Kein Platz für Romantik beim FC Aarau

Schöner hätte der Tag für Marco Thaler nicht verlaufen können: Am vergangenen Sonntag stand der 24-jährige Innenverteidiger erstmals seit dem im März 2018 erlittenen Kreuzbandriss wieder in der Startformation des FC Aarau. 3777 Zuschauer waren bei Prachtwetter ins Brügglifeld gekommen – Saisonrekord. 1:0 gegen Chiasso gewonnen, kein Gegentor erhalten. Und das i-Tüpfelchen für Thaler: Am Tag, an dem er die Leidenszeit hinter sich liess, absolvierte er sein 100. Pflichtspiel für den FC Aarau (seit Juli 2014).

Nach dem gelungenen Comeback scheint alles angerichtet, damit das Eigengewächs endlich in die Rolle schlüpfen kann, die ihm im Sommer mit der Vertragsverlängerung um gleich drei Jahre anvertraut wurde: Vizecaptain, Mannschaftsratsmitglied, Integrationsfigur, Sprachrohr in und aus der Kabine, Abwehrchef, Stammspieler.

So denkt der Romantiker. Doch Romantik hat beim FC Aarau momentan keinen Platz. Man denkt kurzfristig: Punkte müssen her, um den Anschluss an die Aufstiegsplätze zu schaffen. Argumente wie Herkunft, Alter und Stellenwert eines Spielers haben keinen Platz, wenn es darum geht, die Startelf zu besetzen. Es gilt das Leistungsprinzip – und nur das.

Reservisten halten Füsse still

Das von Sportchef Sandro Burki gebaute Luxuskader lässt einerseits den Verein und die Fans vom Aufstieg träumen. Andererseits bringt es mit sich, dass jedes Wochenende prominente Spieler auf der Bank sitzen oder als Überzählige auf der Tribüne landen. Aktuell sind dies Goran Karanovic, Gianluca Frontino, Steven Deana und Patrick Rossini – alles Alphatiere mit Anspruch auf viel Einsatzzeit. In den Trainings reiben sie sich auf, in den Spielen müssen sie seit Wochen zuschauen – logisch, sind sie unzufrieden. Doch sie halten die Füsse still, weil die Resultate dem Trainer Recht geben und weil keiner der Stinkstiefel sein will, der durch sein Aufmucken den Erfolgslauf gefährdet. Würden sie jedoch merken, dass Patrick Rahmen nach Sentimentalitäten aufstellt, wäre der Aufstand der Reservisten vorprogrammiert.

Was das im Fall von Marco Thaler heisst: Die Wahrscheinlichkeit, dass er morgen Sonntag in Vaduz erneut in der Startformation steht, ist kleiner als die Rückkehr auf die Ersatzbank. Das hat nichts mit seiner Leistung gegen Chiasso zu tun, die war gemessen am Umstand der langen Verletzungspause gut. Der Grund heisst Giuseppe Leo: Der Deutsche war fester Bestandteil der Mannschaft, die auf das 2:0 gegen Wil am 26. Oktober 2018 sieben weitere Siege und ein Unentschieden gegen Lausanne folgen liess. Das Zusammenspiel zwischen Leo und dem anderen Innenverteidiger Nicolas Bürgy war ein entscheidender Baustein für den Aufwärtstrend. Dann zwang in der Woche vor dem Chiasso-Spiel eine leichte Lungenentzündung Leo ins Bett, weshalb Thaler am vergangenen Sonntag zum Startelf-Comeback kam.

Doch Patrick Rahmen kann nicht einfach vergessen, was Leo vor seinem krankheitsbedingen Ausfall geleistet hat. Was wäre das für ein Zeichen an jene, die sich seit Wochen in den Trainings aufreiben und nicht zum Zug kommen, wenn Thaler nach einem einzigen guten Spiel gleich wieder Stammkraft wäre. Kommt dazu: Kämpfer Leo passt bestens zum Strategen Bürgy.

Einen Bonus erarbeitet

Giuseppe Leo hat sich einen Bonus erarbeitet. Was nicht heisst, dass er per se für die Partie in Vaduz gesetzt ist. Das ist nur Abwehrchef Bürgy. Für den freien Platz neben dem YB-Leihspieler gibt es seit Thalers Rückkehr einen Anwärter mehr. Auch der Vierte im Bunde der Innenverteidiger, Nicolas Schindelholz, ist wieder fit und meldet Ansprüche an. Anfang Woche sagte Rahmen: «Ich habe mich noch nicht entschieden, wer in Vaduz neben Bürgy spielt. Auch Schindelholz, der sich in der Vorbereitung gut präsentierte und seither Pech mit Verletzungen hatte, ist eine ernsthafte Option.» Leo wäre die logische Variante, Thaler die romantische und Schindelholz die überraschende. Wie entscheidet sich Patrick Rahmen?

 

Verkehrte Welt vor der zweiten Reise ins «Ländle»

Wenn der FC Aarau am Sonntag im Rheinpark-Stadion in Vaduz antritt, dann tut er dies mit elf Punkten Vorsprung auf die Liechtensteiner. Beim ersten Auswärtsspiel in Vaduz am 30. September des vergangenen Jahres war die Welt noch eine andere: Damals verlor Aarau im «Ländle» mit 1:2 und lag danach sieben Punkte hinter Vaduz. FCA-Trainer Patrick Rahmen regte sich damals fürchterlich über die Niederlage auf, weil sie alles andere als zwingend war: Aarau war spielerisch überlegen, hatte mehr Torchancen – aber bei einigen Spielern war eine Woche nach dem 3:1 gegen Schaffhausen, dem ersten Saisonsieg, bereits wieder der Schlendrian eingezogen. Man darf davon ausgehen, dass dies morgen nicht noch einmal passieren wird. Mit Stefan Maierhofer, Elsad Zverotic, Raoul Giger und Giuseppe Leo gehen vier Spieler gelbgefährdet in die Partie. Wird einer von ihnen in Vaduz verwarnt, ist er im Heimspiel gegen Servette gesperrt.