Nur nicht aus der Übung kommen

Obwohl ich es eigentlich nicht mehr tun wollte, habe ich es auch diese Saison wieder gemacht: Camping. Wieder im Engadin. Wieder mit der ganzen Familie. Wieder von Mitte Mai bis hoffentlich Mitte Oktober. Nein, ich beklage mich nicht, dass ich vor wenigen Tagen das erste Mal Eis von den Scheiben unseres Autos gekratzt habe. Und auch die über Nacht auf dem Vorzeltboden festgefrorenen Flip-Flops können meine Liebe zum Oberengadin nicht trüben. Wenn die morgendlichen Sonnenstrahlen den Talboden beleuchten und über den Bergseen ein mystischer Nebelteppich liegt, dann sind kalte Schuhe, feuchte Kleider und das Geschnarche aus dem Nachbarzelt vergessen. Dann hüpft mein Herz und der Tag ist gerettet. Egal was kommt, jedenfalls fast.

Zu richtigen Engadin-Ferien gehören auch Wanderungen, wenn es gut kommt, gar die eine oder andere Bergtour. Unsere Kinder mögen die Berge und auch das stundenlange Unterwegssein. Wir lieben die schönen, abgelegenen Routen, die Ruhe, die reine Bergluft, das kühle Wasser der Bächlein und den Anblick der verschiedensten Wildtiere in freier Natur. Erst kürzlich kreiste eine ganze Weile ein junger Steinadler über unseren Köpfen. Befreiend sind auch die Momente, in denen man an nichts denkt, der Schweiss von der Stirn tropft, man den Puls in den Fingern spürt und Schritt für Schritt dem Ziel näher kommt. So wie neulich, als wir von Maloja über den alten Schmugglerpfad zum Lago di Cavloc hochstiegen. Die Familie war recht flott unterwegs. Die Kinder voraus, Papa und Mama – etwas schwerer atmend – einige Meter zurück. Plötzlich nähert sich aus der Ferne das Geräusch eines Motors. Komisch, warum sperren die nicht ab, wenn sie auf dieser Höhe und entlang eines Bergwanderwegs Bäume fällen, frage ich mich? Wir bleiben stehen. Das Geräusch wird lauter. Ich traue meinen Augen nicht: Auf 1902 Meter über Meer und rund zwei Stunden vom nächsten Dorf entfernt kommt uns ein Gemeindearbeiter mit einem Laubbläser auf dem Rücken entgegen. Er nimmt die Hand vom Gas, hält kurz inne, grüsst freundlich, schüttelt die Asche von seiner «Krummen» und lässt uns vorbei. Kaum zwei Meter entfernt gibt er wieder Gas und bläst, sichtlich erfreut, alles was auf einem Wanderweg halt so liegt, zur Seite. Viel ist es nicht. Ein paar Gräser, kleine Steine und viel Staub. Alles bläst dieser Laubbläser weg, nur keine Blätter. Im Dorf bestätigt man uns später stolz, dass man mehrere dieser Bläser besitze. Und, dass sich diese im Winter sehr gut eignen, um den Neuschnee vom Trottoir zu blasen …

 

Bsetzistei ist die wöchentlich erscheinende Kolumne aus der Feder der Redaktorinnen und Redaktoren des Zofinger Tagblatts und der Luzerner Nachrichten.

Hier das Beweisfoto! (RAN)
Hier das Beweisfoto! (RAN)