
Mit Technik, Kraft und Köpfchen läuft die Fahrt nicht aus dem Ruder – mit VIDEO
Drei Wettbewerbe
Der Pontonierfahrverein Murgenthal erwartet vom 25. bis 27. Juni gegen 750 Wettkämpfer an der Schweizer Meisterschaft im Einzelfahren, dem Kantonal-Bernischen Wettfahren und an den Jungpontonier-Schweizer-Meisterschaften. Letztere übernahmen die Murgenthaler kurzfristig, da dem vorgesehenen Veranstalter der Aufwand und das finanzielle Risiko einer Corona-konformen SM zu gross war. Zeitpläne gibt es auf www.murgenthal2020.ch. Der Anlass findet ohne Zuschauer, ohne Festbetrieb und ohne Sektionsfahren statt. 37 gemeldete Vereine konzentrieren sich aufs Einzelfahren und treten gemäss Schutzkonzept gestaffelt zu ihren Einsätzen an. (gam)
Langsam kommt an jenem Sonntagmorgen Leben ins Vereinshaus der Murgenthaler Pontoniere. Während die einen in der Garderobe ihr Schuhwerk wechseln, machen andere Ruder und Stachel bereit fürs Training auf der Aare. Dann bilden die 20 Männer und Buben zwischen 9 und 67 Jahren Zweierteams, rüsten sich mit Stoppuhr, Zeiterfassungsliste und Bleistift aus und steigen in die Boote. Es ist eine der letzten Übungseinheiten, die die Murgenthaler vor der Schweizer Meisterschaft und dem Kantonal Bernischen Wettfahren vom 25. bis 27. Juni absolvieren. «Konzentriert euch, gebt Gas und habt Spass», sagt Raphael Brönnimann, der Fahrchef – wie die Pontoniere ihren Trainer nennen.
Er bildet im gut neun Meter langen Boot mit Vereinspräsident Michael Wyss ein eingespieltes Duo. Brönnimann steht als Vorderfahrer im Bug, Wyss ist der Steuermann im Heck. An jenem Sonntag darf ich mit den beiden «mittrainieren». Beim Einfahren quer und längs über die Aare sitze ich noch gemütlich und mit Schwimmweste ausgestattet im Boot und bestaune die Bauten, die die Murgenthaler für die Schweizer Meisterschaften mit der Armee errichtet haben. Auf meine erste Übungseinheit in einem Sport, den schweizweit nur etwa 100 Frauen ausüben, habe ich mich so vorbereitet, wie es die Gastvereine auch vor der SM machen werden: Ich studierte die Parcoursskizze im Festführer. Trainings vor Ort darf nur der Gastgeber fahren, Besichtigungen sind am Anlass aufgrund der Schutzkonzepte eingeschränkt möglich. «Einen gewissen Heimvorteil haben wir», betont Raphael Brönnimann, «aber weil die Bedingungen auf der Aare extrem schnell ändern, musst du dann am Tag X vielleicht den Plan, den du dir zurechtgelegt hast, umstellen.»
Wenn die Journalistin paddelt, schwankt das Boot
Mein Plan war, trocken zu bleiben und zu verhindern, dass sich die Weste notfallmässig wegen eines unfreiwilligen Bades aufpumpen muss. Als ich im Boot miterlebe, wie anstrengend stacheln, Pfeiler umkurven und zielsicher landen ist, will ich alles geben, damit der, der mit mir rudert, sich nicht total verausgaben muss, um das Schiffchen in Position zu halten. Bei meinem ersten Versuch mit Stachel und Ruder bin ich dann aber keine grosse Hilfe. Das zuvor ruhig gleitende Boot kommt gegen die starke Strömung auf der Aare kaum noch an. Obwohl ich mich mit meinem vollen Kampfgewicht ins Ruder «werfe», erzeugt mein Einsatz eher eine Wasserschlacht als Antrieb.
«Noch zwei, drei Trainings und dann kommt es gut», scherzt Raphael Brönnimann. Die Euphorie und das Selbstvertrauen zweier ebenfalls anwesenden Jungpontoniere ist nach dem Training grösser als meine. «Heute sind uns ein paar Sachen super gelungen», meint einer, der andere sagt: «Wenn wir mehr Kraft haben, wenn wir grösser sind, läuft es noch besser.» Kraft ist eine Komponente, die für Erfolge auf dem Wasser dienlich ist und mir fehlt, obwohl ich schon gross bin. Im Boot hin und her schaukelnd, ahnte ich, was sonst einen guten Pontonier auszeichnet: Standfestigkeit, Balance, Technik, Geschicklichkeit beim Wechsel von Ruder zu Stachel, Kondition. Raphael Brönnimann ergänzt: «Und du musst das Wasser lesen können, erkennen, wo die Strömungen und Wendungen sind und schnell reagieren, je nachdem, wie sich das Boot verhält.»
Je mehr Zeit man auf dem Fluss verbringe, desto besser funktionierten das Timing oder die Absprache mit dem Partner. Die gebürtigen Neuendörfer Brönnimann/Wyss bringen viele dieser Fähigkeiten und Routine mit. Bei der Stachelfahrt auf dem Originalparcours der SM kommen sie trotzdem nicht an die Bestmarke der Vereinskollegen heran. «Andere hatten heute mehr Biss», gibt Michael Wyss zu – oder weniger «Ballast» an Bord, weil kein Trainingsgast mitfuhr.
Einige der Murgenthaler Fahrerduos simulieren an jenem Sonntag eine komplette Fahrt, wie sie sie am SM-Wochenende dem Kampfgericht und den Zeitmessern präsentieren werden. Nicht alle sind am Ende zufrieden. Einige waren bei der Landung zu ungenau und zu tief, andere verfehlten den am Pfeiler herunterhängenden Lappen oder touchierten bei der Durchfahrt die Stangen. Als der Wind als mögliche Ursache fürs Abdriften eruiert wird, weicht der Frust der Zuversicht, dass es an der SM besser laufen kann. Dass die angestrebten Kränze, die es für jene im vordersten Ranglistenviertel gibt, Tatsache werden.
Sektionsfahren schweren Herzens abgesagt
Keine Kränze gibt es im Sektionsfahren zu holen. Den Wettbewerb, bei dem drei bis fünf Boote eines Vereins gemeinsam eine Übung bewältigen, musste das OK absagen. «Das tut sehr weh», sagt der OK-Präsident der SM Christian Brönnimann, nicht nur, weil die Murgenthaler in jener «Königsdisziplin» meist gut Abschneiden. «Im Sektionsfahren kommt zum Ausdruck, was unseren Sport auszeichnet: gemeinsam als Verein etwas Tolles auf dem Wasser schaffen. Zuhause in dieser Sparte zu glänzen, wäre etwas Besonderes gewesen», sagt der Boninger. Der Verzicht auf jenen Wettkampf, bei dem zeitgleich viele Sportler in den Booten unterwegs sind, sei vernünftig: «Wir hätten nicht garantieren können, dass sich die Vereine vor dem Start und nach dem Aussteigen gemäss Schutzkonzept nicht durchmischen.»
Bei mir mischen sich nach dem Training Respekt vor der sportlichen Leistung der Pontoniere und die Vorfreude auf spannende Wasserfahrten bei der Aarebrücke. Nachdem das Material im Clubhaus verstaut ist, werden organisatorische Details der SM diskutiert: die Verpflegung der Helfer und Sportler, Finessen an den Parcoursbauten und Schutzkonzepte. Es ist spürbar, wie sehr die Murgenthaler in gut zwei Wochen bereit sein wollen für den ersten Wettkampf seit September 2019 – im Boot und in der Organisation. Ich ziehe dann wohl besser mein gewohntes Terrain, fester Boden am Rande der Aare, sowie mein Berufswerkzeug, die Kamera und den Schreibblock, dem Ruder und dem Stachel vor.
Hier gibt es weitere Infos zum dreitägigen Event in Murgenthal.