Senioren sollen auf Rente verzichten: Neue Initiative will verhindern, dass die Jungen bei der Pensionskasse geschröpft werden

Müssen die Renten der Pensionierten sinken, damit wir uns die Altersvorsorge noch leisten können? Sollen Frauen bis 65 arbeiten? Und dürfen die angesparten künftigen Rentenguthaben von Jungen wirklich schon heute ausgegeben werden, um die Renten von Senioren zu bezahlen? Bei der Altersvorsorge sind viele brisante Fragen ungelöst. Während die Finanzlöcher immer grösser werden, herrscht in der Politik seit Jahren ein Reformstau.

Jetzt steigt der Druck auf die Politik nochmals, Lösungen zu finden. Am Dienstag ist in Bern die sogenannte Generationeninitiative lanciert worden. Hinter ihr stehen unter anderem Mitglieder von FDP, SVP und GLP – oft aus den Jungparteien. Die Initiative will die zweite Säule, also die Pensionskassen, reformieren und die Umverteilung von Jungen zu Alten stoppen.

Es ist bereits die dritte Renten-Initiative, die innert kurzer Zeit lanciert wurde – nach der Initiative der Jungfreisinnigen für ein Rentenalter 67 und der Gewerkschafts-Initiative für eine 13. AHV-Rente. Zugleich berät auch das Parlament über eine BVG- und eine AHV-Reform (mit Frauenrentenalter 65). Ganz viele Baustellen also. Zeit für einen Überblick über die wichtigsten Fragen.

Warum wird jetzt erneut eine Initiative lanciert?

Bei den Pensionskassen gibt es ein grosses Problem: Eigentlich spart dort jeder selbst sein Altersguthaben an. Es findet derzeit jedoch eine massive Umverteilung von den Arbeitstätigen zu den Rentnern statt. «In den letzten zehn Jahren wurden 70 Milliarden Franken von den Konten der aktiven Versicherten auf dasjenige der Rentenbezüger umverteilt», sagt Walter Steuerer. Der emeritierte ETH-Professor sitzt für die GLP im Initiativkomitee.

Laut Steurers Zahlen beträgt die durchschnittliche BVG-Rente heute 29’000 Franken. Eigentlich aber dürften aufgrund der Ertragslage an den Kapitalmärkten nur 20’000 Franken ausbezahlt werden. 9000 Franken werden also vom Guthaben der Jungen genommen. «Das kann so nicht weitergehen. Dies ist hochgradig unfair», sagt David Trachsel. Der Präsident der Jungen SVP sitzt ebenfalls im Komitee – und macht sich Sorgen um seine Renten.

Wie will die Initiative das Problem anpacken?

Die Initianten sind überzeugt: Die Rendite, von der der heutige Umwandlungssatz ausgeht, kann gar nicht erreicht werden. Deshalb soll der Umwandlungssatz angepasst werden. Er soll weniger politisch bestimmt sein als heute. Einfluss auf seine Berechnung sollen das vorhandene Kapital, die mögliche Rendite und die restliche Lebenserwartung bei der Pensionierung haben. Allerdings wollen sich die Initianten nicht auf konkrete Modelle festlegen. Sie wollen in erster Linie eine Diskussion anstossen. Klar ist aber: Die bestehenden Renten müssten gesenkt werden. Dies ist ein Novum. Die Besitzstandswahrung oder Abfederungsmassnahmen bei Reformen galten bisher als unverhandelbare politische Maxime in Bern.

Ist es politisch nicht chancenlos, wenn man Rentnern sagt, ihre Bezüge seien zu hoch und müssten gestrichen werden?

Das sei der Knackpunkt, sagt Walter Steurer vom Initiativkomitee. Die Initianten hoffen aber nicht nur auf den Fairnessgedanken bei der älteren Generation, deren Renten heute zu hoch sind. «Es ist wichtig, dass die Anpassungen für Rentner erträglich sind», sagt Josef Bachmann vom Initiativkomitee. Auch mit der Initiative würde es noch während Jahren eine Umverteilung geben. «Aber sie soll Schritt für Schritt angepasst werden, damit es für die Jungen fair wird.»

Es sind bereits zwei andere Renten-Initiativen hängig. Braucht es dann noch eine dritte?

Ja, sagen die Initianten. Denn einerseits steht die Initiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Reform an. Sie löst aus Sicht der Initianten keine Probleme, sondern verschärft den finanziellen Druck auf die AHV nur. Andererseits wird über die Renteninitiative der Jungfreisinnigen abgestimmt werden. Diese will das Rentenalter auf 67 erhöhen. Diese Initiative beschäftigt sich eben primär mit der ersten Säule, also der AHV – und nicht mit den Problemen bei der zweiten Säule.

Wenn das Thema Altersvorsorge so wichtig ist: Tut dann das Parlament nichts?

Das Parlament ist nicht untätig. Es ist sowohl an einer AHV- als auch an einer BVG-Reform Es ist aber schwierig, Lösungen zu finden. Umstritten ist im Parlament – bei beiden Vorlagen – wie hoch finanzielle Abgeltungen für all diejenigen ausfallen sollen, die von einem Abbau ihres gewohnten oder in Kürze erhofften Rentenstandards betroffen sind.

Wo steht konkret die AHV-Reform?

Das Parlament hat sie angepackt. Hauptpunkt für die finanzielle Sanierung soll nicht nur eine Mehrwertsteuererhöhung (bis zu 0,4 Prozent) sein, sondern auch die Anhebung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre. Umstritten ist hier, wie Frauen, die kurz vor der Pensionierung stehen, entschädigt werden sollen. Laut dem letzten Vorschlag der zuständigen Ständeratskommission sollen neun Jahrgänge eine Entschädigung erhalten – von bis zu 240 Franken pro Monat. Der Nationalrat möchte Zuschläge von 50 bis 150 Franken für sechs Jahrgänge.

So oder so wird also ein Teil der Einsparung durch eine Kompensationszahlung an die Betroffenen wieder wegfallen. «Statt Probleme anzupacken, verschenkt das Parlament Geld», sagt Leroy Bächtold von den Jungfreisinnigen. Offenbar sei in Bern eine Reform «ohne Zückerchen nicht steuerbar». Ganz anders sehen es die Gewerkschaften: Aus ihrer Sicht wird die AHV auf dem Buckel der Frauen saniert. Die Gewerkschaften wehren sich nicht grundsätzlich gegen Reformen. Sie fordern aber jeweils grosszügige Kompensationsleistungen für Betroffene.

Und was passiert bei der zweiten Säule?

Dort wird ebenfalls ein Reformpaket ins Parlament kommen. Der Bundesrat schlägt vor, den Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent zu senken. Dies würde bedeuten, dass die Anlagerendite bei fast 4 Prozent liegen muss, was noch immer sehr hoch ist. Auch bei dieser Vorlage wird über Kompensationsmassnahmen für Betroffene gestritten. Bisher stand ein Kompromiss der Sozialpartner im Raum: Demnach soll es einen monatlichen Rentenzuschlag von bis zu 200 Franken geben; finanziert durch einen Lohnzuschlag über 0,5 Prozent auf die AHV-Pflichtigen Jahreseinkommen.

Inzwischen ist zwar nicht mehr gewiss, ob dieses Modell im Parlament durchkommt. Zur Diskussion steht inzwischen auch eine abgespeckte bürgerliche Variante, die bei den Gewerkschaften allerdings auf grosses Misstrauen stösst. Aus Sicht des Initiativkomitees, das am Dienstag an die Medien getreten ist, droht aber so oder so ein weitere Umverteilung zulasten der Nicht-Pensionierten, gerade weil Massnahmen über Lohnprozente finanziert werden.

Nun kommt der Druck von rechts. Warum?

Auch der frühere FDP-Präsident Fulvio Pelli sitzt im Initiativkomitee. Er gibt zu: Lange hätten die Mitteparteien kaum Initiativen lanciert. Erst kürzlich hätten die bürgerlichen Kräfte gelernt, die Initiative «als Gestaltungselement zu nutzen». Sie eröffne dort die Chance einer ernsthaften Diskussion und des Drucks, wo ein Reformstau bestehe. «Wir sind dabei, entscheidende Weichen zu stellen», sagt Josef Bachmann vom Initiativkomitee.