«Mit 18 Jahren wirst du zum Eigentum des Staates»

Seit einem Jahr arbeitet der eritreische Menschenrechtsanwalt und Schriftsteller Daniel Mekonnen als Autor im Exil in Luzern. Nun kann er für ein weiteres Jahr dort bleiben und die freie Meinungsäusserung leben. Trotz allen Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat ist Mekonnen zuversichtlich, dass solche rechtsstaatlichen Grundrechte künftig auch in Eritrea möglich sind.

Sie haben Eritrea vor 15 Jahren verlassen und lebten in sieben verschiedenen europäischen Ländern. Wo ist Ihre Heimat?

Daniel Mekonnen: Es gibt für mich keine andere Heimat als Eritrea. Das ist dort, wo ich geboren und aufgewachsen bin.

Was vermissen Sie am meisten?

Das Leben in Eritrea ist locker. Im Sinne, dass du einfach deinen alltäglichen Verpflichtungen nachkommst und nicht zu viel Stress hast. Klar, wirtschaftlich gesehen gibt es viele Herausforderungen. Aber im Vergleich zu Europa helfen einem in Eritrea Verwandte und Bekannte, wenn du Probleme hast. So jedenfalls nahm ich Eritrea vor 15 Jahren wahr – bevor ich Eritrea verliess, um in Südafrika zu studieren. In den letzten 15 Jahren hat sich aber viel verändert, beispielsweise in der Politik. Insofern ist das Leben in Eritrea überhaupt nicht locker heutzutage, deshalb fliehen viele Leute.

Haben Sie ein Beispiel?

Der unbegrenzte Militärdienst. Im Alter von 18 Jahren wirst du wortwörtlich zum Eigentum des Staates. Soldaten haben keine Zukunft und können nicht tun, was sie wollen. In der Schweiz dauert der Militärdienst ein Jahr – dieser ist aber mehr oder weniger freiwillig und man trägt schicke Militärklamotten. Ausser der Militäruniform sehe ich in der Schweiz keine Anzeichen von Gewalt, keine von Leid. Hier kannst du deine Pflicht in Würde erfüllen. Ich erwarte nicht den gleichen Standard in Eritrea, denn in Afrika ist alles anders. Aber der Dienst muss ein zeitliches Limit haben. Offiziell ist der Wehrdienst auf 18 Monate beschränkt, wenn du jedoch einmal aufgelistet bist, wirst du ein Soldat für den Rest deines Lebens und du erhältst keinen Sold. Damit kannst du keine Familie versorgen. Was hast du da für eine Zukunft?

Wie legitimiert sich die Armee?

Die Armee ist seit dem Grenzkonflikt mit Äthiopien Ende der 90er-Jahre in einem Ausnahmezustand. Die Regierung rechtfertigt die stete Militarisierung in diesem Kontext.

Daniel Mekonnen (42) ist ein Menschenrechtsanwalt, -aktivist und Schriftsteller aus Eritrea. Er studierte in Südafrika und kann seit 15 Jahren nicht mehr in sein Heimatland Eritrea einreisen. Er lebte in sieben verschiedenen europäischen Ländern, seit rund zwei Jahren in der Schweiz, seit einem in Luzern. Mekonnen reist aufgrund seiner Arbeit als Menschenrechtsaktivist viel herum. Seine Freunde nennen ihn «international working nomad». Mit seiner Frau, die in Genf lebt, hat er eine 17 Monate alte Tochter.

Wie halten Sie sich auf dem Laufenden, was in Eritrea passiert?

Ich bin regelmässig im Kontakt mit Leuten, die kürzlich das Land verlassen haben. Ich mache das unter anderem für meine Arbeit im Bereich der Menschenrechte. In den letzten zwei Jahren war ich beispielsweise aktiv involviert beim Sammeln von Testimonials für die UNO. Dadurch habe ich viele Asylsuchende und Flüchtlinge aus Eritrea kennengelernt. Ich habe auch regelmässig Kontakt mit Leuten in Eritrea, auf Kommunikationswegen, die ich als sicher und vertrauenswürdig erachte. Aber der Zugang zum Internet ist limitiert.

Leute werden bestraft, weil sie die Regierung kritisieren.

Ja, für Eritreer im Land ist es sehr gefährlich, mit mir oder einem anderen Verräter oder Feind, wie uns die Regierung bezeichnet, in Kontakt zu sein. Wir wollen Bürger nicht unnötig in Gefahr bringen, deshalb haben wir gewisse Vorsichtsmassnahmen, um ihre Identität und Sicherheit zu schützen.

Sie sagten, Sie hätten Testimonials, also Augenzeugenberichte, für den letzten UNO-Bericht über die Situation in Eritrea gesammelt.

Ja, ich führte Interviews, die die UN-Menschenrechtskommission als Testimonials nutzen konnte. Die Kommission sammelte insgesamt Informationen von 800 Individuen in der ganzen Welt. Diese Informationen flossen unter anderem in den letzten UNO-Bericht über die Menschenrechtslage in Eritrea, der im letzten Juni publiziert wurde. Das Fazit dieses Berichts ist, dass es genügend Indizien gibt, dass Eritrea gegen die Menschenrechte verstösst.

Wie ist die Situation in Eritrea aktuell?

Es gibt keine wesentlichen Veränderungen in diesem Land. Die Regierung ist nicht gewillt, an der Menschenrechtssituation irgendetwas zu ändern.

Kann der UNO-Bericht etwas bewirken?

Die UNO arbeitet sehr langsam, Dinge passieren nicht über Nacht. Aber die Menschenrechtskommission forderte die internationale Gemeinschaft auf, etwas an der Menschenrechtslage in Eritrea zu ändern. Wir haben die Hoffnung, früher oder später die internationale Gemeinschaft von ihrer Verantwortung überzeugen zu können, damit in der Folge hohe eritreische Beamte vor Gericht gezogen werden.

Der UNO-Bericht wird von verschiedenen Seiten kritisiert, weil die Kommission nicht in Eritrea war. Wie stellen Sie sich dieser Kritik?

Ich würde diesen Leuten eine einfache Frage stellen: Was würden Sie tun, wenn Sie nicht die Erlaubnis haben, das Land zu besuchen? Die UNO-Menschenrechtskommission wollte ja Eritrea besuchen, aber die Regierung liess das nicht zu.

Einige Schweizer Politiker, die Eritrea besuchen konnten, kritisierten den Bericht ebenfalls.

Ja, aber die wurden von Tony Locher, dem Honorarkonsul Eritreas, eingeladen. Er beschönigt die Verbrechen der eritreischen Regierung. Sie spazierten wahrscheinlich durch die Hauptstadt Asmara und genossen ein paar Cappuccinos. Aber Diktaturen foltern Menschen nicht auf der Strasse, sondern in geheimen Gefängnissen. Diese konnten die Politiker nicht besuchen. Und wenn die uns nun erzählen, dass in Eritrea alles in Ordnung sei, grenzt das an Heuchelei der schlimmsten Sorte. Das kommt einer Beleidigung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen gleich. Aber das sind Politiker, die haben ihre politische Agenda.

Der Umgang mit Eritreern ist stellvertretend für die Migrationspolitik in der Schweiz. Können Sie die Vorbehalte gegen die Immigration verstehen?

Es gibt durchaus Herausforderungen bei der Integration von Neuankömmlingen. Das ist nicht nur ein schweizerisches Problem. Integration ist sehr schwierig, weil es für viele Leute nicht einfach ist, eine fremde Sprache zu lernen. Dies hängt vom Bildungshintergrund und von der Fähigkeit, sich anzupassen, ab. Und wenn du die Sprache nicht kannst, klappt es auch mit der Integration nicht.

In vielen Ländern werden Schriftsteller und Schriftstellerinnen verfolgt, inhaftiert oder gar ermordet. Mit einem Writers-in-Exile-Programm möchte das Deutschschweizer PEN Zentrum (DSPZ) dafür sorgen, dass Menschen, die gegen Missstände anschreiben, eine Zeit lang in Frieden leben und arbeiten können. Das DSPZ hat ein Atelier in Luzern, das zurzeit Daniel Mekonnen für seine Arbeit als Autor zur Verfügung steht. Das Deutschschweizer PEN Zentrum ist als Verein organisiert und finanziert seine Aktivitäten mit Mitgliederbeiträgen und Spenden. Der Vorstand arbeitet ehrenamtlich.

Was kann man besser machen?

Die Immigranten müssen definitiv die hiesige Sprache lernen. Aber was ich diesbezüglich immer wieder betone, ist, dass, bis sie die örtliche Sprache gelernt haben, sie in ihrer Muttersprache unterstützt werdenmüssen. Einige sagen dazu, dass man sie insofern nicht unterstützen sollte, da sie dann nicht ermutigt werden, die neue Sprache zu lernen. In gewissem Masse ist das wahr. Aber auf der anderen Seite leiden sie ohne Unterstützung in der Muttersprache an Informationsmangel, was sie von der Gesellschaft isoliert. Ein Problem ist zudem, dass wir laut Schweizer Beamten nicht genug Leute haben, die auf einem professionellen Level unterrichten können, aber es braucht gar kein so hohes Level des Lehrpersonals, um die Sprache zu lehren.

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Eritreer wieder zurück in ihr Land gehen?

Für Leute, die als Erwachsene wie ich in die Schweiz kamen, ist es nicht schwierig zurückzukehren. Die Mehrheit derer wird die Schweiz wieder verlassen, wenn die Zustände in Eritrea besser sind. Aber für ihre Kinder ist es anders. Eine Person, die hier geboren oder aufgewachsen ist, wird nicht nach Eritrea zurückgehen – das ist doch verständlich. Eine solche Person wird nicht akzeptieren, zurückgehen zu müssen, denn die Schweiz ist ihre Heimat. Also je länger Asylsuchende hier sind, umso schwieriger wird es für sie, wieder nach Eritrea zu gehen.

Haben Sie eine Lösung?

Was ich europäischen Ländern immer wieder sage, ist, dass sie uns helfen sollen, die Regierung in Eritrea abzusetzen. Erstens werden sie dann keine neuen Flüchtlinge mehr erreichen, zweitens werden viele, die bereits in Europa sind, wieder zurückgehen. Aber anstatt das zu tun, vor Ort zu helfen, sendet die EU Geld an die eritreische Regierung – auch die Schweiz prüft, die Entwicklungshilfe wieder aufzunehmen, und will dem Regime Geld schicken. Das Geld geht an die Diktatur, das bringt nichts. Das ist widerwärtig.

Ändert es etwas, wenn der Diktator Isaias Afewerki abgesetzt würde?

Klar würde es etwas ändern. Er ist der Hauptakteur hinter all den Menschenrechtsverletzungen in Eritrea. Und wenn er erstmal abgesetzt wäre, würde es die politische Situation sicherlich ändern. Aber das ist eine von vielen anderen wichtigen Änderungen, die es benötigt. Denn damit ist das Land nicht automatisch stabil und friedlich, aber es wäre ein wichtiger Schritt Richtung friedlichen, politischen Übergang in Eritrea. Bis dann sollten die europäischen Länder ihre Diaspora unterstützen. Es gäbe viele Dinge, die die europäischen Länder tun könnten, aber das tun sie nicht.

Dann ist also das ganze System infiltriert?

Ja, das ganze System hat ein Problem, aber im Zentrum ist dieser Mann, der alles kontrolliert. Klar kann er das dreckige Geschäft nicht alleine erledigen, er gibt Befehle an seine Offiziere und Kommandanten. Diese sind über das ganze System verteilt und setzen die Befehle von oben um.

Eritreer in der Diaspora bezahlen eine 2-Prozent-Einkommenssteuer an Eritrea. Kennen Sie viele Leute, die diese Steuer bezahlen?

Es gibt viele Eritreer, die diese Steuer entrichten, aber die meisten sind Unterstützer des Regimes. Einige sind verwirrt, kennen beispielsweise den Unterschied zwischen Regierung und Nation nicht. Andere haben berechtigte Gründe: Wenn sie die Steuer nicht zahlen, könnten Familienmitglieder in Eritrea in Gefahr geraten. Weiter haben sie Angst vor einer ungewissen Zukunft. Eritrea ist ein Land, das mehrere Jahrzehnte unter verschiedenen Herrschaften gelitten hat. Angefangen bei der Regentschaft durch die Türken, dann die Italiener, die Briten und schliesslich durch die Äthiopier. Für ein Land, das eine so lange Geschichte der Abhängigkeit hinter sich hat, ist eine eigene Regierung ein Gewinn. Viele Eritreer haben Angst, die Unabhängigkeit zu verlieren.

Bezahlen Sie die Steuer ebenfalls?

Nein, ich zahle sie nicht. Und ich habe meinen eigenen Weg, mich vor dieser missbräuchlichen Praxis zu schützen. Aber nicht jede Person ist in dieser glücklichen Lage.

Wie sehen Sie die Zukunft von Eritrea?

Jeder wird letztendlich frei sein. Was auch immer es dafür benötigt. Ich will aber auch global für Menschenrechte einstehen, nicht nur für Eritrea. Es gibt in der ganzen Welt ein hohes Ausmass an Ungerechtigkeit. Wenn wir nicht fähig sind, faire und freie Gesellschaften zu bilden, wird es für die Menschheit als kollektive Gruppe zunehmend schwierig. Es gibt viel Krieg und die globale Krise, die Migrations- und die Sicherheitskrise sind gross.

Und was wünschen Sie sich persönlich?

Ich will einfach nur zurück nach Eritrea gehen, die Universität von Asmara und die Rechtsfakultät wiederherstellen und dort lehren. Ich brauche nicht mehr als das.