Lidl Verteilzentrum: Die Abstimmung in Roggwil wird wiederholt

Nun also doch: Regierungsstatthalter Marc Häusler (SVP) schaltet sich in Roggwil ein und erklärt das Nein zur Zonenplan- und Baureglementsänderung Brunnmatt für ungültig. Das schreibt das Regierungsstatthalteramt in einer Medienmitteilung. Die durchgeführte Gemeindeversammlung vom 31. August habe gegen die geltenden Gesetzesbestimmungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verstossen und hätte zwingend vorzeitig abgebrochen werden müssen.

Das Schutzkonzept der Gemeinde war auf eine maximale Beteiligung von 300 Personen ausgerichtet gewesen – an der Versammlung teilgenommen haben schliesslich aber fast 500 Personen. Trotzdem seien bereits erschienene Stimmberechtigte vorzeitig wieder nach Hause gegangen – aus Angst, sich in der Turnhalle Hofstätten anzustecken. Das Abstimmungsresultat wäre womöglich mit der Teilnahme dieses Personenkreises anders ausgefallen, schreibt der Regierungsrat.

Weiter habe der Abgleich der Kontaktliste mit dem Stimmregister Roggwils ergeben, dass mindestens zwei Personen ohne Stimmrecht an der Versammlung anwesend waren, jedoch nicht als solche ausgewiesen wurden. Von insgesamt 19 Personen fehlten zudem jegliche Angaben zur Stimmberechtigung und Identität. All diese Mängel hätten womöglich das Resultat der Abstimmung entscheidend beeinflusst, urteilt der Regierungsstatthalter. Das Geschäft muss daher an einer neuerlichen Versammlung oder Urnenabstimmung wiederholt werden.

Um dieses Projekt geht es

Mit der Zonenplan- und Baureglementsänderung wollte die Gemeinde die gesetzliche Grundlage für Lidl schaffen, um auf dem früheren Gugelmann-Areal zu bauen. Denn hier wollte der deutsche Detailhändler ein riesiges Warenverteilzentrum bauen. Dabei hätten dem Dorf 250 neue Arbeitsplätze gewinkt, aber auch täglich über zusätzlich 500 Lastwagen- und 400 Autofahrten auf den Zufahrtsstrassen. Widerstand gegen das Grossprojekt formierte sich daher früh – auch von Gemeinden in den Nachbarkantonen Aargau und Luzern.

Der Roggwiler Gemeinderat stellte sich nichtsdestotrotz hinter das Vorhaben und versuchte, die Bevölkerung von den Vorzügen von Lidl als Investor zu überzeugen. So pries Gemeindepräsidentin Marianne Burkhard (SP) etwa die guten Arbeitsbedingungen beim Detailhändler und die Nachhaltigkeit des Projekts an. Ihr wurde daraufhin vorgeworfen, ein zu positives Bild vom Unternehmen zu zeichnen.

So kam es zur Beschwerde

Im Nachgang zeigten sich mehrere Bürgerinnen und Bürger mit der durchgeführten Gemeindeversammlung nicht einverstanden. «Gerade weil es dabei um ein Geschäft mit so grosser Tragweite ging, sind wir der Meinung, dass das Resultat demokratisch gestützt sein müsste», sagte damals Kurt Schär. Deshalb schloss sich der Roggwiler Unternehmer mit sieben weiteren Personen zu einer Interessengemeinschaft zusammen.

Bereits an der Gemeindeversammlung rügte eine anwesende Person, dass nicht alle ihr Stimmrecht wahrnehmen könnten. Bis Ende September gingen beim Regierungsstatthalteramt 7 Beschwerden ein, die von 27 Personen unterzeichnet wurden. Die Beschwerdeführenden rügten, dass die Gemeindeversammlung unter irregulären Bedingungen durchgeführt wurde, da die von Bund und Kanton geforderten Corona-Massnahmen nicht eingehalten wurden.

Die Beschwerden gegen die anderen Traktanden weist Regierungsstatthalter Marc Häusler allerdings ab, weil dank der klaren Abstimmungsentscheide eine Beeinflussung der Resultate auszuschliessen sei. Personen, die aufgrund genereller Bedenken wegen Covid-19 gar nie vorhatten, an der Gemeindeversammlung teilzunehmen, und erst nach Bekanntgabe des Abstimmungsresultats Beschwerde führten, hätten ihr Beschwerderecht verwirkt. Sie hätten sich bereits gegen die Ansetzung der Gemeindeversammlung im Vorfeld zur Wehr setzen müssen.

Das sagt der Gemeinderat

Auch die Roggwiler Exekutive meldet sich mit einer Mitteilung zu Wort. Darin schreibt der Gemeinderat, dass er rückblickend «offensichtlich die Tragweite der Geschäftsvorlage beziehungsweise den zu erwartenden Aufmarsch an Stimmberechtigten unterschätzt hatte». Die mündliche Rüge vor Versammlungsbeginn spreche dafür, dass eine Urnenabstimmung eher dem demokratischen Gedankengut entsprochen hätte. Deshalb akzeptiert der Gemeinderat den Entscheid des Regierungsstatthalters und zieht diesen nicht weiter.

Das Gremium weist weiter darauf hin, dass die Verantwortlichen von Lidl Schweiz im Nachgang mitgeteilt hätten, bei einer wiederholten Abstimmung die Realisierung des Projekts in Roggwil weiterverfolgen zu wollen. Der Detailhändler habe gegenüber dem Gemeinderat das Interesse am Standort Roggwil bekräftigt. Man wolle nun prüfen, in welcher Form das Projekt weiterverfolgt werden könne.

So geht es jetzt weiter

Der Entscheid des Regierungsstatthalters wird durch die Gemeinde Roggwil publiziert. Der Gemeinderat geht davon aus, dass alle Beteiligten an einem korrekten und demokratisch legitimierten Ergebnis interessiert seien, und hofft, dass der definitive Entscheid nicht innerhalb von 30 Tagen durch Dritte mit einem Weiterzug des Verfahrens an das Verwaltungsgericht verzögert wird.

 

Doch damit rechnet Gemeindepräsidentin Marianne Burkhard eigentlich nicht, wie sie auf Anfrage sagt. «Denn wir berücksichtigen den Willen der Bevölkerung – an der Urne können sich alle äussern.» Roggwil habe nun eine echte Chance. «Für mich ist es eine grosse Erleichterung. Ich war bis jetzt die ganze Zeit angespannt und wusste nicht, wie es weitergeht.» Mit dem klaren Entscheid des Regierungsstatthalters könne der Gemeinderat daher leben.

Parallel dazu setzt der Gemeinderat eine Projektgruppe ein, die sich mit der Organisation und Durchführung einer neuen Abstimmung unter gesetzeskonformen Bedingungen befassen wird. Der Gemeinderat geht davon aus, dass dies in Form einer Urnenabstimmung sein wird. Die Projektgruppe wird unter anderem eine Botschaft mit Pro und Kontra an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger erarbeiten. Die Abstimmung soll an einem offiziellen Termin durchgeführt werden, voraussichtlich am 7. März 2021.