Könnte der Aargau Maudet absetzen?

Der Genfer Staatsrat und ExFDP-Bundesratskandidat Pierre Maudet steckt in der Bredouille. Die Vorwürfe gegen ihn sind happig. An ihrer Spitze steht Korruption. Ein Gesetzesbrecher ist er derzeit nicht – weil bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt. Dennoch: Wie lange kann er sich in der Genfer Regierung halten? Die Antwort ist einfach: Bis zum Mai 2023 – dann endet seine Amtszeit. Auch wenn er verurteilt würde, gilt im Kanton Genf das, was Maudet kürzlich gegenüber den Medien erklärt hat: «Nur ein einziger Mensch entscheidet, ob ich zurücktrete oder nicht – ich selbst.»

Das Ziel Maudets ist klar. Absolviert er eine volle Amtsperiode als Genfer Staatsrat, entschädigen ihn die Steuerzahlenden lebenslang mit einer Rente. Diese beträgt 50 Prozent eines Staatsratssalärs. In Genf kann man dem keinen Riegel schieben, in anderen Kantonen sehr wohl – indem die Stimmbürgerinnen und -bürger auf eine Absetzung hinarbeiten. Beispiele sind der Kanton Uri sowie die Aargauer Nachbarn Bern und Solothurn. Der Weg führt über eine Volksinitiative – für die sind im Kanton D Bern 30000 Unterschriften nötig. Kommen sie zusammen, findet eine Volksabstimmung über die Absetzung der Regierung statt. Bei einem Ja fliegen allerdings alle aus dem Amt. Erst bei den anschliessenden Neuwahlen könnte ein mutmasslicher «Sürmel» aussortiert werden.

Im Aargau gibt es aktuell kein entsprechendes Volksrecht – die Situation gleicht jener Genfs. Dennoch: In der Geschichte des 1848 begründeten modernen Bundesstaats ist der Aargau der einzige Stand, der je seine politische Führung auf demokratischem Weg in die Wüste geschickt hat.

Die Niederlage der Katholiken im Sonderbundskrieg (1847). Die von den Liberalen durchgesetzte Aufhebung der Aargauer Klöster. Der gescheiterte Sturm der Freiämter Katholiken nach Aarau, mit dem Ziel, die dem Papsttum wenig zugetane Aargauer Regierung zu stürzen. Zwischen den Konfessionen kochte es, wobei der Dampfdruck bei den Aargauer Katholiken höher lag.

Dann das Jahr 1862. Dem katholischkonservativen Johann Nepomuk Schleuniger – Teilnehmer früherer Aufstände – bot sich die Chance zur demokratischen Revolution und Revanche an den Liberalen. Auslöser war ein von Regierung und Grossem Rat beschlossenes Gesetz, das die Aargauer Juden zu Bürgern und ihre Kooperationen in Endingen und Lengnau machte.

Der Aufschrei in der katholischen Bevölkerung des nordöstlichen Kantonsteils war gross. Schleuniger, Herausgeber der Zeitung «Die Botschaft», bemühte sich, der Unruhe eine Richtung zu geben – gegen den zentralistischen liberalen Staat, für katholisch-oppositionelle Ziele. Ein Döttinger Komitee sammelte innert kürzester Zeit die für eine Volksabstimmung zur Absetzung des Parlaments nötigen Unterschriften.

Am 27. Juli 1862 entzog das Volk mit 27 462 gegen nur 9486 Stimmen dem Grossen Rat sein Mandat – die Regierungsräte nahmen ihre Hüte. Mehr als ein Theaterdonner war das allerdings nicht. Nach den Wahlen (bereits am 12.August 1862) behielten die Liberalen ihre Mehrheiten in den beiden Räten.