Nach 21 Jahren im Nationalkader tritt Karateka Dolores Emmenegger von der grossen Wettkampfbühne ab

Da stand sie, bereit für ihre letzte Kata an einer Weltmeisterschaft: Dolores Emmenegger. Die Scheinwerfer waren auf die Luzernerin gerichtet. In der Sporthalle im holländischen Papendal war es mucksmäuschenstill. «Die Matte gehörte mir und ich wollte alles geben, was ich konnte», sagt die 42-Jährige. Bei ihrem letzten Auftritt auf der internationalen Bühne ging die Präsidentin des Karateclubs Strengelbach viel Risiko ein. Kurz bevor sie an der Reihe war, entschied sie, nicht die geplante Kata Kanku-Dai, die 65 Techniken beinhaltet, zu laufen: «Ich war körperlich und emotional nicht mehr fit genug für jene längste Kata und hatte gar keine Lust auf Kanku-Dai», sagt Dolores Emmenegger. Gemeinsam mit ihrem Coach entschied sie sich stattdessen für die einfachere Kata «Garyu», die sie seit längerem nicht mehr präsentiert hatte. «Ich wusste, dass ich damit kaum aufs Podest kommen würde, aber der Moment zählte für mich mehr als eine Medaille. Ich wollte mich mit einer Kata verabschieden, die ich mit Freude und Power laufen kann. Das gelang mir dann auch.» Rang 5 in einem starken Teilnehmerfeld – 25 Athletinnen nahmen teil – war das respektable Ergebnis für Dolores Emmenegger, die das Feld nach der ersten Runde angeführt hatte und auch in der zweiten überzeugte. «Das Finale war mein Ziel, insofern bin ich nicht enttäuscht, dass es kein Edelmetall gab», sagt die Luzernerin.

Der Kopf war völlig leer

Vor dem Einzelwettbewerb der WM hatte Dolores Emmenegger mit Motivationsproblemen gekämpft. Gross war der Frust darüber, wie zuvor der Team-Wettkampf für sie und ihre Mitstreiter, ihren Ehemann André Emmenegger und Simon Birrer, ausgegangen war. Das Trio hatte eine Medaille budgetiert, verpasste aber das Finale. In der Vorrunde erhielt Schweiz I die selbe Note wie Weissrussland. Im Stechen entschied ein Zehntel zugunsten der Weissrussen. «Das war für uns wie ein ‹Chlapf› an den Kopf», sagt Dolores Emmenegger. Statt den Lauf um Podestplätze gab es Rang 5. «Ich konnte nicht mal weinen, ich war total k. o, der Kopf völlig leer.»

Die Luzerner hatten sich die WM anders vorgestellt. Zuerst bekundeten sie Auslosungspech und mussten früh starten zwischen schwächeren Trios. Dies kann ein leichter Nachteil sein bei der Notengebung. Dann zeigten Dolores Emmenegger, André Emmenegger und Simon Birrer, nach monatelanger Vorbereitung, ihr Können und waren mit ihrem Auftritt zufrieden. «Freude und Leid liegen nahe beisammen, gute und weniger gute Noten auch», kommentierte die Karateka die Bewertung der Referees. Die Enttäuschung, ohne Team-Medaille heimzukehren, war immens. Aber es galt, sie rasch zu verdauen, da ja eben das Einzel wartete. «Und ich wollte meine letzte WM ja nicht mit einem ‹Lätsch› abschliessen», sagt Dolores Emmenegger.

Der Wettkampf in Holland rundete ihre erfolgreiche Karriere ab. 21 Jahre lang war die in Strengelbach aufgewachsene Karateka im Schweizer Nationalkader. An allen fünf Weltmeisterschaften der International Federation of Karate (IFK) nahm sie Teil, holte einmal Einzel-WM-Silber und dreimal WM-Bronze im Team. 14 Schweizer-Meister-Titel und diverse Siege an internationalen Turnieren komplettieren das Palmares. «Der Aufwand, den ich in den letzten Jahren betrieb, war enorm.» Nebst den Karate-Lektionen betrieb sie Fitness- und Krafttraining. Denn Kondition ist ebenso wichtig wie die Technik, um bei der Kata zu glänzen und im Vollkontakt-Kampf zu bestehen, wie ihn Dolores Emmenegger ebenfalls viele Jahre betrieb.

Nervosität im Griff

2018 dachte die zweifache Mutter und Pflegefachfrau erstmals darüber nach, sportlich kürzerzutreten. Mit ihrem Team fasste sie den Entscheid, noch bis zur WM 2019 weiterzumachen und dann den aufstrebenden jüngeren Karatekas Platz zu machen. Dem Karatesport bleibt Dolores Emmenegger-Jaros als Lehrerin im Karateclub Strengelbach erhalten sowie als IFK-Verbandsfunktionärin und Schiedsrichterin. Und sie will weiter trainieren. Zu sehr liebt sie ihren Sport, der ihr viel gegeben und sie in der Welt herum geführt hat. Von ihren ersten Wettkämpfen ist ihr noch präsent, wie nervös sie war. «In all den Jahren fand ich dann Taktiken heraus, mich zu entspannen, indem ich in der Halle mit Leuten sprach und viel lachte.» Langweilig wurde es ihr auf Wettkampfbühnen nie, obwohl sie die nationale Szene während Jahren dominierte: «In der Kata bist du selber dein härtester Gegner und die grosse Herausforderung ist es, stets besser zu werden.» Freude bereitet Dolores Emmenegger der Ehrgeiz des Kadernachwuchses, der im Sog der Routiniers stetig besser wurde: «Sie saugen alles auf, was wir zeigten. Ich gehe mit einem guten Gefühl.»

Die «Jungen» reüssierten an der WM in Holland. Im Einzel gewann Chiara Marbacher Bronze, und Simon und Florian Zurfluh Silber und Bronze. Schweiz II mit den Zurfluhs und Ramon Pfändler schaffte es auf Platz 3. Die Freude über die Erfolge der Landsleute mischte sich bei Dolores Jaros-Emmenegger mit Wehmut: «Zum letzten Mal im roten Kadertrainingsanzug unterwegs zu sein, war emotional.»

Kata – Formenlauf

Im Karate unterscheidet man zwischen Kumite (Kampf) und Kata (Formenlauf). Letzteres ist eine choreographierte Form eines Kampfes gegen imaginäre Gegner. Es gibt eine Vielzahl von Katas mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. In der Bewertung wird auf Technik, Konzentration, Koordination, Krafteinsatz, Gleichgewicht, korrekte Atmung und den richtigen zeitlichen Ablauf geachtet.