
Manieren sind mir nicht wurst
Unlängst war ich bei einem gediegenen Dinner. Nicht, dass ich solch eher steife Anlässe besonders liebe. Aber so zwei, drei Mal im Jahr finde ich es spannend, vor dem Mahl eine extra angefertigte Menükarte zu studieren, mehrere Besteckeinheiten und eine Stoff- statt Papierserviette neben dem Teller zu haben, mit Menschen am festlich gedeckten Tisch zu sitzen und zu diskutieren, mit denen ich sonst kaum ein Abendessen einnehmen würde. An solchen Anlässen könnte man meinen, alle Anwesenden würden die grundlegendsten Tischmanieren kennen. Dass man erst mit dem Speisen beginnt, wenn alle ihren Gang serviert bekommen haben, dass man vor dem Sprechen den Bissen hinunterschluckt, dass man mit der Serviette den Mund abwischt und nicht die Brille putzt, dass man sich von den Tischgenossen verabschiedet, ehe man geht.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe weder den Knigge gelesen, noch würde ich meine Kinder in einen Umgangsformenkurs schicken. Aber ich lege Wert auf Anstand und Respekt. Wie sagte schon mein Vater: «Ein Grüezi, ein Adieu und ein Danke kosten und schaden nichts und ‹bitte› ist kein Zauberwort, sondern nur anständig.»
Wenn wir schon bei Essen und Anstand sind. Neulich war ich mit meiner Familie wandern. Als wir um die Mittagszeit bei einer wunderschönen, grossen Feuerstelle eintrafen, loderten dort bereits die Flammen. Grosseltern und deren zwei Enkel hatten den Tisch in Beschlag genommen. Höflich – aber eigentlich nur rhetorisch – erkundigte ich mich, ob es in Ordnung sei, wenn wir auch vier Cervelats auf den riesigen Rost legen würden. «Lieber nicht», war die Antwort, «es kommen noch weitere Bekannte, die mit uns Grillen möchten.» Dein (öffentlicher!) Grill ist nicht mein Grill, dachte sich wohl jene Familie. Und liess demonstrativ die Hunde neben meinen Mädchen Löcher buddeln.
Das ist nicht die Gesellschaft, die ich mir beim Essen wünsche. Damit meine ich weniger die Vierbeiner als vielmehr die arroganten Zweibeiner. So schulterten wir die Rucksäcke und marschierten ein Stück des Wanderweges retour, heizten an einer kleineren Feuerstelle ein, schnitzten Stecken, brieten Würste und genossen auf einer Decke unser «Zmittag». Die Servietten waren aus Papier statt aus Stoff, und vor dem ersten Bissen wünschten wir uns «e Guete». Auch das gehört sich so – beim Picknick im Wald oder im edel dekorierten Saal.
Bsetzistei ist die wöchentlich erscheinende Kolumne aus der Feder der Redaktorinnen und Redaktoren des Zofinger Tagblatts und der Luzerner Nachrichten.