Nach dem bitterbösen Viertelfinal-Aus: Ohne unsere Nati ist die EM um eine grosse Attraktion ärmer

Chefstratege Granit Xhaka gesperrt. Sein Ersatz Denis Zakaria lenkt in der 8. Minute ins eigene Tor ab. Wenig später muss der formstarke Breel Embolo verletzt vom Platz. Und nach Shaqiris Ausgleich zum 1:1 die überharte rote Karte gegen Remo Freuler. Murphys Law in St. Petersburg. Oder: Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.

Tatsächlich? Nein. Die Schweizer imponieren mit ihrer Widerstandskraft. Heldenhaft lehnen sie sich gegen alle Widrigkeiten auf. Keine Resignation. Tapfer. Wacker. Aufopferungsvoll. Aber vor allem auch intelligent.

Es war von vornherein klar: Die Schweizer werden gegen Spanien nicht viel Ballbesitz haben. Aber jeder einzelne nimmt diese verhasste Plackerei des endlosen hinterher rennens auf sich. Keiner ist sich zu schade, sinnlos scheinende Kilometer abzuspulen. Jeder spielt und kämpft und rennt als wäre es sein letztes Spiel als Fussballprofi. Keiner verliert die Geduld, jeder ordnet sich dem Kollektiv unter. Genau so muss es sein.

Viele Jahre wurde unser Fussball im Ausland belächelt. Und es war ja häufig so, dass ausgerechnet in jenen Spielen, die zu den langweiligsten an einer Endrunde erkoren wurden, die Schweizer beteiligt waren. Beispielsweise die WM-Achtelfinalspiele gegen die Ukraine (2006) oder gegen Schweden (2018).

Nicht so an dieser EM. Die Schweizer sind definitiv in Europas Beletage eingezogen. Überall werden sie geadelt. Die Deutsche «Bild»-Zeitung titelt «Fightgenossen». In Frankreich, dem Land des Weltmeisters, anerkennen sie, dass das Schweizer Nationalteam viel mehr kann als nur ein Spiel zu zerstören. Und die Spanier hatten schon vor dem Viertelfinal gehörig Respekt.

Es ist eine noch nie dagewesene Anerkennung für den Schweizer Fussball. Und jetzt, nach dem bitteren Penalty-Aus gegen Spanien, ist diese EM um eine grosse Attraktion ärmer. Das sieht man nicht nur in der Schweiz so.

Was der Welttrainer Ottmar Hitzfeld nicht schaffte, gelingt ausgerechnet Vladimir Petkovic, auf den in der Schweiz keiner wartete, als er mit 24 in Zürich-Kloten landete. Der kroatischstämmige Bosnier aus dem Tessin hat den Schweizern ein Selbstverständnis vermittelt, wie es zu dieser aufstrebenden, multikulturellen Generation von Fussballern nicht besser passen könnte.

Und wenn die Schweizer dann noch so aufopferungsvoll und raffiniert spielen wie zuletzt gegen die Türkei, gegen Frankreich und gegen Spanien, dann ist das die perfekte Symbiose zwischen mediteranisierter Gesellschaft und wertkonservativer Haltung. Dann hat jeder diese Nati gern.