
Nach aufgeflogener Chat-Gruppe: Deutsche Experten gehen von bis zu 8000 rechtsextremen Polizisten aus
Eher zufällig sind Ermittler in Bochum auf eine rechtsextreme Chat-Gruppe gestossen, in der sich 29 Polizeibeamte über Jahre übelstes rechtsextremistisches Propaganda-Material hin- und hergeschickt hatten. Darunter Fotos von Hitler, Hakenkreuze auf Fahnen, sogar eine fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer waren darunter. Ein anderes bearbeitetes Foto zeigte die Erschiessung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach von «übelster und widerwärtigster neonazistischer, rassistischer und flüchtlingsfeindlicher Hetze». Die Beamten – fast alle kennen sich aus dem Streifendienst einer Polizeidienststelle in der Nähe von Essen – wurden vom Dienst suspendiert, elf Polizisten droht ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung.
Meldungen über rechtsextremistische Tendenzen bei der deutschen Polizei und bei Bundeswehr-Angehörigen gibt es in regelmässigen Abständen. Ähnliche Fälle wurden in Frankfurt, Baden-Württemberg und München bekannt. Zudem konnten mehrere anonyme Todesdrohungen gegen linke Politiker, Künstler und Journalisten auf Polizeikreise zurückgeführt werden. Auch Berichte über ein rechtes Terrornetzwerk innerhalb der Bundeswehr sorgte für Schlagzeilen.
Mehr Radikale bei der Polizei als in anderen Berufen
Die Debatte ist besonders heikel, weil die Sicherheitskräfte nach Berichten wie jüngst unter einem zunehmenden Vertrauensverlust leiden. Die zunehmende rechtsextreme Gewalt versetzt aber auch das deutsche Innenministerium um Horst Seehofer in Alarmbereitschaft. Der CSU-Politiker bezeichnete den Rechtsextremismus als „die grösste Bedrohung“ für das Land. Laut Studien unterstützen bis zu drei Prozent der Deutschen eindeutig rechtsextreme Aussagen. Das würde heissen, dass von den 260’000 Vollzugsbeamten in Deutschland fast 8000 Beamte klar rechtsextremistische Einstellungen hätten. Eine gross angelegte Razzia in sechs Städten und mehreren Polizeidienststellen soll jetzt deshalb aufklären, ob die aufgeflogene Chat-Gruppe nur die Spitze des Eisberges ist.
Wissenschaftler halten es indes sogar für möglich, dass rechtes Gedankengut bei Sicherheitskräften auf noch nährbareren Boden stösst als im Rest der Bevölkerung. Ein Beruf, bei dem man mit Waffen zu tun habe, «Recht und Ordnung» durchsetze und damit Macht ausübe, sei eher für Personen mit konservativem bis hin zu rechtem Weltbild attraktiv, so der Kriminologe Christian Pfeiffer. Laut Polizeiexperten könne zudem die tägliche Arbeit der Beamten ein rechtes Bild zusätzlich festigen. «Wenn Polizisten in Metropolen immer wieder erleben, dass sie Dealer festnehmen – und eine Woche später stehen dieselben Personen wieder dort, kann dies zu Frustration führen», meint der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke.
Die Lockrufe der AfD
Und Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Hamburger Polizeiakademie, merkt an: «Wir haben zu wenig bedacht, dass der Beruf selbst auch eine Indikation sein kann für Extremismus.» Hinzu kommt das Bemühen der Alternativen für Deutschland (AfD, sich als Partei zu positionieren, die sich um die Belange der Sicherheitsbeamten kümmert. Rafael Behr beobachtet «regelrechte Aufrufe aus der extremen Rechten an die Sicherheitsbehörden, die Polizei und die Bundeswehr», sich gegen den Staat zu wehren.
In Nordrhein-Westfalen kündigt Innenminister Herbert Reul an, den Kampf gegen Rechtsextremismus in Polizeikreisen entschlossen zu führen. Der CDU-Politiker will nun einen Sonderbeauftragten für Rechtsextremismus in der Polizei ernennen.