
Kontroverse um Jolanda Spiess-Hegglin: Verlag Tamedia krebst teilweise zurück
Seit einem Jahr befasst sich die Zuger Justiz mit Michèle Binswanger. Die «Tagesanzeiger»-Journalistin plant ein Buch zu den Vorkommnissen am Rand der Zuger Landammannfeier 2014 und die Rolle der ehemaligen Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin darin. Nach einer Verurteilung hat sich das Zürcher Verlagshaus Ringier öffentlich für eine Medienkampagne zulasten Spiess-Hegglins in diesem Zusammenhang entschuldigt. Die Zuger Gerichte halten es bisher für glaubwürdig, dass Binswangers geplantes Buch die Persönlichkeitsrechte Spiess-Hegglins erneut verletzen würde und haben Teile der Publikation deshalb untersagt. Der Fall liegt nun beim Obergericht.
Vor gut einer Woche nun wurde bekannt, dass Binswanger zudem einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Basel wegen Verleumdung zulasten Spiess-Hegglins kassiert hat. In diesem Fall ging es um einen Text, den Binswanger auf dem Kurznachrichtendienstes Twitter abgesetzt hatte. Obwohl Binswanger von ihrem privaten Account getwittert hatte, kündigte das Zürcher Verlagshaus Tamedia, welches den «Tagesanzeiger» herausgibt, an, gegen den Strafbefehl Rechtsmittel einzulegen.
Eine Art Sündenregister Spiess-Hegglins
Das Verhältnis zwischen Spiess-Hegglin und Tamedia ist entsprechend angespannt. Dazu trägt auch ein Artikel bei, den die ebenfalls zu Tamedia gehörige «Sonntagszeitung» vorletzten Sonntag veröffentlicht hat. Hintergrund hierbei war die Auseinandersetzung um Bundessubventionen von 192’000 Franken für den von Spiess-Hegglin gegründeten Verein «Netzcourage», der sich gegen Hass in den sozialen Medien einsetzt. Der Bund überprüft derzeit auf Betreiben des Aargauer SVP-Nationalrats Andreas Glarner diese Zahlungen und hat zudem angeordnet, dass der Verein ein Kommunikationskonzept vorlegen müsse. Im Artikel in der «Sonntagszeitung» thematisierte Redaktionsleiter Andreas Kunz die Frage, ob nicht Spiess-Hegglin selber Hass im Internet verbreite. Der Artikel liest sich wie ein Sündenregister.

«Tagesanzeiger»-Journalistin
Michèle Binswanger.
Nun zeigt sich: Der Artikel in der «Sonntagszeitung» war fehlerbehaftet. So schrieb das Blatt, Spiess-Hegglin habe eine Grossrätin als «dummes Blondchen» bezeichnet. Tatsächlich fand sich dieser Kommentar vor Jahren auf Spiess-Hegglins Facebook-Profil. Geschrieben hatte ihn allerdings nicht die Netzaktivistin selber, sondern eine Drittperson. Gemeint mit dem «dummen Blondchen» war die Aargauer SVP-Grossrätin Nicole Müller-Boder. Müller-Boder hatte diese Person darauf angezeigt; die Staatsanwaltschaft Luzern hat die Strafuntersuchung gegen diese Person eingestellt. Müller-Bodmer müsse sich eine solche Bemerkung gefallen lassen. Die «Aargauer Zeitung» hatte über den Fall breit berichtet. Dass nicht Spiess-Hegglin die Täterin war, sondern eine Drittperson, hätte der «Sonntagszeitung» also bekannt sein müssen.
Mit Hackern gegen Journalisten?
Schwerer wiegt der Vorwurf der «Sonntagszeitung», dass sich bei Medienschaffenden, die kritisch über Spiess-Hegglin berichteten, unerlaubte Zugriffsversuche auf Mailserver und Profile auf den sozialen Medien häuften. Spiess-Hegglin habe auf «in der Vergangenheit einen Aufruf an Hacker» publiziert. Sie habe angekündigt, diese für ihre Arbeit mit einem «Znacht» zu belohnen.
Belastbare Belege für die Unterstellung, dass Spiess-Hegglin mit Hackern zusammenarbeite, um missliebige Journalistinnen und Journalisten zu drangsalieren, lieferte die «Sonntagszeitung» nicht. Recherchen zeigen nun, dass Spiess-Hegglins «Znacht»-Angebot in ganz anderem Zusammenhang erfolgte. Konkret hatte die ehemalige Kantonsrätin 2017 von einer Person, die sich auf Facebook «Rolf Möller» nannte, massive Drohungen auch an ihre Kinder erhalten. Spiess-Hegglin erstatte daraufhin Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft Zug sistierte die Ermittlungen allerdings im Januar 2018, weil «Rolf Möller» seine Spuren im Internet mit einer Verschlüsselung erfolgreich verwischt hatte. Aufgrund dieser Sistierung kam es damals auf Twitter zu einer Diskussion. Einer der User warf die Frage auf, ob «ein Hacker» die Verschlüssselung nicht knacken und damit die Identität von «Rolf Müller» doch noch ermitteln könnte. Daraufhin twitterte Spiess-Hegglin: «Falls hier einer mitliest, ich lade ihn zum Znacht ein.»
«Dummes Blondchen»: Tamdia gibt Fehler zu
Die Hacker-Geschichte zeigt sich damit in einem ganz anderem Licht, als die «Sonntagszeitung» insinuierte. Spiess-Hegglin suchte Hilfe, um eine Straftat aufzuklären, welche die Zuger Staatsanwaltschaft nicht aufklären konnte – und nicht, um gegen missliebige Internet-User oder Journalisten vorzugehen.
Die Tessiner Grünen-Nationalrätin Greta Gysin präsidiert den von Spiess-Hegglin gegründeten Verein «Netzcourage». In einem längeren Mailwechsel mit dem Rechtsdienst von Tamedia hat sie Korrekturen an der von der «Sonntagszeitung» veröffentlichten Darstellung verlangt. Im Fall des «dummen Blondchens» hat die «Sonntagszeitung» Fehler eingeräumt und online den Text bereits angepasst. In der Hacker-Sache bleibt die Zeitung dagegen bei ihrer Version. Eine von «Netzcourage» verlangte Gegendarstellung soll dennoch diesen Sonntag veröffentlicht werden. Darauf haben sich «Netzcourage» und Tamedia schriftlich geeinigt.

Greta Gysin.
Gysin schreibt auf Anfrage, die Sache sei für sie unbefriedigend und man habe auch eine Klage gegen Tamedia erwogen, die man durchaus als aussichtsreich beurteile. Allerdings sei der Klageweg langwierig und kostenintensiv, weshalb «Netzcourage» davon absehe und folglich Energie und Geld lieber in die wichtige Arbeit stecke. Es sei indes bedauerlich, dass Tamedia als bedeutender Verlag sich «aus offensichtlichen Gründen für eine schmutzige Medienkampagne» hergebe. Damit schade der Verlag seiner eigenen Glaubwürdigkeit und derjenigen der Medien insgesamt.
Tamedia und das ebenfalls zum Mutterkonzern TX Group gehörige Gratisblatt «20 Minuten» haben in den vergangenen Tagen in kurzer Folge insgesamt acht Artikel zum Verhalten von Spiess-Hegglin publiziert. «Netzcourage hat derzeit leider viel Arbeit. Wir würden uns nun gerne wieder darauf fokussieren und hoffen, dass sich die Lage nun beruhigen wird», fügt Gysin an.