
Restaurant «Sportplatz» neben dem Brügglifeld: Treffpunkt der Emotionen
Matchtag bedeutet für Reinhard Kuhn Grosskampftag. Bereits morgens um 9 Uhr steht Kuhn mit einem Kollegen vor dem Restaurant «Sportplatz» und bereitet den mobilen Verkaufsstand vor: Grill, Zapfhahn, ein Tisch, auf dem der Kessel mit «Gehacktem mit Hörnli» platziert wird, Festbänke und Tische für die Fans müssen herangeschleppt werden.
Danach begibt sich Kuhn in die Wohnung über dem Restaurant, hält eine kleine Siesta. Denn zweieinhalb Stunden vor Matchbeginn geht es bereits los, trudeln die ersten Fans ein: Dann müssen das Bier fliessen, die Würste auf dem Grill braten, die Hörnli und die Bolognese-Sauce in den Kesseln dampfen. Seit über 20 Jahren geht das schon so. Für viele Fans ist es ein Ritual, sich vor dem Match im oder vor dem «Sportplatz» zu treffen, um die Kehle mit Bier zu schmieren und sich mit währschafter Kost zu stärken.
Einige Minuten vor dem Anpfiff pilgern dann die Letzten die wenigen Meter über das Brüggli, das über den Stadtbach führt und dem ältesten Stadion in der Swiss Football League den Namen gibt. Es geht in das Brügglifeld zum FC Aarau. Während Reini, wie ihn alle nennen, mit Kollegen vor dem «Sportplatz» für die Verpflegung sorgt, wieseln seine Lebenspartnerin Marica und ihr Team in der Gaststube und im Säli, um die Fans zu bewirten. Es gibt Spieltage, da wird es in der Beiz eng und chaotisch. Der Lärm ist infernal, die Luft stickig, die Fans bechern, essen, singen, feiern, lamentieren.
Mit dem FCA verbunden
Schon die Vorgänger, die Familie Jufer, die über zwei Generationen während 70 Jahren im «Sportplatz» wirteten, waren mit dem FC Aarau und den Fans verbunden, erlebten Hochs und Tiefs. Kuhn erwarb die Liegenschaft am 1. April 1996 von Ruedi Jufer. Damals war er 62 Jahre alt. Dass er auf die Idee kam, eine Beiz zu kaufen, hatte viel mit seiner Partnerin Marica Malbasic zu tun. Sie arbeitete früher in Suhr im Restaurant «Gilgen», der Clubbeiz des FC Suhr. Dort lernten sich der damalige FCS-Präsident und Marica kennen. Während 36 Jahren amtete Kuhn als Präsident des Klubs, während 19 Jahren spielte der Verein in der 1. Liga. 1800 Zuschauer, die einst zum Spiel gegen Schaffhausen auf die «Hofstattmatten» kamen, bedeuteten Rekord. Kuhn sagt auch. «Ich war Velorennfahrer, musste mich im Fussball zuerst einleben.» Es kam ihm entgegen, dass er zu einigen FCA-Vorstandsmitgliedern, wie Max Knaus, Walter Treyer oder Rolf Suter ein kameradschaftliches Verhältnis pflegte. «Ohne die guten Beziehungen zum FCA, der uns immer wieder gute Spieler abgab, hätten wir nie so lange in der 1. Liga spielen können.»
Vom Werkmeister zum Gefängniswärter
Das Leben nimmt manchmal seltsame Wendungen, vor nichts ist man gefeit. Während 32 Jahren arbeitete Kuhn als Werkmeister für die einstige Weltfirma Kern, die dieses Jahr 200 Jahre alt geworden wäre. Aber 1991 wurde Kern geschlossen. Kuhn hatte als einer der Letzten den Job verloren. Als die Produktion längst eingestellt war, wurde Kuhn noch mit dem Verkauf der Werkzeuge betraut. Er ging in Frührente.
Danach suchte er sich einen Job und fand ihn als Aushilfswärter am Bezirksgefängnis an der Laurenzenvorstadt in Aarau. Auch im Gefängnis in der Telli arbeitete er. Eine Ausbildung hatte er für diesen Job nicht erhalten. «Ich habe den Gefangenen das Essen gebracht, mit ihnen die Zellen gereinigt und ihnen auch Raucherwaren oder anderes besorgt, sofern sie Geld hatten. Rauchen war unter gewissen Bedingungen gestattet.» Auch das Geld der Insassen, die alle in Untersuchungshaft sassen, hatte er verwaltet. Unter der Kundschaft gab es auch einige aus Aarau und Umgebung, die Kuhn kannte. «Für mich war die Schweigepflicht erstes Gebot, und darauf konnten sich die Insassen verlassen», erzählt Kuhn. Nein, entwischt sei ihm keiner, antwortete er mit einem Lachen auf die entsprechende Frage. Nur einmal kam er in die Bredouille. An einem Sonntag verlangte ein Insasse von ihm Feuer, um zu rauchen. «Und ich Depp habe ihm Streichhölzer besorgt», erinnert sich Kuhn. Eine Stunde später brannte dessen Zelle. «Die Feuerwehr wurde alarmiert, wir mussten alle Zellen öffnen, damit die Insassen nicht erstickten, derart dick und beissend war der Rauch. Das war ein Riesentheater.»
Vom Werkleiter über den Gefängniswärter bis hin zum Beizer – der ehemalige Velo-Rennfahrer, der vier Jahre der Amateur-Nationalmannschaft angehörte, kurvte durch viele Lebensbereiche. «Beizer war ich nie», dementiert Kuhn. «Kochen und Tag und Nacht arbeiten, das tut Marica. Seit über 20 Jahren. Sie ist die Seele.»
Als Gökhan Inler sein Auto versteckte
Der «Sportplatz» bedeutete für viele Fussballer, die beim FCA anheuerten oder im Probetraining waren, so etwas wie ein zweites Zuhause. Sie wohnten im «Sportplatz», bevor der FC Aarau ihnen eine Wohnung gefunden hatte. Einige wollten dabei gar nicht mehr ausziehen. So Aaraus ehemaliger Topskorer Cristian Ianu. Der Rumäne stürmte zwischen 2007 und 2009 für Aarau, doch er blieb immer im «Sportplatz». «Der Verein hatte ihm eine Wohnung gefunden, aber Ianu gefiel es bei uns», erinnert sich Kuhn.

Auch für den einstigen Publikumsliebling Artur Ionita wurde der «Sportplatz» zu seinem Daheim, bevor er nach fünf Jahren 2014 nach Verona weiterzog. Zur Amtszeit von Präsident Michael Hunziker hatte der FCA permanent Zimmer im Sportplatz gemietet. Marica erinnert sich mit einem Schmunzeln an den Kameruner «Bobo» Albert Baning, der eine Saison (2005/06) für den FCA spielte, bevor er nach Paris zu PSG wechselte. Als Marica ihn fragte, ob er Schweinefleisch esse, antwortete Bobo. «Ich esse alles, ich habe in China gespielt. Da gab es an einem Tag ‹Miau-miau› und am andern Tag ‹Wau-wau›.»
Auch der spätere Captain der Schweizer Nationalmannschaft, Gökhan Inler, war in seinen jungen Jahren für eine Saison beim FCA unter Vertrag und kam oft im «Sportplatz» vorbei. Sei es schon nur, um sein Auto zu verstecken. Er hatte Angst, sein Sportwagen könnte von Unbekannten beschädigt werden, und fragte an, ob er sein Vehikel nicht auf der Rückseite des Hauses parkieren dürfe.
Und so gibt es noch viele andere Geschichten über Spieler, die während ihrer Zeit beim FCA im «Sportplatz» ein Dach über dem Kopf, Essen und familiäre Atmosphäre fanden. Seit Ernährungsberater ihren Essensplan zusammenstellen, ist der «Sportplatz» bei den FCA-Spielern nicht mehr so in. Das dicke, saftige Cordon bleu von Marica passt da nicht in den Menüplan.
Mit dem Velo zur Arbeit
Vor einiger Zeit hat Kuhn den «Sportplatz» verkauft, Marica wirtet jetzt im Pachtverhältnis. Was mit dem Restaurant geschieht, wenn das Brügglifeld irgendwann einmal abgerissen und einer Überbauung Platz machen wird, bleibt offen. «Das werde ich nicht mehr erleben», sagt der 88-jährige Reini Kuhn. Er hat sich in Unterentfelden einen Rückzugsort in Form einer Wohnung besorgt. Bei schönem Wetter fährt er immer noch mit dem Velo über den Distelberg. Absteigen und das Fahrrad schieben, das macht er auch mit Achtundachtzig in der Steigung nie: «Das würde mir mein Kopf nie zugestehen.»
Von Peter Herzog