
Neongelbe Kleider machen Leute
Und dann merke ich, wie ich sie anstarre. Die zierliche Frau in ihrer neongelben Weste. Mitten auf der Kreuzung fuchtelt sie mit einem Leuchtstab umher und dirigiert Fahrzeuge nach links und rechts. Sie befiehlt anzuhalten oder drängt zum Weiterfahren. Sie sprintet Richtung Autobahnausfahrt und rennt zurück zur Ampel, die ausser Betrieb ist. Immer mal wieder verschwindet der neongelbe Punkt sprich die Verkehrsdienstlerin aus meinem Blickfeld, wenn ein Lastwagen zwischen uns vorbeirast. Plötzlich ist alles still. Kein Auto, kein Fussgänger, alles stoppt. Ich bin dran, ich darf weiterfahren. Bewundernd winke ich der Dame in Leuchtgelb zu, als ich sie passiere. Echt mutig, wie sie sich zwischen all die Fahrzeuge stellt und irgendwie alle und alles im Griff hat.
Zwei Tage später schaue ich wieder einem zu, der ganz in Gelb gekleidet umherjoggt. Diesmal nicht zwischen Fahrzeugen, sondern zwischen 22 jungen Männern. Er ist Schiedsrichter bei einem Regionalfussballmatch. Die Jungs vergessen ab und an, dass der Herr mit dem leuchtgelben Referee-Dress wie sie freiwillig auf dem Rasen steht. Dass er sein Bestes gibt und dafür sorgen möchte, dass auf dem Platz Fairplay herrscht. «Lass diese üblen Kommentare und die versteckten Fouls», sagt er zu einem Spieler. «Dini Muetter», antwortet der Kicker – und sieht auch Gelb, in Form einer Karte.
Der Fussballer hasst jene Farbe bestimmt. Meine Töchter hingegen lieben seit ein paar Wochen genau dieses penetrante Neongelb. Die Jüngere führt voller Stolz ihr Kindergarten-Dreieck durch die Gassen unseres Dorfes.
Die Ältere greift morgens längst automatisch – wie es die Schule vorschreibt –zur Sicherheitsweste. Erst dann schultert sie den Rucksack und macht sich auf Richtung Schulhaus. Sichtbarkeit heisst das Zauberwort.
Und dann bin ich selber eine mit einer solchen Weste. Am Powerman Zofingen werden wir Medienleute quasi neongelb markiert. Der auffällige Umhang gibt mir das Privileg, im Zielraum meiner Arbeit nachzugehen und als Erste den vom Rennen gezeichneten Duathleten zu begegnen. Noch vor ihren Angehörigen und Coaches darf ich gratulieren – und Fragen stellen. Das entschädigt dafür, dass ich im Leucht-Outfit auf dem Wettkampfgelände immer mal wieder für eine Samariterin, einen Streckenposten oder eine Auskunftsperson gehalten werde und «helfen» muss. Aber immerhin werde ich weder mit «dini Muetter» angesprochen noch angestarrt.