
Nik Hartmann über Leute, die jetzt noch wandern: «Das ist absolut dämlich, ich habe mich richtig aufgeregt»
Nik Hartmann, wobei stören wir Sie gerade?
Gerade habe ich meinem Sohn bei einer Übung zum Hörverständnis geholfen. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir keine kleinen Kinder mehr haben. Die Grösseren gehen ins Gymi und die Sek. Hier im Kanton Zug wurde schon vorher viel mit dem Computer gearbeitet, das Home Schooling hat also von Anfang an bereits funktioniert. Wir mussten uns nicht gross darum kümmern. Wir haben unsere Kinder schon vorher schulisch unterstützt. Ich bin nicht mehr Lehrer, als ich das vorher schon war. Kommt dazu, dass ich schon vorher viel Zuhause war, wenn ich nicht gerade für SRF unterwegs war. Die Situation ist für mich also nicht gross anders als sonst.
Schon bald wird sich für Sie aber sehr viel ändern. Sie verlassen das Schweizer Fernsehen und wechseln zu CH Media, zu der auch diese Zeitung gehört. Sind 20 Jahre SRF einfach genug?
Nein, es ist eher so, dass ich mich schon länger gefragt habe, was noch kommt. Was ich in den vergangenen 20 Jahren mit SRF erleben durfte, war viel mehr als ein Job: Ich durfte all die schönen, grossen Sendungen moderieren, die mir auf den Leib geschnitten waren. Nun ist es aber Zeit, weiterzuziehen – ich freue mich auf das Neue.
Zur Person
Nik Hartmann
Nik Hartmann kam als Dominik-Marc Hartmann in Burgdorf zur Welt. Als Sechsjähriger zügelte die Familie an den Zugersee. Später brach Hartmann das Jurastudium ab, um sich der Radio- und TV-Karriere zu widmen. Während über zehn Jahren moderiert er die Sendereihe «SRF bi de Lüt». Am 1. November wechselt er zu CH Media, zu der diese Zeitung gehört, wo er mit Miriam Martino den Bereich «Eigenproduktionen TV National» übernimmt. Hartmann ist 47 Jahre alt und seit über 20 Jahren mit seiner Frau Carla verheiratet. Zusammen haben sie drei Söhne.
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Es ist auch ein Sprung ins kalte Wasser, wie Sie sagen. Sind Sie generell ein mutiger Mensch?
Absolut. Ich bin ja auch immer in alle Bergseen gesprungen. Jetzt kommen alle diese Manageranalogien, die ich eigentlich so sehr hasse und die so langweilig sind, das dürfen Sie gerne genau so schreiben. Viele Manager sind Bergsteiger, ich dummerweise auch.
Bleiben wir beim Bergsteigen. Sie werden Co-Bergführer einer Seilschaft mit 60 Angestellten. Das ist eine neue Aufgabe für Sie.
Ich mache lieber einen Vergleich mit einem Orchester, das ja bereits sehr gut funktioniert und sehr erfolgreich unterwegs ist. Die Leute wissen genau, was sie tun. Ich sehe meine Aufgabe eher darin, den einzelnen Talenten zu ermöglichen, einmal in einem Solo zu brillieren, und versuche gleichzeitig, das Orchester zusammenzuhalten. Ich bin also der Dirigent. Ich führe anti-hierarchisch und schenke Vertrauen. Und wir machen das ja zu zweit und können die Aufgaben verteilen.
Nik Hartmann und Miriam Martino übernehmen die Co-Leitung des Bereichs «Eigenproduktionen TV National» bei CH Media.
© Aurelia Marine / CH Media
Nachdem Ihr Wechsel zu CH Media bekannt wurde, sagte SRF ihre Sendung «Zäme dihei» ab, obwohl bei der ersten Ausstrahlung 600’000 Menschen zuschauten. Hand aufs Herz: War das eine Retourkutsche?
Nein, überhaupt nicht, das war reine Vernunft. Es war sogar mein Vorschlag. Ich habe gefragt: ‹Seid ihr sicher, dass man das noch machen kann?› Am ersten Wochenende passte die Sendung zum Lebensgefühl der Menschen. Es war karg, bedrückend, fast schon apokalyptisch. Draussen war es windig und kalt. Das passte. Aber seither ist der Frühling erwacht, die Menschen gehen wieder raus an die frische Luft. Da willst du nicht jemandem dabei zuschauen, wie er deprimiert auf seinem Sofa sitzt.
Ihre Fans fragen sich jetzt natürlich, ob man Sie je wieder vor der Kamera einer grossen Live-Show sehen wird?
Das kann ich jetzt noch nicht beantworten. Sag niemals nie.
Bei ihren Sendungen aus der Reihe «SRF bi de Lüt» standen immer die Begegnungen mit Menschen im Mittelpunkt. Das geht momentan nicht. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Das schmerzt sehr. Wir können derzeit praktisch nichts machen. Das ist eigentlich ein Arbeitsverbot. Die Vorstellung, dass wir noch im Januar auf einem Dorfplatz drehten, wo wir alle nahe beieinander standen, kommt mit jetzt schon sehr schräg vor. Wir haben in der Schweiz das Glück, dass wir nicht eingesperrt sind und immer noch raus dürfen. Man könnte schon wandern gehen, aber auch das macht keinen Sinn. Alle Beizen und Hütten sind zu und es gibt sowieso nur ein Thema. Zudem gilt ja das Gebot, möglichst Zuhause zu bleiben.
Dort sind Sie jetzt speziell gefordert. Sie haben drei Söhne, der jüngste lebt mit einer zerebralen Beeinträchtigung. Wie gehen Sie damit um?
Das ist schon eine grössere Herausforderung, weil sein Programm sich nicht einfach über Zoom oder Teams abhandeln lässt. Es besteht zum Beispiel aus Physiotherapie, Ergotherapie und Schwimmen. Weil Melchior aber nicht zu den Notfällen gehört, fallen die Therapien weg, und die Bäder sind geschlossen. Zum Glück können meine Frau Carla und ich uns gut um ihn kümmern. Wir hören viel Musik und machen ausgedehnte Ausflüge mit dem Rollstuhl. Uns kommt zu Gute, dass wir Umschwung haben, wir sitzen also nicht aufeinander und stehen vor dem Nervenzusammenbruch. Um uns mache ich mir keine Sorgen, um alles andere hingegen schon.
Was bereitet Ihnen denn Sorgen?
Ich bin kein ängstlicher Mensch, aber ich habe schon Respekt davor, was gerade passiert. Es ist eine globale Angelegenheit, die wir nicht im Griff haben. Wir alle sind betroffen. Ich habe zum Beispiel einen Bruder, der Pilot ist. Was passiert mit ihm? Alle, die einen gesicherten Job hatten und sich keine grossen Sorgen um das Morgen machen mussten. Es fühlt sich manchmal schon ein wenig an wie in einem Roland-Emmerich-Film. Und dennoch habe ich die Hoffnung, dass es ähnlich weitergehen wird wie bisher. Ich bin ein Optimist.
Wie erleben Sie das Miteinander in dieser Zeit? Sehen Sie auch die viel zitierten positiven Seiten der Krise?
Da bin ich vorsichtig, weil immer die Gefahr besteht, dass man zynisch wird. Ich würde nie, nie, nie sagen, dass Corona auch schöne Seiten hat. Ich stelle einfach fest, dass Not tatsächlich unheimlich erfinderisch macht. Ein Beispiel: Wir haben innert zwei Wochen einen 24-Stunden-Konzertmarathon im Hallenstadion aus dem Boden gestampft, mit Menschen, mit denen ich zuvor noch überhaupt nie zusammengearbeitet habe. Und die Wege werden kürzer. Zum Beispiel zu Bundesrat Alain Berset, der mitgemacht hat. Das wäre in normalen Zeiten nicht möglich gewesen. Sagen wir es so: Es nivelliert gewisse Hierarchien. Und Menschen, die Ideen haben, finden sich.
Eine davon war der 24-Stundenanlass unter dem Motto «Alles wird guet», den sie moderiert haben. Was war das für ein Gefühl im leeren Hallenstadion?
Ich bekomme Hühnerhaut, wenn ich daran denke. Das Hallenstadion ist das Mekka der Live-Unterhaltung in der Schweiz, ein Tempel. Als ich auf die Bühne kam, stand da einfach nur ein Sofa auf einem Teppich. Einerseits hatte es etwas Bedrückendes, andererseits hat es alle meine Erwartungen übertroffen. Es kam im richtigen Moment. Am letzten Wochenende hätte das nicht mehr funktioniert.
Nik Hartmann verzichtet wegen der Coronakrise derzeit auf das Wandern.
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Am Wochenende gab es in einigen Wanderregionen Unmut, weil sich viele Menschen nicht an die Empfehlungen des Bundesrats gehalten haben. Was sagen Sie als Wanderer der Nation dazu?
Das ist absolut dämlich. Ich dachte mir: ‹Ihr seid Tuble›, also Sorry. Es ist das falsche Verständnis von Selbstbestimmung, wenn man jetzt rausgeht. Wenn jeder denkt: ‹Wir gehen nur ein bisschen raus, dort hat es ja genug Platz›, dann funktioniert es nicht. Ich habe mich richtig aufgeregt. Auch über die vielen Velofahrer, die mit ihren teuren Rennvelos in Scharen um den Zugersee gefahren sind. Es wäre zwar fatal, wenn jetzt jeder ein bisschen Polizist spielt, aber wenn Sie mich fragen, ob mich das stört, dann sage ich: ‹Ja, das stört mich.›
Gibt es auch etwas, das Ihnen persönlich derzeit Freude bereitet?
Ich habe den Eindruck, dass die Welt zusammengerückt ist und dass das Bewusstsein für Notsituationen grösser geworden ist. Für die Schweiz und die Menschen, die das Land in dieser Situation führen, empfinde ich Hochachtung und Bewunderung. Das Duo Alain Berset und Daniel Koch, der «TagesAnzeiger» hat sie als «Batman und Robin» karikiert, finde ich schon sensationell. Sie führen mit Umsicht und Schweizer Bescheidenheit, realistisch, statt populistisch. Ich verspüre ein gewisses Urvertrauen in die Schweizer Demokratie.
Das klingt ein wenig wie in einem schönen Werbespot. Dabei zeichnen Sie sonst ein differenzierteres Bild der Schweiz, zum Beispiel auf der Bühne.
Jedes System hat seine Vor- und Nachteile. Die Kleinräumigkeit der Schweiz hilft, Leute, die zu forsch auftreten, ‹versiechen› es früher oder später. Man übt sich in Bescheidenheit. Andererseits ist das eine Tugend, die manchmal ein Hemmer für grosse Ideen ist. Aber ich finde, jetzt wäre der falsche Moment, um zu kritisieren. Es fällt mir auch wenig ein. Und was mir einfällt, erscheint mir als Lappalie.
Befürchten Sie nicht, dass die Einschränkungen, die wir jetzt erleben, vielleicht zu sehr angenommen werden?
Nein. Ich habe kürzlich ein Interview mit einem Soziologen gelesen. Er verglich unsere Situation mit der eines Patienten im Spital. Dort sagt man den Menschen, wann sie essen, wann sie schlafen, und welche Medikamente sie nehmen müssen. Und man gibt sich dem einfach hin. Das widerspricht im Prinzip dem Freiheitsbedürfnis des Individuums. Aber in dieser speziellen Situation lässt du es zu. Schwierig wird es erst, wenn nicht absehbar ist, wie lange es noch geht. Wie auf einer Schulreise, wo man dauernd fragt: Ist es noch weit?
Nach 20 Jahren beim «SRF» bricht Nik Hartmann zu neuen Ufern auf.
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Ich habe eher davor Angst, dass man es auf die leichte Schulter nimmt, weil nichts passiert in deinem Umfeld. Die Gefahr ist nicht sichtbar, und das ist gefährlich. Das habe ich im Militär gelernt: Routine gleich Gefahr. Und genau so ist es. Man gewöhnt sich an alles. Vor 9/11 hat man sich nicht vorstellen können, dass Flugzeuge in Türme fliegen. Und wenn man mir vor zwei Monaten gesagt hätte, dass alle Läden geschlossen sind, hätte ich gesagt, du spinnst. Der Mensch ist wahnsinnig hart im Nehmen und passt sich den Situationen an.
Was wir uns noch fragen: Bringen Sie künftig ihren Hund ins Büro mit?
(lacht) Eher nicht, Oshkosh ist kein Bürohund. Und ich weiss ja auch nicht, ob es Allergiker gibt. Ich will es aber nicht ausschliessen, dass ich sie mal mitnehme, wenn es Zuhause einen Engpass gibt (lacht). Dass sie im Fernsehen auftritt, glaube ich aber weniger. Wenn, dann höchstens in einer Hundeerziehungsshow als Paradebeispiel. Aber nicht meinetwegen, ich war nie ein richtiger Hündeler.
Nik Hartmann mit Border-Collie-Hündin Oshkosh.
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