Maskenpflicht und Versammlungsverbot: Bundesgericht lässt Covid-Skeptiker abblitzen

Waren die Veranstaltungsverbote wirklich gerechtfertigt? Und ist die Maskenpflicht nötig? Nein, fanden einige Schweizer. Vier von ihnen, darunter SVP-Nationalrat Pirmin Schwander, sind vor Bundesgericht gezogen. Sie wehrten sich – voneinander unabhängig – gegen Massnahmen, die ihre Wohnkantone im vergangenen Sommer/Herbst angeordnet hatten; noch bevor der Bund einschneidendere Massnahmen verfügte. Corona sei mit einer Grippe vergleichbar, argumentierten die Männer in ihren jeweiligen Beschwerden zu den Massnahmen, die inzwischen nicht mehr in Kraft sind.

In Lausanne hatten sie keine Chance. Dies zeigen die am Mittwoch veröffentlichten drei Urteile des höchsten Schweizer Gerichts. Das Bundesgericht hat die Beschwerden abgelehnt, die namentlich die Kantone Schwyz und Freiburg betrafen.

Warum waren die einschneidenden Massnahmen gerechtfertigt? Und wie sollen Behörden in einer Pandemie überhaupt entscheiden, wenn die Wissenschaft auch noch nicht sicher ist, was passiert? Das hat das Bundesgericht auch erklärt. Dies sind die wichtigsten Punkte der Urteile:

Alles korrekt

Der entscheidende Inhalt der Urteile zuerst: Das Bundesgericht urteilt, das die von den Kantonen Schwyz (Versammlungsverbot) und Freiburg (Maskenpflicht) angeordneten Massnahmen verhältnismässig waren. Und sie hatten auch eine gesetzliche Grundlage. Zwar sind die entsprechenden Bestimmungen im Epidemiengesetz laut den Bundesrichtern relativ unbestimmt formuliert. Dies bedeute aber nicht, dass die Grundrechtseinschränkungen deshalb übertrieben gewesen wären. Es bedeute einzig, dass die Behörden umso genauere Abklärungen machen müssten, bevor sie eine Verfügung anordnen. Konkret müssen sie klären, ob die Massnahmen «in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung» zumutbar seien. Dabei müssen sie laut Bundesgericht auch «die negativen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Massnahmen» berücksichtigen und die Folgen der Krankheit mit den Konsequenzen der Massnahmen abwägen. Ein weiterer Aspekt: Die Schwere einer drohenden Krankheit.

Ob Bundesrat oder kantonale Behörden: Sie haben laut Bundesgericht einen Ermessensspielraum bei den Massnahmen. Und Massnahmen dürfen sich später auch als übertrieben erweisen.

Ob Bundesrat oder kantonale Behörden: Sie haben laut Bundesgericht einen Ermessensspielraum bei den Massnahmen. Und Massnahmen dürfen sich später auch als übertrieben erweisen.

Keystone/Peter Klaunzer

Grundsätzlich gesteht das Bundesgericht ein, dass die Behörden dabei einen «relativ bedeutenden Beurteilungsspielraum» hätten. Es schränkt aber gleichzeitig ein: So dürften «nicht beliebig strenge Massnahmen getroffen werden, um jegliche Krankheitsübertragung zu verhindern». Die Behörden dürfen auch nicht von einem Bei «Worst-Case-Szenario» ausgehen; sie müssen die wahrscheinlichen Szenarien berücksichtigen. Es dürfe auch keine «Null-Risiko»-Strategie gefahren werden, sondern es müsse nach dem akzeptablen Risiko gefragt werden. In den behandelten Fällen sieht das Bundesgericht diese Kriterien als erfüllt an.

Nicht jeder Entscheid kann und muss vollständig wissenschaftlich abgestützt sein

Wie trifft man Entscheide in einer Pandemie, über die man noch nicht alles weiss? Und wie kann man unter diesen Umständen sagen, ob Verfügungen der Behörden überhaupt angemessen sind? Das Bundesgericht sagt, man dürfe nicht den Anspruch haben, dass die Massnahmen später einer wissenschaftlichen Prüfung stand hielten. Es sei durchaus möglich, dass die angeordneten Massnahmen «mit besserem Wissen später als unnötig erscheinen». Dies liege aber in der Natur der Sache. Es gebe «bei neu auftretenden Infektionskrankheiten typischerweise eine hohe Unsicherheit über Ursachen, Folgen und geeignete Bekämpfungsmassnahmen». Man könne nicht erst dann Entscheide treffen, «wenn wissenschaftliche Klarheit vorliegt». Jede Beurteilung sei «zwangsläufig provisorisch», jede Massnahme müsse quasi «mit einem unvollständigen Kenntnisstand» getroffen werden. Wichtig sei, dass die Massnahmen jeweils «aufgrund des jeweils aktuellen Wissensstandes getroffen werden.» Für diesen braucht es zumindest, so die Richter, eine «erhebliche Plausibilität». Und je länger Freiheitsbeschränkungen dauern würden, umso stärker müsse die Risikoabschätzung wissenschaftlichen abgestützt sein.

Maskenpflicht ist sinnvoll

Auf eine Beschwerde aus dem Kanton Freiburg hin äussert sich das Bundesgericht konkret zur Maskenpflicht in Läden. Beschwert hatte sich ein Mann, der fand, seine persönliche Freiheit werde eingeschränkt, weil er sich etwa nicht mehr nonverbal seine Gefühle ausdrücken könne. Zudem könne die Maske zu Kopfweh führen. Das Bundesgericht sieht es jedoch anders: Es hält die Maskenpflicht für einen geringen Eingriff. Denn einerseits sei nur betroffen, wer älter als 12 Jahre sei. Zudem kaufe man nur «wenige Stunden pro Woche» ein und für alle, die die Maske nicht tragen wollten, gebe es auch die Möglichkeit, über das Internet einzukaufen. Und wer gesundheitliche Probleme habe, könne mit ärztlichem Attest von der Maskenpflicht befreit werden.

Das Bundesgericht hiess die Maskenpflicht in Freiburger Läden gut.

Das Bundesgericht hiess die Maskenpflicht in Freiburger Läden gut.

Severin Bigler

Insgesamt müsse das Maskentragen «aufgrund des heutigen Wissensstandes auch als geeignet gelten, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen», widerspricht das Gericht der These, die Masken hätten keinen Nutzen. Insbesondere aber, so die Lausanner Richter, erlaube das Maskentragen «den Verzicht auf einschneidendere Massnahmen wie etwa der Schliessung von Geschäften».

Ist Covid wirklich nur eine Grippe?

Bei einer Grippe sterben jedes Jahr Menschen – und doch gibt es keine Massnahmen wie bei Covid. Damit argumentierten die Beschwerdegegner. Dagegen hält das Bundesgericht fest: Es sei gerechtfertigt gewesen, anders als in Grippejahren, weiterführende Massnahmen zu ergreifen. Die Sterblichkeit durch Covid sei «signifikant höher» als bei einer Grippe, so die Richter. Und: «Je grösser das Risiko ist, desto eher sind risikoreduzierende Massnahmen gerechtfertigt».

Covid ist mehr als eine Grippe: Das Bundesgericht widerspricht den Beschwerdeführern.

Covid ist mehr als eine Grippe: Das Bundesgericht widerspricht den Beschwerdeführern.

Pixelio

Zwei Unternehmer, die sich gegen die Schwyzer Massnahmen wehrten, gaben an, dass Covid überschätzt werde. Sie argumentierten, die Übersterblichkeit sei nicht höher als in früheren Jahren. Dem widerspricht das Bundesgericht einerseits. So sei etwa im vierten Quartal 2020 ein deutlicher Anstieg der Todesfälle bei den Über-80-Jährigen festzustellen. Man müsse sich fragen, «wie hoch die (Über-)Sterblichkeit ohne die getroffenen Massnahmen gewesen wäre», so die Richter. Es sei auch nicht relevant, ob die Intensivstationen überlastet gewesen seien oder nicht. Relevant sei die Frage, ob es ohne die Massnahmen eine Überlastung hätte geben können, so die Richter. Dies könne zwar nicht mit «wissenschaftlicher Genauigkeit» gesagt werden. «Es ist jedoch plausibel, dass die Übersterblichkeit und die Belastung der Spitäler ohne die getroffenen Massnahmen höher gewesen wäre.» Und eine «hinreichende Plausibilität», dass die Massnahmen gewirkt hätten, reiche als Begründung für die Einschränkungen.

Versammlungsverbot hält

Zwar sei die Versammlungseinschränkung tatsächlich «eine zumindest teilweise schwere Grundrechtseinschränkung», sagt das Bundesgericht. Doch grundsätzlich sei dies «ein taugliches Mittel, um die Verbreitung einer Krankheit zu reduzieren.» Denn die Übertragung erfolge von Mensch zu Mensch. Deshalb sei plausibel, dass es an Veranstaltungen gehäuft zu Ansteckungen kam. «Es leuchtet deshalb ein, dass eine Einschränkung von zwischenmenschlichen Kontakten geeignet ist, die Übertragung von Viren zu reduzieren.» Zudem seien die Veranstaltungen damals nicht verboten, sondern begrenzt gewesen.