
Klimaziele via Zertifikate erreichen?
Der Nationalrat verzichtete letzte Woche auf ein fixes CO2-Reduktionsziel im Inland. Das ist ein Erfolg für SVP und FDP – ein Sieg der dank Abweichlern aus der CVP zustande gekommen ist. Die abtretende CVP-Umweltministerin Doris Leuthard war entsprechend emotional und sprach von «beschämend». Aus den Reihen der reformierten Christen, der EVP, hiess es: «Dieser Entscheid ist ein Affront. Ohne Ziele zur CO2-Reduktion im Inland erreichen wir die Ziele nie.»
Absolut gesehen stimmt diese Aussage nicht. Unsere Gesellschaft und Wirtschaft kann die für 2030 anvisierten Ziele über den Kauf ausländischer Emissionszertifikate erfüllen. Da wäre eine Form von freiem Markt – der dem Klima durchaus hilft. Emissionen kümmern sich nicht um Länder und Nationen. Treibhausgas des Landes A macht nicht halt an der Grenze zu Land B, sondern verteilt sich in der gesamten Atmosphäre. Klimaschutz ist deshalb nicht primär eine nationale Angelegenheit, sondern eine, welche die Welt betrifft.
Ortswechsel. Die Delegierten von gut 200 Staaten sollen bis zum 14. Dezember im polnischen Katowice ein Regelbuch ausarbeiten, das konkrete Massnahmen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2015 vorsieht. Ausgerechnet in Polen wird debattiert, das für die nächsten Jahrzehnte bei seiner Energieversorgung auf Kohle setzt. Nachbar Deutschland ist da nicht besser. Im Hambacher Forst bei Aachen kämpfen Umweltschützer nicht gegen einen neuen Flugplatz oder ein neues Bahntrassee – sondern dagegen, dass der dortige Braunkohleabbau um 200 Hektaren ausgeweitet wird. Braunkohle ist bezüglich CO2 eine der schlimmsten fossilen Energiequellen. 240 000 Tonnen sollen pro Tag zusätzlich abgebaut werden. Das reicht, um 228 Millionen Kilowattstunden Strom zu produzieren – den Jahresbedarf von 65 000 Familien zu decken. «Tagebau Hambach – für Ihre Energiesicherheit bei jedem Wetter, an 365 Tagen im Jahr», wirbt die Eigentümerin, die Rheinisch-westfälische Elektrizitätswerke AG . Trotz Vorreiterrolle bei der Nutzung von Solarenergie wird Strom in Deutschland im Winter oder bei schlechtem Wetter knapp – Klimaziele treten in den Hintergrund.
Mit unserer Energiewende haben wir den schrittweisen Ausstieg aus der weitgehend CO2-neutralen Kernenergie beschlossen. Dies macht es nicht einfacher, die an der Realität gemessen ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Im Gegensatz zur Schweiz will die EU-Kommission bis 2050 nicht auf nukleare Energie verzichten. Im Gegenteil: Zusammen mit erneuerbaren Energien werde die Kernenergie «das Rückgrat einer CO2-freien europäischen Stromversorgung» bilden.
Will die Welt jene Temperatur-Ziele erreichen, die an der Klimakonferenz in Paris festgelegt wurden, muss der CO2-Ausstoss sinken – nicht steigen. Exakt Letzteres ist aktuell aber der Fall. Die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Treib- und Brennstoffe sind dieses Jahr weltweit wieder angestiegen – noch stärker als im Vorjahr. Belief sich der Anstieg des CO2-Ausstosses im Jahr 2017 auf 1,6 Prozent, sind es 2018 sogar 2,7 Prozent – der grösste Zuwachs seit sieben Jahren. Die höchste Steigerung gab es in China. Aber auch in den USA ist der Ausstoss 2018 markant grösser geworden. Trotzdem. Es ist unsere Pflicht, dass wir bei dessen Senkung mitwirken: im Inland, aber auch über Zertifikate im Ausland.