
Sebastian Kurz springt dem Bundesrat zur Seite: «Es wäre völlig falsch, die Schweiz unter Druck zu setzen»
Dicht gedrängtes Programm am heutigen EU-Gipfel in Brüssel. Neben dem Verhältnis zu Russland, der Migrationsfrage und der Bewältigung der Coronapandemie diskutieren die EU-Staats- und Regierungschefs auch über das umstrittene Gesetz gegen sexuelle Minderheiten in Ungarn.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz aber hat noch ein ganz eigenes Anliegen, das er in der Runde der 27 vorbringen möchte: Das Verhältnis zur Schweiz nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen. Gegenüber CH Media erklärt er seine Beweggründe:
Das Rahmenabkommen ist gescheitert. Trotzdem werden Sie sich heute gegenüber ihren Amtskollegen für ein enges Verhältnis mit der Schweiz einsetzen. Befürchten Sie, dass die EU-Kommission sonst anders handeln und die Schweiz unter Druck setzen könnte?
Sebastian Kurz: Es wäre völlig falsch, die Schweiz unter Druck zu setzen und das gute Verhältnis zu gefährden. Es ist bedauerlich, dass das Rahmenabkommen abgelehnt wurde. Aber der Entscheid ist zu respektieren. Unser Ziel ist es, dass die Zusammenarbeit weiterhin so gut und eng wie bisher funktioniert. Dafür braucht es eine strategische Diskussion aus Sicht der Mitgliedsstaaten und es sollten die Staats- und Regierungschefs sein, die die Weichenstellungen vornehmen. Dafür werde ich mich heute einsetzen.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit ihrer Position auf Zustimmung stossen werden, oder wird die Mehrheitsmeinung eher sein, eine entschlossene Linie gegenüber der Schweiz zu vertreten?
Ich bin grundsätzlich zuversichtlich. Jeder der sich nüchtern mit dem Thema beschäftigt, sieht, dass eine Reduktion der Zusammenarbeit und ein Auslaufen der bilateralen Verträge nicht nur zum Schaden der Schweiz, sondern auch zum Schaden der Europäischen Union wäre. Die Schweiz ist eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder und ein grossartiger Wissenschafts- und Forschungsstandort. Hier die Zusammenarbeit zu gefährden ist nicht im Interesse der Schweiz, der Europäischen Union und schon gar nicht im Interesse eines Nachbarlandes wie Österreich.
Hätten Sie sich gewünscht, die EU-Seite hätte noch ein Stück mehr Flexibilität an den Tag gelegt in den Verhandlungen?
Es ist, wie es ist. Jetzt ist es an der Zeit, nach vorne zu schauen. Man sollte nicht den Fehler machen, die gute Zusammenarbeit zu gefährden. Was bringen so Vorschläge wie ein Herunterfahren der Wissenschafts- und Forschungskooperation? Das wäre absurd. Die EU arbeitet mit vielen Ländern dieser Welt eng zusammen. Manche sind sogar ausserhalb Europas. Die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist aus unserer Partnerschaft nicht wegzudenken. Es wäre schlecht, aus einer Emotion heraus Schritte zu machen, von denen am Schluss niemand etwas hat.
Denken Sie, dass es früher oder später eine Neuauflage des Rahmenabkommens braucht?
Das Rahmenabkommen wurde gerade abgelehnt. Jetzt sollten wir mit den Instrumenten arbeiten, die wir zur Verfügung haben. Das hat bisher ja auch nicht schlecht funktioniert.
Sie fordern mehr Flexibilität und Pragmatismus im Verhältnis zur Schweiz. Ist das auch etwas, was Sie sich im Verhältnis von Österreich mit Brüssel wünschen?
Wir wünschen uns ein Europa der Subsidiarität, das stark ist in grossen Fragen und kleinere Fragen, die regional besser entschieden werden können, den Mitgliedsstaaten und Regionen überlässt. Dafür trete ich schon lange ein und diesen Weg werde ich auch weiterverfolgen.