Schreckung der Bevölkerung: Muss sich Martin Ackermann vor einer Verurteilung fürchten?

Gesundheitsminister Alain Berset und die damalige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga haben Coronamassnahmenskeptiker bereits im letzten Jahr ins Visier genommen. Sie riefen mit einem Musterbrief dazu auf, die Mitglieder der Landesregierung anzuzeigen, unter anderem wegen Schreckung der Bevölkerung.

Jetzt hat auch Martin Ackermann eine Anzeige wegen dieses Straftatbestands am Hals. Verschiedene Gruppierungen, darunter die Freunde der Verfassung und die Jugendbewegung «Mass-Voll», haben den Präsidenten der Covid-19-Taskforce vor wenigen Tagen anzeigt.

Unter anderem zeigte die Jugendbewegung «Mass-Voll» Martin Ackermann an.

Unter anderem zeigte die Jugendbewegung «Mass-Voll» Martin Ackermann an.

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Auf fast 100 Seiten listen die Anzeigeerstatter zahlreiche «Horrorszenarien» auf, die sich nie bewahrheitet hätten. Die Schreckung der Bevölkerung richte sich an die ganze Schweizer Bevölkerung und sei auch gelungen. So hätten etwa im letzten Februar 27 Prozent von knapp 44’000 Teilnehmern in einer Umfrage von «20 Minuten» angegeben, sich fürchterlich vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu fürchten.

 

Bombendrohung als klassisches Beispiel

Artikel 258 im Strafgesetzbuch definiert die «Schreckung der Bevölkerung»: «Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Frei­heitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Ein klassisches Beispiel dafür ist eine Bombendrohung. So verurteilte das Kriminalgericht Luzern im April den Mann, der mit Bombenexplosionen in einem Luzerner Einkaufszentrum gedroht hatte, neben anderen Straftatbeständen wegen Schreckung der Bevölkerung zu einer Freiheitsstrafe von 33 Monaten.

In der Schweiz werden wenige Personen wegen dieses Delikts verurteilt. In den vergangenen zehn Jahren machten sich jeweils zwischen 8 bis 25 Personen wegen Schreckung der Bevölkerung strafbar. Explodieren die Zahlen jetzt angesichts der Pandemie? Müssen Berset, Sommaruga und Ackermann jetzt also mit Verurteilungen rechnen?

Geht es nach den

Geht es nach den

Wahrscheinlicher scheint, dass die Staatsanwaltschaften gar nicht Ermittlungen aufnehmen. Sogenannte «Nichtanhandnahmeverfügungen» dürfen sie verhängen, wenn die fraglichen Straftatbestände eindeutig nicht erfüllt sind.

Ackermann hätte die Gefahrenlage nie selbst realisieren können

Voraussetzung für den Straftatbestand Schreckung der Bevölkerung sei, dass der Täter der Bevölkerung eine Gefahr entweder «androhe» oder «vorspiegele», erklärt Andreas Eicker, Professor für Strafrecht an der Universität Luzern.

Andreas Eicker.

Andreas Eicker.

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Androhen bedeute, dass der Täter eine zum Äusserungszeitpunkt inexistente Gefahr beschreibe und zu erkennen gebe, dass er diese eigenmächtig herbeiführen könne. «Selbst wenn die von Martin Ackermann (und anderen) beschriebene Gefahr so tatsächlich gar nicht bestanden haben sollte, ist doch klar, dass er keine Gefahrenlage geschildert hätte, die er selber hätte realisieren können.»

Kein einziger Fall landete bis jetzt vor Gericht

Für das Vorspiegeln einer Gefahr muss der Täter eine Gefahr beschreiben, die gemäss seinem Wissensstand gar nicht besteht. Vom Tatbestand eindeutig nicht erfasst würden Personen, die vor einer Gefahr warnten, die sie selber für existent hielten, sagt Eicker. «Für eine Strafuntersuchung müsste es also Hinweise geben, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht, dass Martin Ackermann (und andere) wider besseres Wissen eine Gefahrenlage beschrieben oder behauptet haben.» Falls solche Verdachtsgründe nicht vorhanden seien, könne die Staatsanwaltschaft eine Nichtanhandnahmeverfügung erlassen.

Allein bei der Staatsanwaltschaft Bern sind bis jetzt rund 150 Anzeigen wegen Schreckung der Bevölkerung gegen Verantwortungsträger im Zusammenhang mit den Coronamassnahmen eingegangen. Bis jetzt landete kein einziger Fall vor Gericht, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern sagt. Bis anhin seien zwar nur einzelne Nichtanhandnahmeverfügungen rechtskräftig, bei der Mehrheit laufe noch die Beschwerdefrist. Beschwerden sind bis jetzt aber keine eingegangen.

Mit anderen Worten: Die Strafanzeigen wegen Schreckung der Bevölkerung im Zusammenhang mit den Coronamassnahmen dürften versanden.