
Lockdown-Exit: Berset bleibt hart beim Öffnungsplan – folgen ihm seine Bundesratskollegen?
Und wieder einmal dreht sich (fast) alles um die Gastronomie. Die Debatte erinnert an den Frühling. An den Restaurants entzündet sich die Frage, wer zu den Öffnungsturbos oder Bremsern in diesem Land gehört. Heute trifft sich der Bundesrat, um die ersten Öffnungsschritte nach dem Shutdown zu beschliessen. Seit er vor Wochenfrist seinen Plan skizziert hat, ist ein intensives Lobbying im Gang. Die Reaktionen auf den Öffnungsplan waren heftig. «Das ist gar kein Öffnungsplan!», polterte die SVP. Auch die Wirtschaftsverbände forderten ein viel schnelleres Tempo. In der gleichen Woche kam die Petition «Stop Lockdown» mit fast 300’000 Unterschriften zu Stande. Nicht wenige wünschen sich also ein forscheres Tempo als die Regierung, welche die Lage nach wie vor als fragil bezeichnet. Der Bundesrat schlug vor, am 1. März Läden, Museen und Aussenbereiche von Zoos, botanischen Gärten sowie Sport-und Freizeitanlagen wieder zu öffnen. Am 1. April sollten dann die Aussenterrassen von Gastrobetrieben folgen und gewisse Kultur- und Freizeitveranstaltungen unter Auflagen wieder zugelassen werden.
Die grosse Frage ist: Hält der Bundesrat an seinem Plan fest oder passt er ihn nach der Konsultation und dem politischen Hickhack der letzten Woche an?
Die vehementeste Kritik kam ausgerechnet aus der Gesundheitskommission des Nationalrates. Diese will nicht nur schneller lockern – alle geschlossenen Betriebe wie Restaurants, Theater oder Fitnesscenter sollen bereits am 22. März öffnen –, sondern gleich auch noch den Bundesrat entmachten. Die Öffnungsschritte sollten im Gesetz festgehalten werden. Zwar hat sich die Partei Die Mitte von der formalen Forderung bereits wieder distanziert, nicht aber vom Tempo. Das heisst, die Parteien FDP, SVP und Mitte, die im Bundesrat eine komfortable Mehrheit haben, setzen den Bundesrat mächtig unter Druck.
Bundesrat erhält Support aus dem Ständerat
Nur, das hat die Coronakrise schon mehrfach bewiesen, sind die sieben Magistraten keine Marionetten ihrer Parteien. Der Druck aus der Nationalratskommission hat zudem am Dienstag die ständerätliche Gesundheitskommission relativiert. Zu den Öffnungen äusserte sie sich zwar nicht, aber sie stellte sich deutlich hinter den Bundesrat und sprach ihm in einer Mitteilung ihr «Vertrauen» aus. Ein aussergewöhnlicher Vorgang.
National- und Ständeräte fahren also einen unterschiedlichen Kurs. Und auch aus den Kantonen ist der Tenor nicht eindeutig. Knapp die Hälfte der Kantone fordert kürzere Intervalle zwischen den Öffnungsschritten. Eine knappe Mehrheit spricht sich für eine Öffnung der Terrassen von Gastronomiebetrieben aus. Hier gibt es aber gewichtige Abweichler – etwa die bevölkerungsstarken Kantone Zürich und Aargau. Sprich: Die Konsultation hat keine klare Mehrheit für mehr und schnellere Öffnungen ergeben.
Rückgang der Fallzahlen gebremst
Aus bundesratsnahen Kreisen erfuhr CH Media, dass Gesundheitsminister Alain Berset dem Gremium beantragt, am Exitplan festzuhalten. Die gesamten Ansteckungszahlen sind zwar gefallen, auf gut 1000 pro Tag, aber zuletzt wurde der Rückgang gebremst. Laut Berset passiert jetzt genau das, was er letzten Mittwoch vorausgesagt hat: «Die Reduktion der Fallzahlen dürfte sich verlangsamen.»
Das will aber nicht heissen, dass es im Bundesrat nicht doch noch zu einer Überraschung kommen könnte. Von den beiden SVP-Magistraten Ueli Maurer und Guy Parmelin ist bekannt, dass sie sich einen forscheren Ausstieg aus dem Lockdownmodus wünschen.
Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums stehen die SP-Vertreter Berset und Simonetta Sommaruga sowie die Mitte-Bundesrätin Viola Amherd. Letztere gilt als sehr standhaft und konsequent. Sommaruga wiederum möchte auf keinen Fall die Fehler des letzten Frühlings wiederholen und mit vorschnellen Lockerungen Kredit verspielen, geben die Strategen anderer Departemente zu bedenken.
Nachgeben bei den Terrassen?
Entscheidend wir die Positionierung der beiden Freisinnigen im Kollegium sein. Karin Keller-Sutter steht zwar eher auf der vorsichtigen Seite. Sie, die in einer Wirtefamilie aufgewachsen ist, hatte sich im Frühling allerdings stark für die Öffnung der Restaurants eingesetzt. Iganzio Cassis wiederum gilt zwar als unberechenbar im Gremium. Der einzige Arzt in der Regierung nimmt jedoch für sich in Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse hoch zu gewichten. «Ich kenne mich da aufgrund meines beruflichen Hintergrunds wahrscheinlich ein bisschen besser aus als meine Kolleginnen und Kollegen», sagte Cassis im Interview mit dieser Zeitung. An dieser Aussage müsse er sich messen lassen, sagen zur Vorsicht mahnende Beamten. Denn der Anteil des mutierten, ansteckenderen Virus liegt bereits bei 47 Prozent.
Falls der Bundesrat in einem Punkt nachgeben sollte, wäre dies wohl am ehesten bei der Terrassenfrage – allenfalls auch mit einem stärkeren Einbezug der Kantone. Sprich: Sie könnten selbst über die Öffnung der Aussenräume entscheiden, wenn sie bestimmte Auflagen erfüllen.
Mit einer früheren Öffnung könnte der Bundesrat auch den Terrassenstreit in den Skigebieten entschärfen. Einige Kantone wie Graubünden und Ob- und Nidwalden haben die Terrassen nämlich geöffnet und erlauben den Konsum von Essen und Getränken. Andere Kantone wie das Wallis halten sich strikt an die Vorgaben des Bundes – der Walliser Staatsrat Christoph Darbellay nannte die Schweiz deswegen eine «Bananenrepublik».
Gastrosuisse ist gegen eine Öffnung
Allerdings und auch das spielt Berset zupass: Die Gastronomen sind sich uneins. In den letzten Tagen meldeten sich viele Restaurantbetreiber zu Wort, die aus Wirtschaftlichkeitsgründen lieber ganz geschlossen bleiben. Auch der Branchenverband Gastrosuisse sagte gestern auf Anfrage: «Nur die Terrassen zu öffnen, ist keine Lösung für die Branche.»
Der Verband verweist auf das unberechenbare Wetter. Betriebe könnten dank offenem Aussenbereich zwar bei gutem Wetter Zusatzumsätze machen, aber wenn es plötzlich wieder kalt und regnerisch werde, müsse man eingekaufte Waren fortwerfen. Unter dem Strich lohne sich das vielfach nicht. Angesichts der epidemiologischen Entwicklung sollen Restaurants spätestens ab Mitte März vollständig geöffnet werden.
Bei der Öffnung der Aussenbereiche würde sich zudem eine weitere knifflige Frage stellen: Diejenige nach der Entschädigung, falls Restaurants nur einen Teilbereich öffnen können. Gerade Säckelmeister Ueli Maurer, der seit langem um praktikable Lösungen für die Härtefallentschädigungen ringt, wisse dies sehr wohl, heisst es aus bundesratsnahen Kreisen.