
Rebellion für Geld und Macht: Beizer fordern 500 Millionen Franken pro Monat vom Staat – und streiken
Jetzt platzt den Beizern der Kragen. Neue Auflagen für das Gastgewerbe und die bundesrätlichen Pläne, Restaurants ab 19 Uhr und am Sonntag zu schliessen, sorgen für Unmut.
In der Stadt Bern ruft ein Kollektiv aus Restaurantbetreibern und Gastropersonal zum Streik auf. Am Samstag wollen sie um 15 Uhr den Bahnhofplatz mit Tischen und Stühlen in Beschlag nehmen. Ihre Betriebe bleiben zu. «Wir haben jetzt zehn Monate Pandemie hinter uns. Wer Reserven hatte, hat diese aufgebraucht», sagt Diego Dahinden vom Gastrokollektiv Bern. Es gehe nun um Existenzen.
Die Berner Beizer haben sich schon zum Streik entschieden, als es noch darum ging, dass der Kanton die Sperrstunde von 23 auf 21 Uhr verschob. Der Beschluss des Bundesrates gibt ihnen nun noch mehr Grund zum Protest – und mehr Rückhalt. Im Minutentakt würden sich Betriebe dem Streikaufruf anschliessen, sagt Dahinden.
Das Kollektiv Gastrostreik ist nicht per se gegen die Coronamassnahmen, sondern gegen die fehlende finanzielle Abfederung. «Wenn der Betrieb derart eingeschränkt wird, müssen wir entschädigt werden.» Dem Gastrokollektiv schwebt ein Modell wie in der Kultur vor, wo bis zu 80 Prozent der coronabedingten Ausfälle kompensiert werden.
Zudem erneuern sie die Forderung nach einer Reduktion der Geschäftsmieten und wollen, dass die Kurzarbeitsentschädigung bei Löhnen unter 4000 Franken auf 100 Prozent aufgestockt wird. Dem Servierpersonal fehle ohnehin schon das Trinkgeld, das einen guten Teil des Lohnes ausmache. Wenn es keine Unterstützung gebe, würden viele Gastroangestellte in der Sozialhilfe oder in der Armut landen, warnt die Gewerkschaft Unia.
«Keine Drohung, nur eine Feststellung»
Glaubt man dem Präsidenten von Gastrosuisse, könnte der Berner Protest nur der Anfang sein. In einem E-Mail an verschiedene Bundesräte schrieb Casimir Platzer: «Bis jetzt konnten wir unsere Mitglieder bezüglich nationaler Protestaktionen noch abhalten. Sollten die geplanten Einschränkungen (Schliessung ab 19 Uhr und sonntags) aber in Kraft treten, können wir dies nicht mehr garantieren.»
Platzer sagt, dies sei keine Drohung, sondern eine simple Feststellung. Er wisse noch von Protestplänen in anderen Kantonen. Er sagt, eine Schliessung ab 19 Uhr komme einem Lockdown gleich. «Den Betrieben fehlt am Mittag wegen des Homeoffice der Umsatz, und mit der 19-Uhr-Schliessung fällt auch das Abendgeschäft weg», sagt Platzer.
Er hofft, dass die Kantone die Landesregierung noch umstimmen können. Falls nicht, brauche es für das Gastgewerbe sofort À-fonds-perdu-Beiträge. Kleine Beiträge reichten dabei nicht aus. «Es braucht dann erhebliche Summen», sagt Platzer.
Auf Nachfrage rechnet er vor, dass die Gastronomie im Jahr 24 Milliarden umsetze. Durch die Kurzarbeit sei nun schon ein Teil entschädigt. Doch die Gastronomen blieben auf Fixkosten wie Mieten, Versicherungen und Energiekosten sitzen. Diese machten etwa 25 bis 30 Prozent des Umsatzes aus. Die Entschädigungen des Bundes müssten diese Fixkosten decken, fordert er. Dies wären dann 500 bis 600 Millionen Franken pro Monat.
Die Westschweiz ist verärgert: «Wir werden doppelt gestraft»
Zu Hilfe eilen könnten den Gastrobetrieben die Kantone, zumindest in einigen Punkten. Der Aargau oder Bern halten laut ihren Stellungnahmen ebenso wenig von Schliessungen am Sonntag wie die Westschweizer Kantone. Gerade in der Romandie ist der Widerstand gegen die Pläne des Bundesrates und die abendliche Schliessung von Restaurants gross. Denn die welschen Kantone hatten schon vor Wochen Massnahmen ergriffen und Restaurants geschlossen.
In diesen Tagen hätten diese wieder öffnen sollen. «Für uns sind die Vorschläge des Bundesrats deshalb eine doppelte Strafe», sagt der Walliser Staatsrat Christophe Darbellay (CVP). In einer gemeinsamen Stellungnahme protestieren die Westschweizer Kantone: Es sei nicht fair, dass der Bundesrat nun denjenigen Kantonen restriktive Massnahmen auferlege, die ihre Verantwortung in den vergangenen Wochen wahrgenommen hätten.
«Wir haben viel gemacht», sagt die Walliser Ständerätin Marianne Maret (CVP). «Das Eingreifen des Bundesrates ist im Moment nicht nötig.» Und ihr Waadtländer Nationalratskollege Frédéric Borloz (FDP) doppelt nach: «Der Bundesrat macht die schwierige Arbeit der Westschweizer Kantone einfach kaputt.»
Dabei geht es, für das Wallis, auch um den Skitourismus zwischen Weihnachten und Neujahr. Gerade um für diesen gerüstet zu sein, waren die einschneidenden Massnahmen in den vergangenen Wochen ergriffen worden. Unannehmbar ist für Christophe Darbellay, dass die Läden am Sonntag geschlossen bleiben. «Es ist inakzeptabel, dass man nicht einmal ein Brot kaufen, geschweige denn Ski mieten kann.
Für Tourismusorte funktioniert diese Sonntagsregel nicht.» Weiter verlangt er, dass Restaurants auch am Abend geöffnet haben können. «In den Skigebieten geht kein Mensch über Mittag ins Dorf ins Restaurant. Viele Betriebe würden deshalb gar nicht mehr öffnen.» Sollte der Bundesrat seine Pläne trotzdem umsetzen, fordern Darbellay und seine Kollegen aus den Westschweizer Exekutiven finanzielle Hilfen für die Betroffenen.
«Wenn der Bundesrat diese Massnahmen wirklich ergreifen wird, dann muss er die Betriebe zu hundert Prozent entschädigen. Er kann nicht Massnahmen ergreifen, ohne die wirtschaftlichen Kosten zu tragen.»
Auch der Verband Hotelleriesuisse fordert ein Notprogramm für den Tourismus. «Die Tourismusbranche trägt als kontaktintensive Branche die wirtschaftliche Hauptlast der Bekämpfung der Coronapandemie», sagt Hotelleriesuisse-Präsident Andreas Züllig. Sie sei unverschuldet in diese Krise gekommen und werde nun aufgrund der diskutierten und bereits beschlossenen Massnahmen in ihrer Existenz bedroht. Die fixen Betriebskosten sollen erstattet werden, sobald eine Verlustschwelle von 40 Prozent überschritten wird.
Der Bundesrat hat zwar angekündigt, dass er bis am 18. Dezember ein Hilfsprogramm prüfen möchte. Für die Bundesparlamentarier geht dies jedoch zu wenig rasch. Die SP fordert, dass der Bundesrat noch diesen Freitag Hilfsmassnahmen vorstellt – wenn die schärferen Massnahmen kommen. «Die Menschen brauchen noch vor Weihnachten wirtschaftliche Sicherheit», sagt Fraktionschef Roger Nordmann.
Und auch die FDP will, dass der Bundesrat gleichzeitig mit allfälligen Massnahmen Unterstützung präsentiert – und nicht erst später. Grundsätzlich aber sieht das Konzept der FDP anders aus: Am wenigsten wirtschaftlichen Schaden entsteht für Nationalrätin Regine Sauter dann, wenn die Kantone, die die Lage im Griff haben, auch weiterhin selbst entscheiden können – und Betriebe dort offen bleiben. Der Bundesrat müsse aber klare Kriterien definieren, die die Kantone zu erfüllen hätten, und welche Massnahmen bei Nichterfüllen greifen sollen, so Sauter.
Dem Bundesrat wird schlechter Stil vorgeworfen
Sollen weiterhin die Kantone in der Pflicht sein oder der Bund? Diese Frage wird im Bundeshaus – und in den Kantonen heiss diskutiert. Zwar begrüssen es mehrere Kantone, dass der Bundesrat das Heft wieder in die Hand nehmen will. Die Art und Weise, wie er dies getan hat, stösst aber sauer auf. Denn noch am Wochenende hatte Alain Berset die Kantone aufgefordert, zu handeln.
Und just in dem Moment, in dem sie dies taten, preschte der Bundesrat an ihnen vorbei. «Ich verstehe nicht, weshalb er so dreinfährt», sagt der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin. Das Vorgehen sei «unlogisch und widersprüchlich». «Dieses Hüst und Hott wird von der Bevölkerung nicht verstanden.»
Martin wählt deutliche Worte: «Entweder ruft der Bundesrat die ausserordentliche Lage aus und führt durch die Krise. Oder er lässt die Kantone arbeiten. Was sicher nicht geht: Dass der Bundesrat die Kantone vor sich hertreibt.»
Einen geharnischten Brief erhält die Landesregierung auch aus dem Baselbiet. Als «äussert befremdend» bezeichnet der dortige Regierungsrat das Vorgehen des Bundesrates. Die föderalistische Zusammenarbeit werde dadurch «im höchsten Mass gefährdet».
«Die Kursänderung des Bundesrates ist auch wenig hilfreich, um dringend nötige weitere Massnahmen wirksam umzusetzen. Denn in der Bevölkerung verursacht die angekündigte Übersteuerung der Kantone durch den Bundesrat ein grosses Mass an Verärgerung und Unsicherheit.» Dies sei «dem konsequenten Einhalten von Massnahmen abträglich».