
Ohne Maske in die Schule: Warum Dänemark ganz bewusst einen Anstieg der Corona-Infektionen in Kauf nimmt
Fröhliche, erwartungsfrohe Gesichter, volle Klassen, nirgends Masken: In Dänemark hat die Schule begonnen, als gäbe es Corona nicht. Dieser Umstand werde natürlich in der kommenden Zeit zu mehr Ansteckungen führen, erklärte der Direktor der dänischen Gesundheitsbehörde, Søren Brostrøm am Montag. «Die Leute kommen aus den Ferien heim, haben mehr Kontakte und wir haben Schulanfang. Aber wir akzeptieren die höheren Infektionszahlen.»
Besonders für die Schulen sei nun ein ungestörter Betrieb wichtig. Doch auch sonst erleben die Dänen viel Normalität: Es gibt wieder viele Veranstaltungen und Masken müssen ausser auf Stehplätzen im öffentlichen Verkehr nirgends mehr getragen werden. Für einige Innenräume, etwa Restaurants oder Sporthallen, gibt es noch die Pflicht, den Corona-Pass vorzuzeigen; dieser zertifiziert, dass man geimpft, getestet oder genesen ist.
Höhere Zahlen als die Schweiz
Dänemark hatte den Sommer über im 7-Tages-Vergleich leicht höhere Ansteckungszahlen als die Schweiz, die Kurve ist aber stabil und flach; im Gesundheitswesen gibt es keine Probleme. Gleichzeitig hat das 6-Millionen-Einwohner-Land bei den Impfungen stark vorwärtsgemacht und liegt nun hinter Island an der Spitze Europas: 60 Prozent der Bevölkerung ist doppelt, weitere 14 Prozent einfach geimpft (Schweiz: 49; 6).
Und die Zahlen dürften sich bald noch verbessern: Laut einer Studie sind in Dänemark nur fünf Prozent der über 12-Jährigen gegen eine Corona-Impfung. Als Grund wird vor allem das traditionell hohe Vertrauen der Bevölkerung in den Staat angesehen.
Mehrere Experten halten den lockeren Kurs der Gesundheitsbehörde für völlig richtig – gerade auch im Hinblick auf den Schulanfang. Über 90 Prozent der besonders Gefährdeten seien nun doppelt geimpft, zudem 45 Prozent der 12- bis 15-Jährigen einmal, sagt der Virologe Søren Paludan: «Wir können gut gewisse Ansteckungen in den Klassen zulassen, ohne dass man ganze Schulen schliessen muss.»
Kein Anstieg bei den Todesfällen erwartet
Die Delta-Variante, ergänzt die Epidemiologin Lone Simonsen von der Universität Roskilde, werde sicher zu einigen Ausbrüchen führen – aber ohne grosse Auswirkungen wie Hospitalisierungen oder Todesfälle. «Wir begrenzen die ernsthaften Folgen», sagt Simonsen und prognostiziert optimistisch: «Die erwartete Corona-Epidemie im Herbst und Winter wird nicht schwerwiegender als eine Grippe-Epidemie werden.»
Gesundheitsbehörde-Direktor Brostrøm räumt ein, dass bei den nicht geimpften kleineren Kindern Ausbrüche drohen. Er beruhigte am Montag aber besorgte Eltern und verwies auf neuere Studien, die bestätigten, dass Kinder in der Regel, wenn überhaupt, nur milde Corona-Symptome aufweisen. Es gehe jetzt darum, so der Mediziner, die Balance zwischen Wohlbefinden sowie Lernen gegenüber der Pandemie zu finden.
Für Krippen, Kindergärten und Schulen bedeuten die neuen Richtlinien der Behörden, dass es nur noch bei grösseren Ausbrüchen zu Schliessungen sowie Tests für alle kommen wird. Werden einzelne Kinder positiv getestet, wird neu nicht mehr die Klasse heimgeschickt, sondern nur die Nahkontakte getestet. Härter eingegriffen wird erst bei Superspreader-Ereignissen, wenn sich 30 bis 40 Personen, Kinder und Erwachsene, an einem Ort infizieren.
Corona-Pass als Teil der Lockerungsstrategie
Hingegen wird den Schulen weiterhin empfohlen, ungeimpfte Kinder ab der 5. Klasse regelmässig zu testen. Viele Schulleiter und Lehrkräfte äusserten sich erleichtert, dass nun wieder ein geregelter Betrieb sowie klassenübergreifende und ausserschulische Veranstaltungen möglich sind.
Ein wichtiger Grund für die wenig restriktive Haltung der dänischen Behörden ist auch der Coronapass oder GGG-Pass (geimpft, getestet oder genesen). Diskussionen über oder gar Proteste gegen Privilegien für Geimpfte, wie sie zur Zeit einige Länder erleben, erscheinen aus dänischer Sicht merkwürdig, denn der Pass wurde bereits im April als Teil der Wiedereröffnung nach dem Winter-Lockdown eingeführt; Dänemark hat dabei auf das elektronische Patientendossier aufbauen können, das es seit Jahren gibt.
Der GGG-Pass ist bis heute Pflicht in Restaurants, beim Coiffeur oder Veranstaltungen mit mehr als 500 Personen. Aufregen tun sich darüber wenige. Wer sich nicht impfen lassen will, kann sich gratis testen lassen – und der Coronapass sorgt für eine Absicherung, auch wenn die Ansteckungs-Zahlen nicht besonders tief sind.