Löst Wermuth einen neuen «Brunner»-Effekt aus?

Wählt Frauen! Dazu ruft die Inlandchefin dieser Zeitung in der Ausgabe vom Wochenende auf. Im Fokus hatte sie die anstehenden Ersatzwahlen in den Bundesrat – wie auch die Nationalratswahlen 2019. Dies generell – zudem aber mit Blick auf die Ständeratsnomination der SP Aargau. Dass die Sozialdemokraten einem Mann den Vorzug gegeben haben, sollten die bürgerlichen Parteien als Schwäche der SP nutzen – und eigene Frauen aufbauen.

Das Szenario erinnert an das Jahr 1993. Damals wurde in Bern nicht Christiane Brunner zur SP-Bundesrätin gewählt, sondern deren Parteikamerad Francis Matthey. Die Genossinnen traten ihm kräftig auf die Füsse – Politik ist in Wahlzeiten eine Kampfsportart –, worauf er nach einer Bedenkfrist verzichtete. Gewählt wurde schliesslich Ruth Dreifuss.

Die Ereignisse rund um die Nicht-Wahl von Brunner und die Personen Brunner und Dreifuss als Sympathieträgerinnen führten zu einer seit der Einführung des Frauenstimmrechts nicht mehr gesehenen Solidarisierung der Schweizer Frauen. Die zu diesem Zeitpunkt eingeschlafene Frauenbewegung mobilisierte sich, was zu einem Druck auf Verbände, Gewerkschaften und Parteien führte und Frauenthemen und -forderungen wieder auf die Tagesordnung brachte.

So auch im Aargau. Da standen wenige Wochen nach dem Berner Eklat Grossratswahlen an. Ins damals 200 Mitglieder umfassende Kantonsparlament wurden 44 SP-Mitglieder gewählt – 7 mehr als 1989. Zum Teil das Resultat einer Listenverbindung mit den Grünen. Als GegenW bewegung zum Linksrutsch zog die Autopartei – die spätere Freiheitspartei – mit 19 Sitzen in den Ratssaal ein.

Wichtiger in diesem Zusammenhang: Den grössten Sieg verzeichneten die Frauen. Sie konnten 26 Sitze zusätzlich erobern und erreichten mit 63 Mandaten einen Anteil von 31,5 Prozent. Den höchsten Frauenanteil verzeichnete die SP mit 65,9 Prozent. Zwölf Männer – erfahrene SP-Politiker – wurden abgewählt. Einer, der in die Wüste geschickt wurde, war Heinrich Buchbinder, Präsident des Gewerkschaftsbunds. Im Parlament ein Topspezialist in Fragen rund um Krankenversicherungen und die beginnenden Prämienexplosionen.

Die Gefahr, dass die Ständerratsnomination Wermuths eine ähnliche Reaktion bei den Nationalratswahlen 2017 auslöst, dürfte eher gering sein. Aber Wermuths Kandidatur zeigt, dass sich die SP weiterhin weg von der Arbeiterpartei hin zu einer klassenkämpferischen Partei linker Intellektueller entwickelt. 2015 verlor die SP Aargau einen ihrer drei Sitze im Nationalrat. Über die Klinge springen musste mit Max Chopard, einer der letzten «bekennenden» Arbeiter der Partei. Diese Weichenstellung haben nicht die Bürgerlichen, sondern die Sozialdemokratinnen und -demokraten vorgenommen. Dies gilt auch für eine allfällige Nichtwahl Wermuths. Mit Yvonne Feri hatte die Partei eine Kandidatin zur Verfügung, die bei den letzten Regierungsratswahlen bewies, dass sie bürgerliche Stimmen abholen kann. Auf Stimmen aus den Reihen der Bourgeoisie will man offensichtlich 2019 verzichten