Politik als Konsumartikel

Die Meldung: Lokalparteien verlieren zunehmend ihre Basis. Seit 1990 haben SVP, SP, FDP und CVP rund einen Fünftel ihrer Mitglieder verloren, steht in einer Studie der Uni Zürich. Eine Frage stellt sich da – wo ist die Grenze zwischen Mitglied und Sympathisant zu ziehen? Speziell auf Gemeindeebene ist das nicht ganz einfach. Gleichwohl bleibt der Fakt des Mitgliederschwunds.

Diese Woche hält eine der Ortsparteien eine öffentliche Versammlung ab. Thema: Dorfentwicklung. Am selben Abend Fussball im Fernsehen – tags darauf Training im Sportclub. Elternabend, der Kassenschlager im Kino und ein Abendessen mit einem befreundeten Paar stehen ebenfalls auf der Agenda. Die Politik steht in harter Konkurrenz mit anderen Freizeitaktivitäten. Müssen und sollen die Parteien ein «Eventmarketing» betreiben? Ein solches ist in der Politik gefährlich – so etwas kippt rasch ins Lächerliche.

In unserer Konsumgesellschaft scheint die Politik zu einem Produkt wie ein anderes geworden zu sein. Die Bürgerinnen und Bürger empfinden sich nicht oder nicht mehr als Teil des demokratischen Prozesses. Sie sehen sich als Kundinnen und Kunden eines politischen Dienstleistungsapparates, der ihnen ganz bestimmte Resultate abzuliefern hat. Wenn diese Ergebnisse nicht dem entsprechen, was der Kunde erwartet hat, sucht er eine andere «Firma» auf, wechselt als Wähler zu einer Protestpartei oder wird «konsumabstinent», wie schlechte Wahl- und Stimmbeteiligungen zeigen.

Demokratie ist etwas, in das sich die Menschen einbringen müssen, das vom Menschen her kommt. Mitgestalten, etwas verändern kann man nur, wenn man mitwirkt, die Diskussion, den Austausch von Meinungen und Argumenten sucht. Indem sich mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger mit ihrer politischen Abstinenz aus diesem Prozess ausklinken, verkommt die Demokratie zu etwas Deduktivem. Deduktiv heisst von Dogmen und vorgefassten Meinungen ausgehen und dann die Lebenswirklichkeit unter diese Dogmen pressen. Dies dürfte auch eine der Ursachen dafür sein, dass die seit Jahren dringend nötigen Reformen in Bund und Kanton auf die lange Bank geraten.

Wir haben es mit einer Krise des Politischen zu tun. Und das in einem Zeitpunkt, in dem der Berg an ungelösten Problemen nicht grösser sein könnte. Vielleicht liegt das Problem im System der Demokratie selbst: die Entscheidungsprozesse dauern nicht nur der Wirtschaft, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern zu lange. Das gilt speziell da, wo der Einzelne persönlich betroffen ist. Dies ist zwar erkannt und mündete im Aargau in Lösungen wie wirkungsorientierte Verwaltungsführung (WOV) oder eine Verkleinerung des Grossen Rates – aus der Welt schaffen lässt es sich allerdings nicht.

 

Vielleicht ist der geschilderte Prozess ein Ausdruck der immer geringer werdenden Konfliktbereitschaft unserer Gesellschaft. Das gilt auch für die Politik, in der man mehr und mehr dem echten Konflikt ausweicht. Dafür werden Konflikte in Fernsehsendungen wie der «Arena» oder in Talkshows künstlich inszeniert. Am andern Morgen beim Bäcker: «Er hat es denen wieder einmal gesagt.» Fragt man, was «er» in der Fernsehdebatte genau gesagt hat – dann ist meist grosses Schweigen.