
«Lothar»: 20 Jahre nach dem Jahrhundert-Sturm

Am 26. Dezember 1999 war Ernst Steiner bei sich zu Hause in Zofingen. «Der Wind hat ganz eigenartig gepfiffen und der Himmel hatte eine ungewöhnliche Farbe. Mir war klar, da geht etwas ab», erinnert sich der damalige Förster der Ortsbürgergemeinde Zofingen. Noch fünf Tage sollte es dauern, bis Rothrist, Strengelbach und Zofingen ihre Forstbetriebe zusammenschlossen. Ein ruhiger Start in den neuen Forstbetrieb Region Zofingen war Ernst Steiner und seinen Mitarbeitern nicht vergönnt. «Ich bin nach draussen gegangen, in Richtung Friedhof gelaufen und habe gesehen, wie im Hirschpark die Bäume in alle Richtungen gefallen sind.» Ernst Steiner drehte um und ging ins Büro, wo er auf seine Mitarbeitenden traf. «Ich musste niemanden anrufen – alle wussten, was zu tun ist.» Einer dieser Mitarbeiter, der den Sturm Lothar im Forstbetrieb Region Zofingen miterlebt hat und auch heute noch für den Gemeindeverband tätig ist, ist Förster Daniel Gautschi. Am 26. Dezember 1999 hatte er seine Schwiegereltern zu Besuch. Die Weihnachtsfeier sollte gerade starten, als «Lothar» durchs Mittelland fegte.
«Lothar» war der stärkste der vier grossen Stürme seit 1990
Ernst Steiner ist seit letztem Jahr pensioniert und hat die Leitung des Forstbetriebs in andere Hände gelegt. Trotzdem geht er als Zeitzeuge mit Daniel Gautschi zurück in den Wald. Zu den Flächen, die es an jenem Stephanstag im Jahr 1999 am schlimmsten erwischt hat. Den ersten Halt machen sie in Murgenthal im Boonwald. Das Waldstück auf der Gruberhöhe gehört der Ortsbürgergemeinde Zofingen. Links der Strasse befindet sich dichter Wald mit Weisstannen, rechts ist ein lichtes Waldstück, auf dem heute Birken und Lärchen stehen. Die dichten Brombeerranken am Boden sind vom Schnee bedeckt. «Hier lag alles kreuz und quer», erinnern sich Ernst Steiner und Daniel Gautschi mit Blick auf das lichte Stück Wald. Die Mitarbeiter des Forstbetriebs haben die vom Sturm umgeworfenen Bäume gefällt und das Waldstück nachher grösstenteils sich selbst überlassen. Einige Lärchen haben die Förster gepflanzt, die Birken sind von alleine gewachsen. Naturverjüngung nennt sich das, wenn die Bäume selber spriessen, stark werden und aus der Lichtung langsam wieder ein Wald wird. «Der Vorteil der Naturverjüngung ist, dass nicht alle Bäume gleich gross und gleich alt sind. Das gibt bessere Stabilität bei einem nächsten Sturm», erklärt Daniel Gautschi. Ernst Steiner ruft in Erinnerung, dass der Wald in der Region Zofingen nicht nur vom Sturm Lothar geprägt ist – obwohl dies der stärkste der vier grossen Stürme seit 1990 war. «Vivian» fällte im Jahr 1990 rund 13 000 m3 Holz auf dem Gebiet des Forstbetriebs. «Lothar» mähte 1999 rund 60 000 m3 um. Das ist viermal so viel, wie in einem normalen Jahr geschlagen wird. Der Gewittersturm, dem im Jahr 2011 viele Bäume auf dem Heitern zum Opfer fielen, sorgte für 40 000 m3 gefälltes Holz. Der Sturm Burglind am 3. Januar 2018 hatte eine Zwangsnutzungsmenge von rund 18 000 m3 zur Folge.
Zwei Jahre dauerte es, bis die Sturmschäden beseitigt waren
Da «Lothar» in der gesamten Schweiz rund 13 Millionen m3 Holz fällte, Europaweit gar 200 Millionen m3, fiel der Holzpreis quasi über Nacht um 50 Prozent. «Und der Holzmarkt hat sich lange nicht mehr erholt», erinnert sich Ernst Steiner. Auch die nachfolgenden Borkenkäfer-Jahre und Trockenperioden haben nicht dazu beigetragen, dass sich die Situation entspannt hat. Der Regionale Forstbetrieb, der am 1. Januar 2000 gestartet ist, benötigte zum Aufräumen der Lothar-Schäden rund zwei Jahre. 110 Todesopfer hat der Sturm in Europa verursacht, 14 davon in der Schweiz. «Und bei den Aufräumarbeiten gab es nochmals 15 Tote», erzählt Ernst Steiner. Das auf «Lothar» folgende Tiefdruckgebiet brachte Nassschnee mit. Dieser legte sich auf die gebogenen Bäume, die eh schon unter Spannung standen. So wurde die Arbeit im Wald noch gefährlicher.
Stabiler Wald, der Stürmen und Klimawandel widersteht
In Absprache mit dem Kanton haben die Förster nach dem Aufräumen Waldstücke neu angepflanzt. Dabei war das generelle Ziel des kantonalen Forstdienstes, den Laubholzanteil auf den Schadenflächen zu erhöhen. Am Gländweg in Vordemwald wurde dies beispielsweise mit rund 1 Meter grossen Buchensetzlingen erreicht. Diese sind nach 20 Jahren zu einem dichten Wald herangewachsen, dessen Bäume in akkuraten Reihen stehen.
Etwas anders sieht der Eichenwald auf der Chratzere in Vordemwald aus. Um der Natur auf die Sprünge zu helfen, haben die Förster Eicheln gesammelt und alle ein bis zwei Meter zwei bis drei Stück in der Erde vergraben. Heute steht auf der Chratzere anstelle des bisherigen Fichtenwaldes ein Eichenwald. Daniel Gautschi holt den Meter aus der Hosentasche und misst nach. «15 Zentimeter beträgt der Durchmesser dieses Stammes», sagt er. Da die jungen Bäume nicht gepflanzt worden sind, stehen sie weniger in Reih und Glied als der Buchenwald am Gländweg.
Die Wunden im Wald schliessen sich langsam
Die beiden Förster stellen mit Genugtuung fest, dass auf den durch den Orkan Lothar verursachten Schadenflächen in den letzten 20 Jahren wieder junge Waldbestände entstanden sind – allerdings entsprechen sie noch nicht überall ihren Vorstellungen. Die Prozesse im Wald verlaufen langsam und unspektakulär. Deshalb besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich im Verlauf der nächsten Jahrzehnte naturnahe und stabile Waldbestände entwickeln werden, welche einem nächsten Jahrhundert-Sturm und auch dem Klimawandel, welcher den Bäumen in den letzten Jahren ebenfalls stark zugesetzt hat, widerstehen werden.
Im Aargau drei Menschen getötet
«Der orkanartige Sturm, der am Stephanstag von Westen her über die Schweiz gezogen ist, hat mindesten elf Tote – davon drei im Aargau – gefordert. Die Spitzenwerte – bis zu 250 Stundenkilometer – übertrafen diejenigen des Sturms Vivian. Der Bundesrat hat betroffen reagiert.»
Gute Besserung lieber René Pletscher «Gerade als unser René Pletscher am gestrigen Stephanstag sein Eigenheim verlassen hatte, um in sein Auto zu steigen – wir erwarteten ihn auf der Redaktion – löste sich vom Dach seines Hauses ein Ziegel, der ihn am Kopf schwer verletzte. René Pletscher musste ins Spital Zofingen überführt werden.»
«Kurt» richtete enorme Schäden an «Der schreckliche Orkan Kurt von gestern hat auch im Suhre-, Uerken- und Ruedertal erhebliche Spuren hinterlassen. Am meisten betroffen sind die Waldregionen, wo der Sturm teilweise ganze Flächen ‹kahlrasiert› hat.»
Chaos und Millionenschäden «Die orkanartigen Stürme haben am Stephanstag in der Zentralschweiz Millionenschäden angerichtet. Im Kanton Zug starb ein Mann, als er vom Dach gefegt wurde. Mehrere Menschen wurden zudem verletzt. Auch in der Region stürzten unzählige Bäume um und viele Hausdächer wurden abgedeckt. Bereits am Weihnachtstag war ein Sturm mit Böenspitzen von 200 km/h über die Region hinweggefegt.»
Aufräumen nach dem Orkan «Ein Tag nach dem verheerenden Orkan, der Schäden von riesigem Ausmass angerichtet hat, geht es überall im Land ans grosse Aufräumen. Das Aargauische Versicherungsamt geht von einer Schadensumme in zweistelliger Millionen-Höhe aus. Wie der Chef der Abteilung Gebäudeversicherung, Daniel Hunziker erklärte, dürfte das Schadenmass 20 Millionen Franken betragen. Das Ausmass der Schäden ist damit um ein Mehrfaches grösser als 1990, als der Sturm Vivian über den Aargau fegte.»
Allerorts richteten Sturmböen massive Schäden an «In den Dörfern Safenwil, Walterswil und Oftringen haben die Sturmböen Schäden hinterlassen, die noch nach Jahren sichtbar sein werden. Massiv betroffen ist das Möösli auf Walterswiler Boden, aber auch in Safenwil gibt es mehrere Direktbetroffene, die unter den Verwüstungen des Sturmes leiden. Und auf dem Schneckenberg in Oftringen haben Bäume gar ein Haus zugedeckt. Überall ist man schon mit den Aufräumarbeiten beschäftig.»
«Über 90 Prozent vom Wald stehen noch» «Nach dem Sturm: Ein Rundgang durch den Schöftler Wald mit Förster Walter Gerber.»
Aufräumarbeiten in vollem Gange «Der Orkan Lothar hat in der Innerschweiz Schäden von mehreren Dutzend Millionen Franken angerichtet. Über tausend Personen waren am Montag daran, den Schutt wegzuräumen und Reparaturen auszuführen.»
Keine Spaziergänge im Wald tätigen «Aargauer Förster warnen: Die auf über 500 Meter happig ausgefallenen Nassschneefälle haben die Situation in unseren Wäldern dramatisch verschärft. Unter der Schneelast drohen bereist angeschlagene Bäume umzustürzen.»
Sturm Lothar: 7000 Schäden im Kanton Aargau gemeldet «Die Zahl der vom Sturm Lothar im Kanton Aargau beschädigten Häuser ist höher als ursprünglich angenommen. Beim Versicherungsamt sind bis gestern 7000 Schadenmeldungen eingegangen.