Patrick Rahmen: «Wir haben die Pflicht, uns zu verbessern»

Unterschreiben Sie die These, dass das Coronavirus dem FC Aarau geholfen hat?

Patrick Rahmen: Nein.

Zum Zeitpunkt des Meisterschaftsunterbruchs klopfte das Abstiegsgespenst an die Tür, durch den Saisonabbruch der Amateurliga ist diese Gefahr gebannt. Und die verbleibenden 13 Spiele finden in praktisch leeren Stadien statt, ohne Druck von den Rängen für Ihre Spieler. Corona als Blitzableiter für die FCA-Probleme!

Das ist die negative Sichtweise. Mein Glas ist halb voll und ich sehe, dass wir neun Punkte Vorsprung auf Schlusslicht Chiasso haben, aber der Abstand nach vorne auf das viertplatzierte Kriens nur einen Zähler mehr beträgt. Wir waren uns vor der Coronapause der ungemütlichen Situation bewusst, haben aber auch damals schon den Blick nach vorne gerichtet. Aus Überzeugung, genug Qualität für einen besseren Tabellenrang zu haben.

Elf Punkte Rückstand auf den Barrageplatz, keine Abstiegsgefahr – spielt Aarau bis zum Saisonende nur noch um die goldene Ananas?

Wer so denkt, kann zu Hause bleiben. Wir haben die Pflicht, in den nächsten Wochen unseren Ansprüchen gerecht zu werden und zu zeigen, dass wir besser sind als der achte Tabellenrang. Das gilt sowohl für die Mannschaft wie auch für den Trainer. Das Interesse jedes Spielers muss es sein, sich für einen Platz beim FC Aarau in der nächsten Saison zu empfehlen. Der Zug ist bei keinem abgefahren, aber Sportchef Sandro Burki und ich werden genau hinschauen.

Auf welchem Rang müsste der FCA die Saison beenden, damit sie zufrieden sind?

Das Ziel sind die Top 4. Der derzeitige Blick auf die Tabelle schmerzt, Rang 8 ist klar ungenügend. Und ich verstehe auch die Erwartungshaltung, dass der FC Aarau abgesehen von den Partien gegen Lausanne und GC gegen alle anderen Gegner Favorit ist. Doch einfach so im Vorbeigehen gewinnen wir in der Challenge League gegen keinen Gegner, alle Mannschaften haben Qualität und sind gegen Aarau besonders motiviert.

Wie wollen Sie verhindern, dass die Spieler wegen der tabellarischen Bedeutungslosigkeit nicht primär darauf aus sind, verletzungsfrei zu bleiben?

Zuerst einmal, indem ich mit gutem Beispiel vorangehe: Ich brenne auf die Spiele und die Chance, uns für die bislang enttäuschende Saisonverlauf zu rehabilitieren. Den Fussball erwarten spannende Zeiten, verbunden mit vielen Unbekannten – Fussball für einmal auf diese Art und Weise zu erleben, ist allein Motivation genug. Für die Spieler müssten es Freudentage sein – alle drei, vier Tage ein Spiel und dazwischen keine verschmähten Konditionstrainings.

Sie haben kürzlich angetönt, dass die nächsten Wochen viele Antworten liefen werden. Auf welche Fragen?

Einerseits liegt der Fokus darauf, möglichst viele Spiele zu gewinnen. Gleichzeitig werden die kommenden Wochen Aufschlüsse für die Zukunft geben. Für mich stellen sich folgende Fragen: Wer ist mental bereit für hohe Belastungen und Ansprüche? Werden die Führungsspieler ihrer Rolle gerecht und die Fehler der Vergangenheit abstellen? Wie entwickeln sich die jungen Spieler? Daraus ergeben sich Antworten für die Gesamtbeurteilung, auf welche Spieler wir in der nächsten Saison bauen wollen. Meine Aufgabe und die meiner Mitarbeiter ist es, das Optimum aus den Spielern zu holen. Als Trainer trage ich die Gesamtverantwortung für unsere Leistungen und Resultate.

Apropos junge Spieler: Die 13 verbleibenden Spiele sind die ideale Gelegenheit, sie auf ihre Tauglichkeit für einen ambitionierten Challenge-League-Verein zu testen. Namentlich Nicholas Ammeter, Stevan Lujic, Liridon Balaj, Donat Rrudhani und Yvan Alounga.

Die Jungen werden die Chance erhalten, sich zu präsentieren. Alle haben ihr Talent bewiesen und drängen sich im Training auf, nun will ich im Ernstkampf Fortschritte sehen. Leistungsschwankungen sind in der Entwicklung eines Jungprofis oft zu sehen und normal. Wichtig ist der Wille zum Fortschritt: Wenn der Spieler die nötige Gier hat, haben wir die nötige Geduld.

Seit der Coronapause gehören die U18-Junioren Schwegler, Uka, Caserta und Hajdari zum Kader. Kurzfristig, um für die vielen Spiele in kurzer Zeit die personellen Ressourcen zu erhöhen. Ist mit ihnen auch in Zukunft zu rechnen?

Von unseren U18-Talenten sind sie in der Entwicklung zurzeit am weitesten. Ihnen steht die Tür ins Profikader offen. Ich bin da guter Dinge, wenn sich die ersten Eindrücke in den nächsten Wochen bestätigen.

Werfen wir kurz einen Blick auf die nächste Saison: Finden Sie auch, dass dem Kader eine kräftige Blutauffrischung guttun würde?

Meine Gedanken sind momentan voll und ganz bei den 13 Spielen bis zum Saisonende.

Ihnen stehen für die 13 Spiele in den nächsten 43 Tagen 18 gesunde Profis (Feldspieler) zur Verfügung. Eine Verletzungswelle wäre verheerend…

Umso erleichterter bin ich, bleiben uns die Spieler mit auslaufendem Vertrag zumindest bis zum Saisonende erhalten. Doch die Gefahr einer Personalnot ist reell. Um das zu verhindern, müssen die Spieler diszipliniert leben: viel Schlaf und gesunde Ernährung. Wir helfen bei der Regeneration mit dosierten Trainings und medizinischer Pflege. Dazu werden wir ihre physischen Daten genau überwachen. Gut möglich, dass wegen Anzeichen einer Überbelastung ein Spieler eine Pause erhält, obwohl er in der Partie zuvor brilliert hat.

1:1, 1:5, 1:4: Die Testspiele lassen befürchten, dass die Abwehr die Schwachstelle bleibt. Haben Sie gegen die oberklassigen Thun, FCZ und St. Gallen auch positive Dinge gesehen?

Wer die Spiele verfolgt hat, weiss, dass wir gegen alle drei Gegner phasenweise auf Augenhöhe oder sogar spielbestimmend waren. Doch es wurden uns auch Grenzen aufgezeigt, was sein Gutes hat: Die Spieler wissen um ihre Defizite im Vergleich mit der Super League, daran gilt es nun zu arbeiten.

GC hat zwei Wochen vor dem FC Aarau das Training aufgenommen – ein Nachteil für das heutige Spiel?

Die knapp vier Wochen, die nun hinter uns liegen, waren ideal: nicht zu kurz, nicht zu lang. Die Spieler sind in guter Verfassung aus dem Einzel- ins Mannschaftstraining zurückgekehrt und brennen auf Ernstkämpfe. Die latente Ungewissheit während der letzten Monate war anstrengend, weshalb die Zeit auch nicht zu vergleichen ist mit der Winter- und der Sommerpause, die der körperlichen und mentalen Erholung dienen.

Zum Schluss: Die Freude über die Wiederaufnahme des Spielbetriebs oder der Frust über die fehlenden Zuschauer – was überwiegt?

Es gibt auch für mich nichts Schöneres als Spiele in vollen Stadien. Dennoch überwiegt die Vorfreude, endlich wieder meine Leidenschaft ausleben zu dürfen. Die nächsten Wochen werden extrem spannend und herausfordernd. Das Engagement und die Stimmung im Training stimmen mich zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen.

Weichensteller gegen GC ohne Jäckle und Gashi

Die Abstiegsgefahr ist durch den Saisonabbruch der Amateurliga gebannt – doch kann der achtplatzierte FC Aarau in der Challenge-League-Tabelle tatsächlich nochmal vorne angreifen oder bleibt er bis zum Saisonende am 31. Juli im Niemandsland gefangen? Gleich das erste Spiel nach der Corona-Pause auswärts gegen GC wird die Weichen stellen: Mit einem Sieg würde der FCA den Rückstand auf die Hoppers (Rang 3) auf acht Punkte verringen – in danach noch 12 Spielen eine aufholbare Hypothek. Eine Niederlage hingegen würde auch das erklärte Ziel der Klubleitung, eine Endrangierung auf Rang 4, in Gefahr bringen. Das GC-Spiel hätte zudem zum lang ersehnten Comeback von Aarau-Rückkehrer Shkelzen Gashi werden sollen. Hätte, denn der Rückkehrer hat sich vor zwei Wochen im Testspiel gegen Thun (1:1) verletzt und fällt gemäss AZ-Infos bis mindestens Mitte nächster Woche aus. Seit seiner Rückkehr ins Brügglifeld im Januar dieses Jahres hat der 31-Jährige noch keinen Ernstkampf bestritten. Gashi ist im wegweisenden GC-Kracher nicht der einzige schwerwiegende Ausfall:  Cheftrainer Patrick Rahmen muss auch auf den gesperrten Mittelfeldspieler Olivier Jäckle und den angeschlagenen Flügelstürmer Kevin Spadanuda verzichten.