
Politik während der Corona-Krise: Was passiert anstelle der Gmeind?

Am Freitag waren die ersten beiden Gemeindeversammlungen in der Region angesagt. Den Auftakt gemacht hätten Uerkheim und Kölliken. Doch obwohl der Corona-Lockdown schon zweimal gelockert wurde, sind Gemeindeversammlungen nach wie vor nicht möglich. Deshalb haben sämtliche 16 Gemeinden mit Einwohnergemeindeversammlungen im Bezirk ihre Sommergmeind abgesagt oder verschoben. Lediglich Bottenwil und Murgenthal entscheiden zu einem späteren Zeitpunkt darüber, ob es eine ausserordentliche Versammlung braucht oder ob einfach die Budgetgmeind durchgeführt wird (siehe Tabelle). Doch einige Traktanden können nicht bis zu einer ausserordentlichen Versammlung nach den Sommerferien warten, geschweige denn bis zur Budgetgmeind im November. Was passiert also mit diesen dringenden Traktanden, wenn sich die Stimmberechtigten nicht in der Turnhalle oder dem Gemeindesaal treffen können?
Der Regierungsrat des Kantons Aargau lieferte die Antwort auf diese Frage bereits am 1. April. Er veröffentlichte dann die «Sonderverordnung 1 zur Begegnung von Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie sozialen Notständen infolge des Coronavirus», kurz SonderV 20-1. Sie ist am 2. April in Kraft getreten. Damit wollte der Regierungsrat die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit schützen sowie sozialen Notständen wegen des Coronavirus begegnen. Teile dieser Sonderverordnung bewilligten so etwa die flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums oder regelten den Fristenstillstand bis zum 19. April.
Zweimal wird an der Urne über Kredite abgestimmt
Die Antwort auf die Frage, was mit dringenden Traktanden einer Gemeindeversammlung passieren soll, regelt die SonderV 20-1 ebenfalls. Paragraf 12 stellt klar, dass dringende Traktanden, die keinen Aufschub dulden, einer Urnenabstimmung zu unterstellen sind. Paragraf 13 erlaubt es, die Jahresrechnung 2019 bis und mit dem 31. Dezember zu genehmigen. Normalerweise muss dies bis zum 30. Juni erledigt sein. Paragraf 17 ermöglicht es dem Gemeinderat, zusammen mit der Finanzkommission dringende Verpflichtungskredite gleich selbst zu sprechen.
Wie setzten das die Gemeinden im Bezirk um? Lediglich Kölliken, Rothrist, Uerkheim und Wiliberg lassen nicht über sämtliche Traktanden an einer ausserordentlichen Versammlung oder an der Budgetgmeind abstimmen. Wiliberg führt Ende Juni einen Urnengang durch. Dort können die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger einerseits über einen Kredit für Instandhaltungsmassnahmen an den Quellen Spatzmatt und Bärloch, anderseits über einen Kredit für die Erneuerung der Wasserleitung in Teilen der Bergstrasse abstimmen.
Auch die Uerkner Stimmbevölkerung darf im Juni an einer Urnenabstimmung über verschiedene Verpflichtungskredite abstimmen. So steht ein Kredit zur Erarbeitung eines Projekts zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes, der Kredit für den Einbau eines Regensiebrechens beim Rückhaltebecken und ein Kredit zur Belagssanierung an der Steinenwaldstrasse, der Alten Hinterwilerstrasse und dem Weiherweg an. Hier belaufen sich die totalen Kosten auf 508 000 Franken. Gemeindeschreiber Hans Stadler erklärt, weshalb sich der Gemeinderat für eine Urnenabstimmung entschied: «Wir wollen die Kredite möglichst zeitnah absegnen lassen. Zudem müssen wir die Schulpflege mit einer Ersatzwahl vervollständigen. Die beiden Sachen haben sich so in die Hände gespielt.» Uerkheim führt neben der Urnenabstimmung aber gleichwohl eine ausserordentliche Gemeindeversammlung mit den restlichen Traktanden durch.
Zweimal entscheidet der Gemeinderat selbst
In Rothrist und Kölliken hingegen beruft sich der Gemeinderat auf Paragraf 17 der SonderV 20-1 und bewilligt Kredite direkt zusammen mit der Finanzkommission. Für das ICT-Konzept der Schule müssen in Rothrist zwei Stellen geschaffen werden. Die Einwohnergemeinde muss dabei die Kosten von insgesamt 120 Stellenprozenten tragen. Der Gemeinderat bewilligte so den Kredit zur Schaffung einer 100-Prozent-Stelle für einen technischen ICT-Supporter. Die Kosten belaufen sich jährlich auf 90 000 bis 100 000 Franken für den Lohn, zuzüglich rund 20 Prozent Arbeitgeberbeiträge. Der Rothrister Gemeindeschreiber Stefan Jung erklärt, dass dafür der Vertrag mit einer externen IT-Firma für den technischen Support gekündigt werden kann. Dafür waren im diesjährigen Budget 90 000 Franken eingestellt. Die restlichen 20 Stellenprozente fallen auf den pädagogischen ICT-Support. Vorgesehen ist ein totales Pensum von 70 Prozent, jedoch werden 50 Stellenprozente innerhalb der vom Kanton zur Verfügung gestellten Ressourcen gedeckt. Die Einwohnergemeinde trägt daher jährlich lediglich rund 25 000 Franken Lohnkosten, zuzüglich von rund 20 Prozent Arbeitgeberbeiträge. Der Gemeinderat von Rothrist schreibt in einer Medienmitteilung, dass dieser aussergewöhnliche Schritt notwendig gewesen sei, um das ICT-Konzept der Schule ab dem neuen Schuljahr umsetzen zu können.
In Kölliken bewilligte der Gemeinderat gar einen Kredit über 457 000 Franken. Das Geld wird benötigt, um die entstandenen Mehrkosten bei der Sanierung der Scheidgasse zu decken. Die Gründe für die erheblichen Mehrkosten nennt der Gemeinderat in einer Medienmitteilung. So hätte das Vorprojekt, auf dem die ursprünglichen Kosten von 777 000 Franken beruhen, bei den Strassen lediglich Minimallösungen vorgesehen, die aufgrund des heutigen Strassenzustands nicht mehr genügen. Zudem koste die Entsorgung des PAK-haltigen Belages mehr, da sowohl mehr als auch stärker belastetes Material entsorgt werden muss. Da es in der Zwischenzeit eine Veränderung bei der Grabenbauverordnung der Suva gab, braucht es für die Sicherheit der Arbeitenden breitere Gräben und andere Sicherheitsvorkehrungen als geplant. Zu guter Letzt führten ungenau erfasste Leitungsführungen zu Zusatzaufwendungen im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung.
Handelt es sich bei der Baustelle an der Scheidgasse um ein unsauber geplantes Projekt? Der Kölliker Gemeindeschreiber Felix Fischer verneint klar. «Zwischen der Planung und der Realisierung ist viel Zeit vergangen und einiges passiert.» Er spricht dabei besonders den schlechteren Zustand der Strasse und die Grabenbauverordnung der Suva an. Den Kredit bewilligte der Gemeinderat laut Fischer auch mit Rücksichtnahme auf die Anwohner der Baustelle. «Wenn der Kredit erst an einer Gemeindeversammlung oder Urnenabstimmung genehmigt werden müsste, würde dies zu einem Baustopp führen», so Fischer. Ein Baustopp hätte zur Folge, dass die Bewohner länger von der Baustelle betroffen sind. Zudem wäre die Strasse noch nicht instand gesetzt. Das bedeutet, dass die Einwohner ohne die Sprechung des Kredits über längere Zeit durch die offenen Baustellen beeinträchtigt wären und die Umwelt in Mitleidenschaft gezogen würde.
Auch wenn die Stimmbevölkerung bei diesen Krediten nicht direkt mitreden kann, kann sie sich zumindest bei der Präsentation der Kreditabrechnungen äussern, wenn wieder Gemeindeversammlungen möglich sind.