
Parteien im Klimawandel und unter Corona-Druck
Die aktuelle Corona-Situation ist für die Politik und damit auch für die Parteien eine Herausforderung. Die beginnt bereits im Kleinen. Mehr Digitalisierung – das war eigentlich seit längerem eine Forderung aller Parteien. Fordern ist einfach. In der Pandemie mussten die Parteien selbst digital werden. Digitale Parteitage – da sträubten sich bei einigen Politikern die Nackenhaare.
Was extrem erstaunt hat, ist, wie überrascht unsere Politikerinnen und Politiker waren, dass es eine Pandemie geben kann, welche auch die Schweiz trifft. Wurde aus der Sars-Pandemie 2002/2003 nichts gelernt? Schon vor mehr als 20 Jahren mussten die Zivilschutz-Organisationen abschätzen, welche Gefahren der Bevölkerung drohen. Als grösste, aber eher nicht wahrscheinliche Bedrohung wurde eine Pandemie aufgeführt. Wo blieben ernstfalltaugliche Massnahmenpläne?
Zurück in die aktuelle Politik und zu den in ihr engagierten Parteien. Sie haben neben der Pandemie zwei weitere Probleme zu bewältigen: Den Klimawandel –- und die immer wieder anstehenden Wahlen. Wie reagieren die Bürgerinnen und Bürger auf ein CO2-Gesetz, das ihr Portemonnaie massiv belasten wird? Wie auf Corona-bedingte Einschränkungen? Was ist den Wählerinnen und Wählern wichtiger? Ihre Freiheit oder ihre Gesundheit und jene ihrer Mitbürgerinnen und -bürger?
Zum grossen Knatsch in der Einschätzung dieser Frage ist es innerhalb der SVP gekommen. Öffnung zugunsten der Wirtschaft und der individuellen Freiheit? Oder dem Motto «Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste» folgen? Die im Kanton Zürich wohnhafte Bündner SVP-Nationalrätin und Wirtschaftsführerin Magdalena Martullo-Blocher ist radikal für eine Öffnung und warf dem Bundesrat – dem zwei Herren der SVP angehören – Diktatur vor.
Jean-Pierre Gallati, heute Aargauer Regierungsrat und Gesundheitsdirektor, hatte seinerzeit im Grossen Rat den Ruf eines scharfzüngigen SVP-Politikers. Als einer, der – wie der Bundesrat – bei Bewältigung der Pandemie an vorderster Front steht, konnte er die Vorwürfe Martullos nicht akzeptieren. Seine Replik ist kurz und präzise. «Wenn wir in einer Diktatur leben würden, hätte Magdalena Martullo diese Aussage gar nicht machen dürfen», sagte er. «Wahrscheinlich ist die Firma von Frau Martullo-Blocher einer Diktatur ähnlicher als unser Bundesstaat.»
Wie wirkt sich ein so offen ausgetragener parteiinterner Konflikt auf die im Aargau anstehenden Gemeindewahlen aus? Speziell die SVP-Parteipräsidenten grosser Gemeinden im Ostaargau ahnen eher Ungutes. Von Diktatur wird nicht gesprochen, aber der Politstil von Kantonalparteipräsident Andreas Glarner als wenig hilfreich für gute Wahlresultate eingeschätzt.
Wie ist es um die FDP bestellt? «Freisinn im Freifall» titelte letzte Woche die «Weltwoche» des Martullo-treuen SVP-Hardliners Roger Köppel. Primär wird dem Freisinn vorgeworfen, in Corona-Fragen nicht (mehr) im Schulterschluss mit der SVP zu agieren – das Recht jeder eigenständigen Partei. Was jedoch Irritation auslöst, ist, dass FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi bei der Corona-Monsterdebatte im Nationalrat fehlte. Sie besuchte eine Weiterbildung. Dies in einer Zeit, in welcher es an der Parteibasis regelrecht brennt. Vor einer Woche gingen im Kantonsparlament Solothurn sechs Mandate verloren – seit den Nationalratswahlen in verschiedenen Kantonen total 20 Sitze.
Gewinnerinnen sind GLP und Grüne. Sie reiten weiter auf der Klimawelle und tragen bei der Corona-Bewältigung sehr selten exekutive Verantwortung.