
Marco Thaler: «Mama, ich probiere es nochmal»
Wie jetzt? Erwartet haben wir einen niedergeschlagenen, zweifelnden Marco Thaler. Doch nach zwei Stunden angeregter Diskussion im Park des Aarauer Aeschbach-Quartiers verabschiedet er sich gut gelaunt mit den Worten: «Es wird eine lässige Zeit!»
Kreuzbandriss – schon wieder! Die vierte schwere Verletzung innert kurzer Zeit. Es passiert am Freitag 29. Mai, am fünften Trainingstag nach der Coronapause, als Thaler nach einem Zweikampf einen stechenden Schmerz im rechten Knie verspürt. Die ersten Untersuchungen auf dem Platz lassen noch auf Glück im Unglück hoffen. Doch über Nacht schwillt das Knie auf den doppelten Umfang an, der Mannschaftsarzt organisiert auf die Schnelle ein MRI-Röntgen in Zürich, danach hat Thaler bittere Gewissheit.
Die ersten 48 Stunden seien brutal gewesen, verbunden mit vielen Tränen. Doch so weit wie die seiner Mutter gehen Thalers Gedanken nie. Ihre erste Reaktion nach dem Anruf des Sohnes: «So – und jetzt ist fertig mit Fussball.» Verständlich. Nochmals die monatelange Schinderei allein im Kraftraum – und für was? Um für ein mittelmässiges Salär in der unbeachteten Challenge League zu kicken? Warum nicht auf das andere Talent setzen, mit dem Thaler gesegnet ist, auf seine Intelligenz, und in der Berufswelt Fuss fassen? Thalers Antwort: «Mama, ich probiere es nochmal.»
Die Argumente dafür mögen abgedroschen klingen, doch Thaler spricht so klar und voller Leidenschaft, dass man ihm die Worte abnimmt: «So ein Ende kommt nicht in Frage. Den Bettel hinwerfen, wenn es eine gute Chance gibt, wieder eine tragende Rolle beim FC Aarau zu spielen? Nein, dafür liebe ich den Fussball und den Club zu sehr. Ich bin medizinisch in den besten Händen, das Rehazentrum ist im Haus nebenan und durch die Erfahrungen nach dem ersten Kreuzbandriss weiss ich genau, was wann auf mich zukommt.»
Thaler hat bereits Pläne erstellt für jede Woche im Aufbautraining, er freut sich auf die «spannende Zeit» und sagt: «In den Momenten, in denen die ersten drei Verletzungen passiert sind, war ich mit dem Kopf woanders, bei den schlechten Resultaten oder Zukunftsgedanken. Dieses Mal war es einfach Pech, niemand kann etwas dafür. Das macht es einfacher, den Fokus nach vorne zu richten.»
Interesse aus Basel und der geplatzte Wechsel zum FC Lugano
Der Wohler Marco Thaler wird gerne als Prototyp für den «Aargauer Weg» vom fussballbegeisterten Bub zum Berufsfussballer genannt: Erste Gehversuche beim FC auf der Wohler Niedermatten, mit 15 der Übertritt in den Junioren-Spitzenfussball beim «Team Aargau», nach der U18 zwei Jahre Angewöhnung an den Erwachsenenfussball beim Erstligisten FC Baden und 2014 schliesslich der erste Profivertrag beim kantonalen Aushängeschild im Brügglifeld. Nebenbei absolviert Thaler in Aarau die Sportkanti – Abschlussnote 5,2. Auf dem Weg nach oben scheinen keine Grenzen gesetzt, gleich 17 (!) Berater melden sich nach dem Debüt in der Super League, auch der damals noch alles dominierende FC Basel signalisiert Interesse. Thaler aber drückt aufs Bremspedal, will erst im gewohnten Aarauer Umfeld als Profi Fuss fassen.
Ein Vernunftentscheid, der nicht belohnt wird: Im Januar 2016, Thaler ist 21, schlägt die Verletzungshexe erstmals zu – Fussbruch. Exakt ein Jahr später das Gleiche nochmals. Weitere 14 Monate später der erste Kreuzbandriss, Thaler steht damals kurz vor der Unterschrift beim FC Lugano. Die Tessiner ziehen sich zurück, stattdessen muss Thaler froh sein, von Aarau-Sportchef Sandro Burki einen Vertrag bis 2021 offeriert zu bekommen. Im Frühjahr 2019 wäre er wieder bereit für Einsätze, muss die Aarauer Aufholjagd vom Tabellenende in die Barrage aber mehrheitlich von der Bank aus verfolgen, da Trainer Patrick Rahmen in der Innenverteidigung keinen Grund zum Wechseln hat. Erst im vergangenen Sommer verschmelzen Anspruch und Realität wieder, nach dem Abgang von Nicolas Bürgy zu YB wird Thaler Vizecaptain und ist fortan gesetzt.
Ein Führungsspieler muss kein Lautsprecher sein
Ehe Corona die Saison abrupt unterbricht, ist Thaler im wackligen Aarauer Abwehrverbund noch der stabilste und auf dem Weg zurück zu alter Stärke. Die spielfreie Zeit nutzt er nicht nur, um sich weiter körperlich zu verbessern, er arbeitet auch an seiner Rolle innerhalb der Mannschaft, in welcher Führungspersönlichkeiten rar sind. Das Buch «Überzeugt» eines Wirtschaftspsychologen lehrt Thaler, dass Vorangehen und Ansehen im beruflichen Umfeld nicht heissen muss, viel und laut zu reden.
Thaler kommt gestärkt und voller Tatendrang aus der Zwangspause: Als der FC Aarau am 25. Mai das Mannschaftstraining wieder aufnimmt, ist er bei den physischen Tests ganz vorne dabei. Trainer Patrick Rahmen schwärmt vom sportlichen und mentalen Eindruck, den sein Abwehrchef beim Wiedersehen hinterlässt.
Was für den ganzen FC Aarau gilt, hätte für Marco Thaler noch ein bisschen mehr gegolten: Nach Corona sollte alles besser werden als zuvor. Thaler war bereit, für die vielleicht letzte Chance, doch noch den Sprung in eine höhere Liga zu schaffen.
Ob dieser Zug nach dem erneuten Rückschlag endgültig abgefahren ist? Er lächelt, ehe er sagt: «Was bringt es mir, darüber den Kopf zu zerbrechen? Die neue Situation eröffnet neue Perspektiven: Neben der Reha habe ich Zeit, mein Fernstudium in Wirtschaft schneller voranzutreiben. 2021 will ich dann angreifen, um wieder die schönen Seiten des Fussballs zu erleben.»
Während Schneuwly und Neumayr zögern, greifen die FCA-Fans zu
FC Aarau Markus Neumayr, Marco Schneuwly, François Affolter, Giuseppe Leo, Damir Mehidic und Ersatzgoalie Anthony von Arx: Diese sechs Spieler haben am 30. Juni auslaufende Verträge, die der FC Aarau grundsätzlich alle bis zum neuen Saisonende am 31. Juli verlängern will.
Zu welchen Konditionen? «Wir machen ein faires Angebot», sagte Sportchef Sandro Burki vergangene Woche. Details nannte Burki nicht, den gleichen Lohn wie bis anhin bietet der FCA dem Sextett jedoch kaum an; die Offerte dürfte eine kleine Lohnreduktion beinhalten.
Diese Woche nun hat Burki mit den Spielern gesprochen, konnte aber am Donnerstag noch keine Einigung vermelden. Laut «Blick» sind es vor allem die Grossverdiener Neumayr und Schneuwly, die zögern. Neumayr sagt: «Das Risiko ist auf der Seite des Spielers.» Und meint damit eine allfällige Verletzung, die ihn als Spieler in eine schlechte Position bringen würde in Verhandlungen mit einem potenziellen neuen Arbeitgeber.
Bei Neumayr riecht es trotzdem nach einem Verbleib in Aarau. Gut möglich, dass dieser sogar über den 31. Juli hinausgehen wird. Schon länger signalisieren dies sowohl der FCA als auch sein Spielmacher. Der 34-jährige Neumayr ist mit sechs Toren und sieben Assists der interne Topskorer und einer der raren FCA-Profis, die ein Spiel im Alleingang entscheiden können.
Bei Schneuwly indes, mit sechs Toren ebenso treffsicher wie Neumayr, ist die Ausgangslage anders: Zwar hat auch er ein Angebot zur Vertragsverlängerung bis am 31. Juli vorliegen, danach aber soll Schluss sein beim FCA. Wobei: In den Spielen vor der Corona-Pause zeigte Schneuwlys Formkurve nach oben, weshalb sich die Verantwortlichen noch nicht definitiv gegen eine Vertragsverlängerung über die laufende Saison hinaus entschieden haben.
Die Zeit drängt: Bis zur Saison-Fortsetzung am 19. Juni auswärts gegen GC soll Klarheit herrschen, welche Spieler dem FCA in den verbleibenden 13 Partien zur Verfügung stehen.
Mehr Erbauliches kann der FC Aarau von der Ticketfront vermelden, wo sich einmal mehr die besondere Treue seiner Fans herausstellt: Bislang haben sich 70 Prozent der 2136 Saisonkarten-Inhaber bereit erklärt, auf die Rückerstattung für die wegen Corona verpassten Heimspiele zu verzichten. Mehr noch: Die meisten von ihnen haben sogleich das Abo für die neue, im September beginnende Saison 2020/21 verlängert. Lediglich 11 Saisonkarten-Besitzer wollen anteilmässig ihr Geld zurück. Geschäftsführer Roland Baumgartner richtet sich an die Fans: «Ein herzliches Dankeschön für die grosszügige Unterstützung des FC Aarau, das ist nicht selbstverständlich.»
Anfang nächster Woche will der FCA informieren, wie er bis Ende Saison die rund 150 freien Plätze pro Heimspiel zu verteilen gedenkt.