
Nur ein Wachrüttler für den FC Aarau oder doch mehr?
Als Trainer kann man Niederlagen auf zwei Arten erklären: Man kann es machen wie Ciriaco Sforza, der Aargauer in Diensten des FC Basel, der nach dem blamablen 1:4 gegen den FC Zürich auf klare Worte verzichtete. Lediglich zur Negativkritik, dass er mit seinen Spielern die zwei Gegentore nach Freistössen ansprechen müsse, liess sich der Wohler durchringen. Der Rest war Schönrednerei einer für FCB-Ansprüche unwürdigen Darbietung. Was Sforzas Spieler wohl darüber denken? Sie sprachen im Gegensatz zu ihrem Trainer von einer «Katastrophe».
Sforzas Gegenpol in der verbalen Aufarbeitung einer Niederlage ist Stephan Keller: Er versucht am Samstagabend nach dem 1:3 seines FC Aarau in Wil gar nicht erst, die Dinge rosiger darzustellen, als sie waren, um somit seinen Spielern ein Alibi zu verschaffen. Keller spricht von der schlechtesten Saisonleistung, sagt, dass seine Mannschaft nie im Spiel angekommen sei: «Als hätten wir nach der Winterpause vergessen, die Handbremse zu lösen».
Schon während der Partie zeigt sich, wie es um Kellers Laune steht. Er, der sonst lautstark und mit viel Gestik an der Seitenlinie seine Spieler antreibt, verfolgt das Geschehen im Stadion Bergholz fast schon stoisch, eingepackt in Wollmütze und Schal, die Hände in der Jackentasche. Es dauert zwanzig Minuten, ehe auch der FCA-Trainer im leeren Stadion wahrgenommen wird: «Zu wenig, zu wenig», ruft Keller, ehe ihm kurz darauf ob der phlegmatischen Darbietung der Kragen platzt. Empfänger der Schimpftirade sind zwei Spieler nach der unplanmässigen Ausführung eines Freistosses und darauf das Kollektiv, dem Keller schon fast flehend zuruft: «Jetzt einfach spielen!»
Der Appell verhallt folgenlos im Nachthimmel. Es bleibt beim passiven und ideenlosen Auftritt. Verwunderlich für eine Mannschaft, die sich mit einem Sieg eine lukrative Ausgangslage für das Spiel am nächsten Freitag gegen GC hätte schaffen können. Taugt den FCA-Spielern der neue Favoritenstatus noch nicht? Erst in den Schlussminuten und nach Spadanudas 1:3 in der 82. Minute folgt so etwas wie ein Aufbäumen – viel zu spät.
Kellers irreführende Eindrücke aus den Testspielen
«Wenn bei uns praktisch keiner Normalform erreicht, wird’s schwierig», sagt Keller. Dies trifft besonders auf einen Spieler zu: Innenverteidiger Leon Bergsma. Bislang in jedem Spiel überdurchschnittlich gut performend, unterlaufen dem Holländer gegen Wil gleich zwei Fehler mit fatalen Folgen: In der 13. Minute verliert er beim Eckball, der zum 0:1 führt, Torschütze Silvio aus den Augen. Und in der 47. Minute ist Bergsma in Gedanken wohl noch in der Halbzeitpause, spielt unbedrängt Haile-Selassie den Ball zu und muss zusehen, wie dieser zum vorentscheidenden 2:0 für das Heimteam trifft. Nach einer Stunde reiht sich auch Goalie Simon Enzler in die Reihe der Fehlerhaften, lässt einen Schuss nach vorne abprallen, was zum penaltywürdigen Foul von Raoul Giger an Haile-Selassie führt. Muntwiler verwandelt und sichert mit dem zwischenzeitlichen 3:0 den Ostschweizern den zweiten Sieg im zweiten Saisonspiel gegen Aarau.
Woran hat’s gelegen? Ein Trainer könnte die Schuld von sich wegschieben. Zwar tadelt auch Keller die Mannschaft, beginnt die Ursachenforschung jedoch bei sich selber. Genauer gesagt bei seiner Einschätzung, wie weit die Mannschaft nach der Vorbereitung wirklich war. In dieser testete der FC Aarau gegen Basel und YB, verlor beide Partien, agierte mit der nationalen Elite aber jeweils eine Halbzeit lang auf Augenhöhe. Letzteres müsste ein Gütesiegel sein für einen Challenge-League-Klub. Doch Keller sagt rückblickend: «Wir waren auch in diesen Spielen nicht zwingend genug, was in meinen Augen jedoch vor allem an der ausserordentlichen Qualität des Gegners lag. Eine Fehleinschätzung. Denn gegen Wil war unser Hauptproblem das gleiche: Harmlosigkeit im eigenen und im gegnerischen Strafraum.» Der nächste Gegner, GC, dürfte solche Unzulänglichkeiten noch härter bestrafen als der Tabellenachte Wil.
Vor der Winterpause hat der FC Aarau mit beeindruckender Konstanz bewiesen, dass er gut genug ist für die vordere Tabellenregion. Bleibt zu hoffen, dass die Niederlage in Wil in ein paar Wochen rückblickend nicht mehr als ein Wachrüttler im richtigen Moment war.