Kevin Spadanuda ist der Aufsteiger beim FC Aarau

Fussballern wird oft vorgeworfen, sie identifizieren sich nicht mit ihrem Arbeitgeber. «Söldner» heisst es schnell einmal, wenn ein Spieler nach einer Niederlage in der Luxuskarosse nach Hause düst, statt mit Fans den Frust in der Stadionkneipe zu ertränken. Letzteres wird auch Kevin Spadanuda nie tun: «Alkohol ist tabu!», sagt er. Aber mangelnde Identifikation wird man ihm nie vorwerfen können.

Wir sitzen im Garten des Restaurants Schützenhaus in Aarau, die Sonne brennt auch am Maienzug-Vortag unerbittlich vom Himmel. Spadanuda, 22, nippt am Mineralwasser, bedankt sich, dass er dieses Interview geben darf, und sagt: «Seit ich als 11-jähriger Bub zum FC Aarau gewechselt bin, habe ich von der Profimannschaft geträumt. Ich war oft Balljunge im Brügglifeld, die Spieler der ersten Mannschaft waren Vorbilder. Jetzt gehöre ich selber dazu – ich lebe gerade meinen Traum.» Daran ändert auch der Muskelbündelriss im Oberschenkel, den sich Spadanuda am Dienstag im Training zugezogen hat, nichts. Was sind schon vier bis sechs Wochen Pause im Vergleich zu dem, was Spadanuda zwischen seinem ersten und zweiten Fussballerleben durchmachte.

Es passiert Anfang 2016 in einem Freundschaftsspiel mit den FCA-Junioren gegen Schöftland. Nach einem simplen Zweikampf liegt Spadanuda am Boden und realisiert: «Ich kann nicht mehr aufstehen.» Beine und Füsse habe er zwar noch gespürt, aber die Schmerzen im Rücken erlauben nicht die geringste Bewegung. Im Spital-Notfall wird ihm notdürftig mit Schmerzmitteln geholfen, doch nach dem Abklingen der Wirkung kehren die Rückenschmerzen zurück. Spadanuda kann gerade mal gehen, sitzen und liegen. Mehr nicht. Die Lehre zum Hauswart muss er abbrechen, an Sport ist nicht zu denken.

Was hat Spadanuda? Eine Antwort kann dem Schinznacher lange kein Arzt geben. Er besucht Rückenspezialisten in Basel und Zürich, einmal fährt er mit der Mutter sogar ins Wallis. Auch dort – Ratlosigkeit.

Aus der Not zum Fitness- und Ernährungsfreak

Nach weiteren Monaten der Ungewissheit spricht endlich ein Arzt Klartext. Der Moment, in dem für Spadanuda eine Welt zusammenbricht. «Er sagte, mit meinen Rückenproblemen sei Profifussball unmöglich.» All der Aufwand der vergangenen zehn Jahre, die Taxi-Fahrten der Eltern von der Schule ins Training, die langen Abende mit Hausaufgaben, der Verzicht auf den Ausgang mit den Kollegen, die Voraussagen seiner Trainer, ihm stünde eine internationale Karriere bevor – alles für nichts? Die Nachricht ist auch für die Familie ein Schock, bei der Mutter fliessen Tränen. Spadanuda fühlt sich anfangs sogar schuldig: «Meine Eltern haben so viel investiert, ich wollte ihnen als Profi etwas zurückgeben.»

Der Fussball, Spadanudas grosse Liebe, rückt in den Hintergrund. «Ich brachte es nicht mehr übers Herz, die Spiele meiner Mannschaft zu schauen.» Er sucht sich ein anderes Hobby und wird – entgegen aller Ratschläge der Ärzte – im Fitnessstudio fündig. Und dann – entgegen aller Logik – klingen die Rückenschmerzen ab. Erklären kann er sich das nicht. Doch weil das Krafttraining so guttut, verbeisst er sich darin. «Oft war ich bis 2 Uhr nachts im Fitnessstudio, dazu habe ich die Ernährung radikal umgestellt, es kommt nur noch gesundes Essen auf den Tisch.» Ausser nach Fussballspielen – da gönnt er sich einen Kebab oder eine Pizza. «Ein bisschen Genuss gehört zum Leben dazu.»

Klar – aber Fussballspiele? Ja, seit zwei Jahren steht Spadanuda wieder auf dem Platz. Als ein Freund fragt, er solle doch einfach mal beim FC Schinznach-Bad mittrainieren, er könne ja wieder aufhören, wenns nicht ginge, schlüpft er nach eineinhalb Jahren erstmals wieder in Fussballschuhe. Und siehe da: keine Schmerzen. Ein halbes Jahr dominiert er die Gegner in der 4. Liga, in der zweittiefsten Spielklasse der Schweiz. Im Winter 2017/18 holt ihn sein früherer Juniorentrainer Jürg Widmer zu Schöftland in die 2. Liga interregional. Wieder ist er herausragend, wieder geht es ein halbes Jahr später nach oben: in die 1. Liga zum FC Baden. Dessen Trainer Ranko Jakovljevic sagt: «Kevin war als Junior kurz vor dem Sprung zum Profi. Dann kam die Sache mit dem Rücken. Aber von seinem Talent hat er nichts verloren. Seine grösste Stärke ist die Beschleunigung, auf den ersten zehn Metern rennt er allen davon.»

Und es ist die Unbeschwertheit, die einer hat, wenn der Profitraum eigentlich schon geplatzt ist, die ihm nun zugutekommt. «Als Junior war ich vor Spielen extrem nervös, heute freue ich mich einfach darauf.» Im Januar 2019 ruft FCA-Sportchef Sandro Burki an und lädt Spadanuda zum Probetraining ein. Der Rest ist schnell erzählt: Spadanuda überzeugt Trainer Patrick Rahmen und unterschreibt im April einen ab dieser Saison bis 2022 gültigen Profivertrag. «Zur Feier des Tages ging ich mit meiner Familie, der ich alles verdanke, fein essen.» Die 2018 begonnene Logistiker-Lehre hat er unterbrochen. Dank seines grosszügigen Arbeitgebers kann er wieder einsteigen, falls er in den nächsten drei Jahren den Profi-Durchbruch nicht schaffen sollte.

Seinen kometenhaften Aufstieg versteht Spadanuda als Wiedergutmachung für all das, was ihm zuvor widerfuhr: «So schnell wie ich damals ins Loch fiel, so schnell bin ich in den letzten zwei Jahren rausgekrochen. Ich glaube fest an Gerechtigkeit im Leben.» Der Glaube spielt in Spadanudas Leben eine zentrale Rolle, als Sohn einer Portugiesin und eines Italieners wurde er so erzogen. Heute geht er vor jedem Spiel in die Kirche .

Die unverkennbaren Parallelen zum Vorgänger

In zwei Jahren von der 4. Liga in die Challenge League, in zwei Jahren sechs Stufen hochgeklettert – Wahnsinn! In diesem Punkt übertrumpft Spadanuda sogar seinen Vorgänger beim FC Aarau, Varol Tasar, der «nur» aus der 2. Liga (Klingnau) ins Brügglifeld kam. Auch Tasar hatte nach einem missglückten Abstecher in die Türkei mit der Profikarriere abgeschlossen, ehe er sich via Amateurfussball und zwei Jahren beim FCA in die Super League spielte. Ein Weg, der auch Spadanuda vorschwebt? «So weit denke ich nicht, ich denke nur an den FC Aarau.» Eben: Mangelnde Identifikation wird man Kevin Spadanuda nie vorwerfen können.