leuten vor Ort reden, so Kaufmann. In welcher Form das passieren werde, sei noch offen. «Jetzt wollen wir erst einmal die Details des Projekts besprechen.»
Sobald das Abstimmungsergebnis rechtskräftig ist, wird die Zonenplan- und Baureglementsänderung Brunnmatt dem kantonalen Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) zur Bewilligung eingereicht. Das AGR wird dabei auch über die offenen Einsprachen entscheiden. 27 Einsprachen und zwei Rechtsverwahrungen konnten im bisherigen Verfahren noch nicht bereinigt werden.
Der Baustart ist für das Jahr 2023 geplant
Der nächste Schritt ist dann eine Überbauungsordnung mit einem koordinierten Baugesuch und einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Dazu gehören eine Vorprüfung durch den Kanton, eine Bereinigung, die öffentliche Auflage mit Einspracheverhandlungen und die anschliessende Beschlussfassung durch den Gemeinderat sowie ein Gesamtentscheid durch das AGR. Mathias Kaufmann rechnet damit, dass Lidl die Überbauungsordnung und das Baugesuch im Frühjahr 2022 einreichen wird. Die Sanierung der im Boden befindlichen Altlasten in der Brunnmatt wird zulasten von Lidl vorgenommen. Der Rückbau und der Baustart sind auf 2023, die Inbetriebnahme des Warenverteilzentrums auf 2025 geplant. Der betriebliche Vollausbau dürfte einige Jahre in Anspruch nehmen und frühestens 2034 erreicht werden.
Lidl Schweiz kann nun also die Projektierung des Bauvorhabens weiter vorantreiben. Der Gemeinderat sei gefordert, zusammen mit der neuen Grundeigentümerin des ehemaligen Gugelmann-Areals eine Überbauungsordnung auszuarbeiten, welche die Details der Arealnutzung und das Fahrtencontrolling regle, sagte Marianne Burkhard. Das Verkehrsmonitoring werde im Rahmen der Überbauungsordnung Brunnmatt konkretisiert und festgelegt. Der Gemeinderat hat dem Regionalplanungsverband Zofingenregio, der Region Oberaargau und der VCS- Regionalgruppe Oberaargau-Emmental das Angebot unterbreitet, mit je einer Vertretung am Aufbau und beim anschliessenden Betrieb des Monitorings mitzuarbeiten. Der Gemeinderat stellt sich dabei vor, dass die beiden Planungsverbände die Interessen der betroffenen Gemeinden vertreten. Denn das Lidl-Projekt sorgt auch in den umliegenden Dörfern für Diskussionen.