
Mickael Almeida fühlt sich beim zweiten Anlauf beim FC Aarau endlich geborgen
Zum Schluss des Gesprächs die Frage: «Welchen Beruf hättest Du gewählt, wenn es nicht zum Profifussballer gereicht hätte?» Mickael Almeida zögert mit der Antwort, als wüsste er nicht genau, ob er das nun sagen soll oder nicht. Dann aber: «In der Schule war ich gut in Mathematik, ich liebe Zahlen, ich würde wohl etwas mit Finanzen machen. Und später möchte ich Kinder haben und mit meiner Familie auf einem kleinen Bauernhof in Südfrankreich leben, weit weg von der Stadt, mitten in der Natur.»
Rückblick: Ein brütend heisser Sommertag im Juli 2018. Im Stadion Brügglifeld stellen sich die Spieler auf für das Mannschaftsfoto, nur einer darf nicht, weil sein Leihtransfer vom FC Sion zum FC Aarau noch nicht fix ist. Also sitzt Mickael Almeida auf einer der Ersatzbänke und wartet. Auf die Frage, wie es ihm gehe und ob er denn wirklich nach Aarau wechseln wolle, kommt nicht mehr zurück als ein scheues «Bonjour, merci, ça va bien».
Zweieinhalb Jahre später: Almeida ist wieder da – und wie! Drei Tore in sechs Partien seit der Rückkehr aus Chiasso. Doch da steht auch ein anderer Mensch vor uns, als wir uns zum Interview treffen. Nicht nur die Haare sind gewachsen, auch der Charakter und das Selbstvertrauen. Noch während der ersten Frage unterbricht er mich und sagt: «Du brauchst nichts zu fragen, ich erzähle Dir jetzt meine Geschichte hier in der Schweiz.»
Sie beginnt im Sommer 2017. Almeida ist gerade volljährig geworden und hat keine Lust mehr auf Juniorenfussball, in der Profimannschaft von Champions-League-Dauergast Olympique Lyon aber gibt es keinen Platz für ihn. Um seinen Wunsch vom «Männerfussball» zu verwirklichen, muss er die Stadt, in der er aufgewachsen ist und das Fussballspielen erlernt hat, verlassen. Und legt dafür sein Schicksal ein erstes Mal in die Hände eines Beraters. Der Plan scheint aufzugehen: Almeida erzählt, schnell habe sich ein Wechsel nach Neapel abgezeichnet. «Ich war jung und naiv und hörte, dass der Maradona-Klub mich will – natürlich habe ich Ja gesagt.» Doch der Transfer platzt kurz vor der Unterschrift, die Gründe kennt er bis heute nicht, aber: «Es war besser so, die Chancen, bei Napoli durchzustarten, waren rückblickend gleich null.»
Die zwei Versionen des Tränenabgangs
Sein Berater schlägt ihm die Schweiz vor, ein Land, in dem Talente viel Einsatzzeit bekommen würden. Das ist nur die halbe Wahrheit: Dass der FC Sion ein Chaosklub ist, bei dem Worte über Nacht ihre Gültigkeit verlieren, davon weiss Almeida bei der Unterschrift im Wallis nichts. Statt wie versprochen bei den Profis zu trainieren und zu spielen, parkiert Christian Constantin Almeida im U21-Team, so, wie es der Sion-Präsident mit zahlreichen Jungprofis tut, die er auf der ganzen Welt zusammenkauft. Ziel: Einer von 20 schafft den Durchbruch bei den Profis, wird für mehrere Millionen weitertransferiert, womit sich der Aufwand für die 19 anderen rentiert.
Almeida gehört zu den «19», die CC schnell einmal fallen lässt, im Sommer 2018 ist es so weit. Da bekommt in Aarau Sportchef Sandro Burki den Tipp, in Sion gebe es ein Stürmertalent, das wegwolle. Einige Tage später steht Almeida für den FCA auf dem Platz, trifft im Testspiel gegen Thun und später auch gegen den FC Basel. Schnell ist klar: In Aarau wird Almeida seine erste Saison in einer Profimannschaft bestreiten.
Was voller Vorfreude beginnt, endet im Drama. Nach dem historisch schlechten Saisonstart (4 Punkte nach 11 Spielen) setzt FCA-Trainer Patrick Rahmen auf Routine und schnörkellosen Fussball, zum Leidwesen von Dribbelkünstler Almeida, der die Altmeister Stefan Maierhofer und Goran Karanovic vor die Nase gesetzt bekommt. Als er Anfang November 2018 mit dem Tor zum 3:2 in Chiasso Rahmens Job rettet, verabschiedet sich Almeida für zwei Spiele mit der Juniorennationalmannschaft Portugals, im Glauben, nach der Rückkehr nach Aarau wieder bessere Karten beim Trainer zu haben. Das Gegenteil trifft ein, nach einigen weiteren Kurzeinsätzen fällt er komplett ausser Rang und Traktanden; dass Almeida in dieser Zeit einmal eine halbe Stunde zu spät zu einem Mannschaftsessen erscheint, hilft auch nicht.
Als «Tiefpunkt meiner bisherigen Karriere» bezeichnet Almeida das Frühjahr 2019. Seine Version: Im Januar habe ihm Rahmen noch die Absicht mitgeteilt, ihn längerfristig an den FCA binden zu wollen, ihn danach aber kaum mehr beachtet. Das nächste längere Gespräch habe im Trainerbüro stattgefunden, wo Rahmen ihm den sofortigen Abgang aus Aarau nahegelegt habe mit der Begründung, nur noch Spieler, die für Einsätze vorgesehen seien, sollen am Training teilnehmen. Worauf er, Almeida, das Brügglifeld unter Tränen verlassen habe. Rahmen hingegen erzählte einst, Almeida sei zu ihm ins Büro gekommen und habe in einem emotionalen Gespräch um die Freistellung gebeten, er komme mit dem Druck nicht klar.
Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen – Fakt ist: Almeida beendet das erste Kapitel beim FCA vorzeitig, flüchtet nach Lyon zur Familie und knabbert am Gedanken: «War’s das mit der Profikarriere?»
Die nächste Ausfahrt auf Almeidas Odyssee ist Chiasso. Nicht das Karriereende, aber nahe dran – die Tessiner gelten als Auffangbecken für Fussballer, die sonst überall Absagen kassiert haben. Wieder erzählt ihm der Berater das Blaue vom Himmel: Ein Transfer nach Osteuropa inklusive dickem Gehaltscheck sei bereits eingefädelt, Almeida müsse in Chiasso nun einfach einige Monate gut spielen. Das tut er dann auch – doch vom Berater hört er nichts mehr. Stattdessen verletzt er sich im Sommer 2020 ausgerechnet im Heimspiel gegen Aarau schwer – Mittelfussbruch. Eine Operation ist zwingend, doch weil Chiasso trödelt, organisiert Almeida alles selber, reist zu seinem Vertrauensarzt nach Lyon, der ihn zusammenflickt.
«Mit den Teamkollegen hatte ich es gut, aber der Rest ist schwierig in Chiasso», sagt Almeida, ins Detail darf er nicht gehen, schliesslich ist er noch bis 2023 vertraglich an die Tessiner gebunden. Den langfristigen Vertrag hat er während des Aufbautrainings nach der Fussoperation unterschrieben – ob freiwillig, diese Frage lässt er unbeantwortet.
«Willst du nach Aarau? Dann halte die Füsse still»
Im Herbst 2020 die Rückkehr auf den Platz, doch mit Baldo Raineri ist nun ein Trainer in Chiasso, zu dem Almeida keinen Draht findet – umgekehrt genauso. Seit dem 1.Januar 2021 habe Raineri nur einmal mit ihm gesprochen: Um ihm mitzuteilen, dass er ab sofort nicht mehr mittrainieren dürfe.
«Habe ich auch einmal Glück?» Diese Frage habe er sich damals nicht zum ersten Mal gestellt. Und siehe da: Anfang Februar klingelt Almeidas Handy – Stephan Keller! Der Trainer des FC Aarau sagt zu Almeida: «Willst du zurück nach Aarau? Dann halte die Füsse still, du hörst wieder von uns!» Einige Tage später ist er tatsächlich zurück im Brügglifeld, mittlerweile 22 Jahre alt und wie er sagt: «Erwachsen!»
Was passiert im Sommer, wenn der Leihvertrag zwischen Aarau und Chiasso endet? Natürlich hoffe er, in Aarau bleiben zu dürfen – ob es so komme, sei Sache der Vereine. Er geniesse den Moment und das Gefühl, beachtet zu werden und wichtig zu sein. Und dann setzt Almeida zum Loblied auf Stephan Keller an: «Als er im Frühjahr 2019 Assistenztrainer war, sorgte er sich im Gegensatz zu Patrick Rahmen um mich. Stephan war in dieser schwierigen Zeit eine wichtige Bezugsperson. Seither hatten wir regelmässig Kontakt, umso mehr freut es mich, dass er nun mein Trainer ist. Er weiss genau, wie er das Beste aus mir herausholt.»
Gashi vor Rückkehr, Verboom vor Abgang
Über vier Monate fehlte Shkelzen Gashi dem FC Aarau krankheitshalber – nun scheint der Zeitpunkt der Rückkehr gekommen: Der 32-Jährige, mit sechs Toren immer noch zweitbester FCA-Knipser hinter Stojilkovic (acht Treffer), trainiert seit gut einer Woche wieder mit der Mannschaft und ist gemäss AZ-Informationen bereit für die Aufnahme ins Matchaufgebot von Trainer Stephan Keller. Zumindest mit einem Teileinsatz der Nummer 10 ist im Heimspiel gegen den FC Wil zu rechnen. Des einen Freud, des anderen Leid: Linksverteidiger Bryan Verboom hat sich diese Woche erneut verletzt, nachdem er zuletzt nah am Pflichtspiel-Comeback war. Es laufen Gespräche, ob der Belgier, der seit Saisonbeginn nur drei Teileinsätze bestritt, den FCA bereits vor dem Saisonende wieder verlässt.