
Neue Steuersoftware bereitet Bauchweh: «Nicht in diesem Ausmass erwartet»
Im Februar bis Ende März wurden die Aargauer Gemeinden nach und nach an die neue Steuerveranlagungssoftware Verana 3 angehängt. Anfänglich lief es sehr gut, doch mehr und mehr häuften sich Probleme. Jetzt geht das Regionale Steueramt Oberwil-Lieli an die Öffentlichkeit. Seit der Umstellung am 25. Februar habe man massive Probleme, heisst es in einer Mitteilung.
Diese erschwerten oder verunmöglichten teilweise das Arbeiten respektiere Taxieren der eingereichten Steuererklärungen: «Die teils arbeitsverhindernden Probleme haben dazu geführt, dass das Team des Regionalen Steueramtes Oberwil-Lieli erst Ende März (!) mit den Kontrollen der eingereichten Steuererklärungen 2018 beginnen konnte.» Weitere Auskünfte zu den Problemen gab es auf Anfrage dieser Zeitung in Oberwil-Lieli allerdings nicht.
Krisentreffen im März
Dieses Schreiben lässt aufhorchen. Betrifft das Problem nur das regionale Steueramt oder alle? Die Frage ist rasch geklärt. Das Problem gab und gibt es im ganzen Kanton. Nach der ersten Freude über gelungene Datenmigrationen kam nämlich die Ernüchterung bis hin zu Frust über Abstürze und Ausfälle im täglichen Betrieb, wie der Verband der Aargauer Steuerfachleute feststellt.
Deshalb kam es Mitte März zu einem Krisentreffen zwischen dessen Vorstand und Projektleiter Jürg Hochstrasser vom Finanzdepartement. Dieser konnte den Gesamtvorstand überzeugen, dass die aufgrund der Rückmeldungen bereits eingeleiteten Massnahmen Wirkung zeigen werden, sich die unannehmbare Situation in den nächsten Wochen beruhigen werde und ein stabiler Betrieb in die Wege geleitet sei. Ist diese Verbesserung offenbar noch nicht eingetroffen?
Stefan Eggmann präsidiert den kantonalen Fachverband der Gemeindesteuerämter, und er leitet die Steuerabteilung der Stadt Baden und Neuenhof. Er war in allen Phasen der Beschaffung der neuen Steuersoftware dabei. Eggmann betont, die Gemeinden hätten das einheitliche Programm mit dem Kanton evaluiert und ausgewählt. Damit habe man eine massive Verbesserung erreichen können. Vorher hatte jede Gemeinde ein eigenes Programm.
Kinderkrankheiten ja, aber …
Das neue Programm habe in der Tat Kinderkrankheiten. Deshalb sei man im ständigen Kontakt mit dem Kanton, und dieser mit der Firma, die das Programm erarbeitet hat. Inzwischen seien massive Verbesserungen erreicht worden.
Eggmann: «Vor zwei Wochen waren die Programmausfälle noch gravierend. Inzwischen wurden etliche Fehler behoben. Das Programm läuft noch nicht in allen Bereichen wie gewünscht, aber wir können ohne entscheidende Probleme darauf arbeiten.»
Doch wie sehen diese Probleme aus, sind auch Steuerpflichtige betroffen? Eggmann verneint: «Nein, die Steuerpflichtigen selbst spüren das nicht. Sie können ihre Steuererklärung normal ausfüllen und abgeben. Aber die Steuerfachleute bekommen es zu spüren.» Wie zum Beispiel? «Das Programm schliesst sich bei Ungereimtheiten. Oder wenn es Stammdaten aus einem andern Programm holen muss, und das zu lange dauert, kann es passieren, dass es sich verabschiedet», so Eggmann. Damit verliere man unnötig Zeit, das könne sehr nerven, doch das Problem sei in Behebung.
Weitere Nachprogrammierungen seien in Arbeit. «Gerade Gemeinden, die früh dabei waren, mussten etwas leiden. Beim Kanton hilft man uns aber nach Kräften, sie machen einen sehr guten Job.»
Arbeit eines Vormittags weg
Es ist aber auch die Rede von Datenverlusten. Gingen wichtige Daten verloren? Eggmann verneint abermals. Einmal habe man beim Kanton ein Problem festgestellt, aufgrund dessen das System sicherheitshalber auf den Vortagesstand zurückgestellt wurde.
Die Eingaben der Steuerfachleute eines Vormittags gingen dadurch verloren: «Ein Teil musste neu eingegeben werden. Daten der Steuerpflichtigen waren aber nicht betroffen», sagt Eggmann.
Müssen sich Kanton und Gemeinden jetzt auf eine grosse Zusatzrechnung einstellen? Eggmann winkt ab: «Der Kanton hat gut verhandelt. Dies wurde von Beginn weg vertraglich geregelt. Abgesehen von den eingetretenen Verzögerungen auf den Gemeindesteuerämtern – etwa einen Monat konnten wir nicht so arbeiten wie nötig – erwarten wir keine Zusatzkosten.»
Was bringt das neue System?
Aber was kann das neue System besser als das alte? Eggmann gibt einige Beispiele: Wenn jemand eine Terminverschiebung eingibt, bekamen die Gemeinden bisher ein Mail, auf das sie manuell reagieren mussten: «Das ist jetzt automatisiert, das erleichtert vieles.»
Zudem habe jede Gemeinde zahlreiche Schnittstellen, zum Beispiel zur AHV-Zweigstelle: «Bisher musste jede Gemeinde für jede Schnittstelle monatlich einen Datenabgleich durchführen. Auch das ist inzwischen automatisiert. Vor allem haben jetzt aber alle dasselbe System, was den Datenaustausch sehr erleichtert, etwa wenn Steuerpflichtige den Wohnort wechseln.»
«Nicht in diesem Ausmass erwartet»
Das sagt das kantonale Steueramt
Dave Siegrist, Leiter des kantonalen Steueramts, bestätigt, dass nachträglich einiges korrigiert werden müsse. Die Probleme im Handling seien ärgerlich, wobei diese nach seinen Rückmeldungen sehr unterschiedlich sind. Siegrist: «In etlichen Gemeinden funktioniert die Software gut, in anderen weniger. Inhaltlich läuft die Applikation aber gut, Probleme entstehen vor allem beim technischen Ablauf und im Verbund mit anderen Applikationen.» Es handle sich um ein grosses Projekt. Die Software sei zuvor auf Herz und Nieren getestet worden. Sie sei eine Migration einer eigenen, bestehenden Applikation, der Aargau und seine Gemeinden keineswegs Versuchskaninchen.
Die Migration der bestehenden Daten ins neue System habe gut geklappt: «Aber bei jeder Implementierung eines so komplexen, neuen Systems, das so viele Anforderungen erfüllen muss, gibt es Probleme. In diesem Ausmass haben wir sie allerdings nicht erwartet.» Man habe sofort reagiert, so Siegrist. Die Lieferfirma und der Kanton stellen seither ein Task-Team, das mit Hochdruck an der Fehlerbehebung arbeitet. Bisher gab es sechs Updates. Mit jedem Update werden weitere Fehler ausgemerzt. Siegrist: «Das dauert aber, es geht nicht alles aufs Mal. Wir hoffen natürlich, alles möglichst rasch völlig in Griff zu bekommen.» Wichtig ist dem kantonalen Steueramtschef, dass ausser dem von Stefan Eggmann erwähnten Einzelfall (der die Steuerpflichtigen selbst nicht betrifft) bei der Migration keinerlei Daten verloren gingen.
Wer zahlt all das? Siegrist: «Der Lieferant hat einen grösseren Aufwand, den er aber aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen selbst tragen muss.» Der vom Grossen Rat beschlossene Kredit für die neue Software von 9,6 Millionen Franken für die Anschaffung und jährlich 1,2 Millionen Franken für Unterhalt und Betrieb werde eingehalten. (MKU)