Parkscheibe nicht gestellt: Seniorin muss 1220 Franken zahlen

Über 20 Jahre schon wohnt die 75-jährige Doris (Name geändert) nahe beim Aarauer Friedhof. Da auf ihrem Grundstück bis zu drei Autos Platz haben, musste sie sich auch nie um einen Parkplatz kümmern. Bis eines Tages eine Baustelle an ihrer Strasse sie daran hinderte, mit ihrem Auto zu ihrem Haus vorzufahren. Sie stellte das Auto deshalb auf eines der weiss markierten Parkfelder an der nahe gelegenen Renggerstrasse ab. Dort ist das Stellen einer Parkscheibe nötig, die maximale Parkzeit beträgt drei Stunden.

Gemäss dem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-­Aarau stellte Doris ihr Auto an einem Morgen Anfang Juli 2019 um 11.42 Uhr an der Strasse ab und liess es bis am nächsten Tag um 15.15 Uhr dort stehen, eine Parkscheibe stellte sie nicht. Für die weit überschrittene Maximalparkzeit bekam sie aber nicht eine Busse unter den Scheibenwischer geklemmt, sondern es kam gleich ein Strafbefehl mit Vorladung vor die Polizei ins Haus geflattert.

Ohne zu verstehen, wie es überhaupt so weit kommen könnte, erhob die 75-jährige Akademikerin Einspruch gegen die Busse und musste deshalb vor dem Bezirksgericht Aarau erscheinen. Als Gerichtspräsidentin Bettina Keller-Alder ihr die Anklage vorlas, fragte Doris als erstes, ob sie nicht etwas weiter vorne sitzen durfte, näher an die Gerichtspräsidentin, denn sie höre nicht mehr so gut. «Die Akustik hier drin ist wohl auch nicht optimal», sagte Bettina Keller-Alder über den wiederhallenden Gerichtssaal. Sie fragte Doris, ob sie an ihren Einspruch festhalten wolle. Die ältere Dame bejahte dies, aber wohl ohne über die finanziellen Konsequenzen im Klaren zu sein.

Doris hatte ihre Fragen auf einem weissen Zettelchen aufgeschrieben. Sie sagte: «Ich verstehe schon nicht, warum ich gleich einen Strafbefehl erhalte. Normalerweise bekommt man ja eine Busse, wenn man etwas falsch macht. Ich kann mich aber nicht erinnern, je eine erhalten zu haben», sagte sie zur Gerichtspräsidentin. Sie zeigte die vielen Papiere, die sie von den Behörden erhalten habe: «Ich bekam all diese Unterlagen überreicht. Ich wollte hier nur zeigen, wie kompliziert das Ganze ist.»

In all den Jahren, in denen sie an der Adresse wohnt, habe sie ihr Auto nie auf der Strasse abgestellt und die Schilder deshalb nie gross beachtet. Die dortigen Parkierregeln kannte sie nicht. Das neue Parkregime sei doch ein Thema gewesen in der Zeitung, sagte die Gerichtspräsidentin. Worauf die Beschuldigte erwiderte, sie habe diese nicht gelesen respektive nicht erhalten.

Unwissen und Gewohnheit spielen keine Rolle

Doris wurde konkret beschuldigt wegen Überschreiten der maximalen Parkzeit um mehr als zehn Stunden. Sie habe «vorsätzlich, das heisst mit Wissen und Willen, die Parkordnung missachtet», heisst es im Strafbefehl, analog zum entsprechenden Strassenverkehrsgesetz. Dass die Dame aber offenbar nicht aus Vorsatz, sondern aus Unwissen ihr Auto an der Strasse parkiert hatte und aus Gewohnheit die entsprechenden Schilder in ihrem Quartier nicht beachtet habe, spielte vor Gericht keine Rolle. «Haben Sie nicht gewusst, dass Sie als Anwohnerin eine Parkkarte hätten bestellen können?», fragte die Gerichtspräsidentin. «Hatten Sie nie Gäste, die ihr Auto auf der Strasse abgestellt haben?», fügte sie hinzu. Für die Beschuldigte war dies alles nie ein Thema.

Die Art, wie Gerichtspräsidentin Bettina Keller-Alder zur Beschuldigten sprach, war verständnisvoll. Im Urteil vor dem Gesetz gab es aber keine Gnade: Die Busse von 120 Franken wurde bestätigt. Weil die 75-Jährige Einsprache erhoben hatte, muss sie dazu noch 300 Franken Verfahrenskosten begleichen. Und da sie nun verurteilt wurde, muss sie auch noch die Gerichtskosten von 800 Franken übernehmen. Zusammen gibt das also 1220 Franken, die Doris zahlen muss – über zehn Mal mehr als die eigentliche Busse. Immerhin: Bei solchen Übertretungen gibt es keinen Eintrag ins Strafregister. Einen solchen gäbe es erst ab einer Busse von 5000 Franken.

Es ist halt so: Als Autofahrerin müsse sie die Schilder und die Strassenregeln beachten, begründete die Gerichtspräsidentin das Urteil. Statt der Busse habe sie direkt den Strafbefehl erhalten, weil ein Überschreiten der maximalen Parkzeit über zehn Stunden nicht mehr ins Ordnungsbussenverfahren fällt, sondern direkt an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wird. «Das Vorgehen ist korrekt abgelaufen», sagte Bettina Keller-Alder.