Patrick Rahmen: «Egoismus ist fehl am Platz»

Die Spieler konservieren ihre Fitness mit Jogging und Rumpfbeugen auf dem Stubenteppich, das Präsidium erarbeitet mit der Geschäftsstelle Massnahmen gegen die finanziellen Löcher, der Sportchef skizziert Konzepte für die ungewisse Zukunft – doch was macht eigentlich ein Trainer, wenn der Fussball stillsteht? Als ich Patrick Rahmen am Telefon erreiche, läuft im Hintergrund «Radio Argovia». Symbolisch dafür, wie der in Dornach wohnhafte Cheftrainer des FC Aarau die Nähe zum Arbeitsort aufrecht zu erhalten versucht.

Patrick Rahmen, seit fast drei Wochen sind die Tore im Brügglifeld verriegelt. Ist Ihnen schon langweilig geworden?

Patrick Rahmen: Die Arbeit mit der Mannschaft auf dem Platz, der Austausch mit den Kollegen im Trainerteam, die Gespräche mit den Leuten auf der Geschäftsstelle, das Adrenalin während den Spielen fehlen mir sehr. Der Alltag verläuft zwar also grad gar nicht nach meinem Sinn, trotzdem müssen wir die Situation annehmen und das Beste daraus machen. Von Langeweile kann keine Rede sein, beruflich und privat gibt es genug zu tun.

Wie sieht denn so ein «Corona-Tag» bei Ihnen aus?

Wir stehen zuhause zeitig auf, auch wenn erst um 7 Uhr statt wie sonst um 6. Dann sind meine Frau und ich erst einmal als Lehrer gefordert, die Kinder haben von der Schule reichlich Lernmaterial erhalten. Ein positiver Nebeneffekt am Ganzen ist, dass ich mehr Zeit für die Kinder habe, sie kommen normalerweise viel zu kurz. Doch die Fussball-Arbeit geht nicht aus: Ich telefoniere täglich mit Sportchef Sandro Burki, mit den Trainerkollegen und seit dieser Woche auch mit den Spielern. Anfangs haben wir sie bewusst in Ruhe gelassen, sie sollten die Köpfe frei bekommen. Nun hat jeder ein individuelles Trainingsprogramm und der Austausch dient auch dazu, den Spielern zu zeigen, dass wir uns weiterhin intensiv um sie und ihre persönliche Situation Gedanken machen.

Wie nehmen Sie die Spieler wahr?

Sie haben die klare Anweisung, nur für absolut notwendige Dinge wie Einkaufen und für das Training nach Draussen zu gehen. Aus den Gesprächen mit den Spielern habe ich den Eindruck, dass noch kein Lagerkoller herrscht. Aber natürlich wird mit jedem Tag der Drang, wieder mit den Kollegen zu kicken und Zeit in der Kabine zu verbringen, grösser. Für die Spieler, für die Trainer und für alle anderen im Klub ist es wie für alle Menschen: Eine Situation, mit der jeder Einzelne mal besser und mal schlechter umgehen kann.

Nützen Sie die Fussballpause auch zur Weiterbildung?

Die Hinterfragung der eigenen Entscheidungen, der Austausch mit Trainerkollegen, die Weiterentwicklung von Trainingsübungen, Matchplänen und Spielsystemen – das gehört alles auch im Normalfall zu meiner Arbeit. Nur bleibt dafür kaum Zeit, während der Saison überstrahlt die Vorbereitung auf das nächste Spiel alles. Nun kann ich mehr in die Tiefe gehen und grundlegende Dinge überdenken. Die Pause ist zudem die Gelegenheit, Vergangenes gründlich aufzuarbeiten, um es in Zukunft besser zu machen.

Was machen die Coronakrise und die Stilllegung des gesellschaftlichen Lebens mit Ihnen persönlich?

Ich mache mir viele Gedanken und ich glaube, es ist für jeden Menschen eine Chance, sich grundsätzlich über seinen Alltag Gedanken zu machen. Was geht alles ab um uns herum? Lebt man sein Leben nach den Werten, die einem wichtig sind? Unser Leben ist von A bis Z durchgetaktet: Da ein Termin, dort eine Verpflichtung, ständig das Handy zwischen den Fingern. Die wesentlichen Dinge, also Familie, Freunde und Zeit mit sich selber, kommen zu kurz. Jetzt haben wir die Zeit dafür und ich hoffe, dass die Entschleunigung in Zukunft mindestens punktuell Spuren hinterlässt. Zum Beispiel habe ich meine Leidenschaft für das Mountainbike wiederentdeckt, das Ding hatte ziemlich Staub angelegt.

Der Fussball, der sonst die Massen bewegt, spielt in der Coronakrise eine totale Nebenrolle – vermissen Sie das Gefühl, gebraucht zu werden?

Weil wir nach der bisher enttäuschenden Saison vieles gutzumachen hätten, fällt es umso schwerer, nicht gemeinsam mit dem Team an den Defiziten arbeiten zu können. Doch Egoismus von uns Fussballern ist fehl am Platz. Natürlich möchte ich am liebsten die Saison zu Ende spielen, wenn es irgendwie geht. Doch wann und ob das möglich ist, ist Sache der medizinischen Experten. An ihre Empfehlungen sollte sich auch der Fussball halten.

So arbeiten die Aarauer im Homeoffice

Velofahrer, Leichtathleten, Turner – für sie ist das Einzeltraining Usus. Doch wegen des Verbots von Versammlungen mit mehr als fünf Personen sind derzeit auch die Fussballer dazu verdammt. Ein Problem? «Nein, aber!», sagt Norbert Fischer, Konditionstrainer des FC Aarau. Er hat allen Spielern ein individuelles Programm zukommen lassen, der Tagesaufwand beträgt rund zwei Stunden. Fischer: «Ein fitter Körper ist das Kapital jedes Sportlers. Solange die Spieler einen Sinn hinter den Übungen sehen, sind sie auch motiviert, die Trainingsvorgaben umzusetzen.» Es gebe Spieler, die mehr als die vorgegeben Inhalte machen wollen und die er bremsen müsse. «Trainieren, damit trainiert ist und ohne Dosierung ist nicht Sinn der Sache. Genauso wichtig sind die Ernährung und Erholung. Beispielsweise jeden Tag stundenlang Kraftübungen zu machen, wäre kontraproduktiv für unseren Sport, in dem Beweglichkeit sehr wichtig ist.» Auf Dauer aber sieht Fischer ein Problem: Je länger der aktuelle Zustand anhalte, umso schwieriger ist es, die Spieler bei Laune zu halten. «Wenn die Spieler kein Ziel vor Augen haben, sinkt die Motivation, das ist menschlich.» Umso weiter nach hinten sich die Wiederaufnahme des Teamtrainings verschiebe, desto länger dauere es, den Wettkampf-Modus wieder zu erlangen. Fussballspezifische Skills wie Zweikampfführung, Stop-and-Go-Bewegungen, Spielverständnis können im Homeoffice nicht simuliert werden. «Wenn das erste Spiel zu früh kommt, steigert das die Verletzungsgefahr. Da müssen wir vorsichtig sein.»

Für die Kontrolle der Spieler fehlt Aarau das technische Material. Es haben sich Vertreter von Firmen gemeldet, die etwa Pulsuhren mit GPS herstellen. Ihre Anschaffung dürfte in der Prioritätenliste jedoch weit hinten stehen. Also verlässt sich Fischer auf das Pflichtbewusstsein der Spieler: «Beim Trainingsstart werden die Übungen so gestaltet, dass wir merken würden, falls einer nicht gut gearbeitet hat.»