Littering-Bussen von 300 Franken? Parteien nehmen Stellung zum Gesetzesvorschlag

12’000 Arbeitsstunden

beträgt der zusätzliche Reinigungsaufwand wegen Litterings beim Aargauer Strassenunterhaltsdienst. Das bedeutet Mehrkosten von über einer Million Franken pro Jahr.

150 Millionen Franken

beträgt der jährliche Mehraufwand für die Reinigung der öffentlichen Räume in der Schweiz wegen Litterings. Das zeigte eine 2011 veröffentlichte Studie des Bundesamts für Umwelt.

Littering ist in der ganzen Schweiz ein Problem. Trotzdem hat der Nationalrat 2016 eine nationale Litteringbusse abgelehnt. Damit habe er die Möglichkeit verpasst, das Problem einheitlich zu lösen, findet die CVP Aargau. Umso mehr sei nun der Kanton gefordert, «dass es wenigstens eine kantonale Lösung gibt». Heute werden Abfallsünder im Kanton Aargau gemäss den kommunalen Polizeireglementen bestraft. Es drohen ihnen Bussen zwischen 40 und 100 Franken – je nach dem, in welcher Gemeinde sie erwischt werden.

Das wollte der Grosse Rat ändern. Ende Oktober 2016 hatte er eine Motion verschiedener Parteien mit 61 zu 54 Stimmen überwiesen, die ein «Littering-Verbot mit einer klaren prohibitiven Sanktionsregel» verlangt. Die Motionäre schlugen eine Busse von 300 Franken vor. Die Aargauer Regierung wollte die Motion eigentlich nicht entgegennehmen, musste die entsprechende Gesetzesänderung auf kantonaler Ebene somit gegen ihren Willen erarbeiten.

Im Gesetzesentwurf vertritt der Regierungsrat eine «pragmatische kantonale Lösung mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken». Peter Kuhn, Leiter der kantonalen Abteilung für Umwelt, sagte im Juli zur AZ, 100 Franken seien abschreckend. «Wenn jemand so viel Geld sofort bezahlen muss und es ihm im Portemonnaie wehtut, dann hat er zum letzten Mal etwas weggeworfen.»

An die Grenze des Möglichen

Viele Aargauer Parteien sehen das anders. 100 Franken ist ihnen zu wenig, wie den Vernehmlassungsantworten zu entnehmen ist. Die CVP will «die Grenze des Möglichen ausschöpfen und das sind 300 Franken». Auch die SP findet die Busse «eher tief» im Vergleich zu den Kosten, die Littering verursache. Die Sozialdemokraten schlagen eine Busse von «mindestens 200 Franken» vor. Für die BDP sind 100 Franken das «Minimum». Die EDU findet, «eine Busse muss wehtun» und will sie deshalb auf 200 Franken erhöhen.

 

Auch der Aargauische Gewerbeverband hat zur Gesetzesvorlage Stellung genommen und unterstützt eine kantonale Regelung. Die konsequente Ahndung von Littering sei für das Gewerbe, gerade in Einkaufszonen, wichtig. Der Verband fragt sich deshalb, ob nicht eine höhere Busse verhängt werden sollte, «um die abschreckende Wirkung zu verstärken». Um Abschreckung geht es auch den Grünliberalen. Sie vermuten, dass eine Busse von 300 Franken «vermutlich wirkungsvoller» wäre. Vom Regierungsrat wünschen sie sich Ausführungen dazu, «ob 300 Franken gegenüber anderen Übertretungen unverhältnismässig wären».

Obwohl sich alle Parteien einig sind, dass Littering ein Ärgernis ist, von Rücksichtslosigkeit zeuge und schwere Folgen für Tiere und Landwirtschaft haben kann, lehnen SVP, FDP, EVP und die Grünen die vorgeschlagene Gesetzesänderung ab. Sie finden, die Bekämpfung von Littering falle in den Aufgabenbereich der Gemeinden. Die heutige Regelung habe sich bewährt, die neue schaffe keinen Mehrwert.

Die FDP findet, das eigentliche Problem von Littering sei nicht die Höhe der Busse oder das Vorhandensein von Sanktionsmöglichkeiten, sondern der Vollzug. «Der Beweis von Verstössen ist schwierig», schreiben die Freisinnigen. Auch die SVP hält fest, dass die «Probleme der Beweiserhebung» bei einer kantonalen Regelung bestehen bleiben. Deshalb hoffe man, dass der Regierungsrat «auf die neuerliche Regulierung verzichtet».

Förster sollen Bussen verteilen

Abfallsünder auf frischer Tat zu ertappen und sie zu büssen, ist schwierig. Das ist auch den Befürwortern einer kantonalen Regelung bewusst. Die Wirkung der Busse dürfte «wohl eher klein sein, weil nur bestraft wird, wer auch erwischt wird», schreibt die BDP. Es bestehe aber «eine kleine Hoffnung», dass nur schon das Wissen, dass man bestraft werden kann, eine gewisse Wirkung zeige.

Um möglichst viele Abfallsünder in flagranti zu erwischen, schlägt die CVP vor, den «Personenkreis, der Bussen ausstellen kann, auszudehnen». Sie stellt den Zusatzantrag, die rechtlichen Grundlagen so anzupassen, dass auch Förster, Ranger, Wildhüter oder Fischereiaufseher Bussen verteilen dürften– wie dies im Kanton Zug der Fall sei. Gerade Gemeindearbeiter würden häufig die neuralgischen Orte kennen oder sogar Personen, die regelmässig Abfall nicht ordentlich entsorgen.

Die SP schlägt als Ergänzung zu den Bussen «Massnahmen im Bereich Sensibilisierung und Erziehung» vor. Zudem solle ein Littering-Rappen, also eine vorgezogene Entsorgungsgebühr, geprüft werden oder die Wiedereinführung von Pfand auf Getränkedosen und Flaschen. Depotgebühren und damit die Schaffung von finanziellen Anreizen erachten auch die Grünen als «zielführender», um das Littering-Problem zu lösen.

Ob für Abfallsünder im Aargau künftig einheitliche Regeln gelten, wird der Grosse Rat entscheiden. Zwar sprechen sich FDP und SVP in ihren Vernehmlassungsantworten gegen ein kantonales Gesetz aus. Stimmen die beiden Fraktionen geschlossen dagegen, hätten sie bereits die Mehrheit. Aber das Thema spaltet die Parteien. Das Anliegen der Motion hat auch innerhalb der FDP und der SVP Sympathisanten. Elf SVPler und sechs FDPler stimmten damals für die Überweisung der Motion. Unter ihnen etwa FDP-Grossrat Gabriel Lüthy oder SVP-Grossrat und Landwirt Alois Huber. Damit dürfte das kantonale Gesetz noch nicht vom Tisch sein und im Parlament noch einmal für Diskussionen sorgen.