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Im Zentrum des Geschehens: Menschen mit Behinderungen spielen bei der Theatergruppe Tocca die Hauptrolle

Menschen mit Behinderung, die im realen Leben oftmals wenig sichtbar sind, stehen in der Theatergruppe Tocca für einmal ganz im Zentrum des Geschehens. Esther Dietrich-Niggli, welche die Theatergruppe leitet sowie als Regisseurin und Autorin fungiert, hat das Theaterprojekt genau aus diesem Grund 2003 ins Leben gerufen.

«Das ganze Leben ist ein Theater und vielerorts schlüpfen wir in Rollen und absolvieren unsere Auftritte», erklärt die Starrkirch-Wilerin. Doch nicht allen stünden die gleichen Möglichkeiten offen; besonders Menschen mit Behinderung seien diesbezüglich stark eingeschränkt. «Hier in der Theatergruppe erhalten sie die Chance, in Rollen zu schlüpfen, die ihnen sonst nicht offenstehen.»

Esther Dietrich-Niggli, Tocca

Die ausgebildete Heilpädagogin, die seit 1992 im Theaterbereich aktiv ist, hat bereits diverse Stücke mit dem Ziel der Integration inszeniert. «Mir liegen Menschen, welche sich am Rand der Gesellschaft bewegen, besonders am Herzen.» Auch für Pro Senectute Schweiz arbeitete Dietrich-Niggli bereits als Autorin und Regisseurin, da das Alter ebenfalls ein Risikofaktor für Exklusion darstelle. Die Inspiration für ihre Geschichten holt sich die 67-Jährige aus dem täglichen Leben. Auch ihr neustes Werk «Auftritt» handelt von Situationen, die viele wohl auf ähnliche Weise bereits einmal erlebt haben.

Darum gehts im Stück «Auftritt»

Aktuell stehen Menschen mit körperlichen, geistigen sowie psychischen Behinderungen auf der Bühne; unterstützt werden sie dabei von erfahrenen Laienschauspielenden und einem Pianisten. Kürzlich traf sich das Theaterensemble in der Aula des Berufsbildungszentrum Olten zur Probe. Eröffnet wurde der Durchlauf des Stücks mit einem Durcheinander an Stimmen und Ausrufen der Mitspielenden, welche sich über die Social-Media-Welt aufregten oder darüber diskutierten, was geliked werden soll und was nicht.

Bald darauf fiel der Scheinwerfer jedoch auf einen heimischen Konflikt, in welchem ein Elternpaar von ihrer Tochter über deren Studienabbruch informiert wurde. Die Enttäuschung über die Gemütsänderung ihres Zöglings war gross; die Eltern hatten sich erhofft, die Tochter würde eines Tages den Familienbetrieb übernehmen. Diese hatte jedoch andere Pläne – sie wollte Schauspielerin werden. Trotz des vehementen Protests ihrer Eltern nahm die Tochter im Verlaufe des Spektakels an einem Casting teil, bei welchem sie auf eine kunterbunte Gruppe Teilnehmender traf sowie auf eine weltberühmte Regisseurin.

Voraussetzungen, um beim Strassentheater aufgenommen zu werden: Leidenschaft und Authentizität. Die Show war eröffnet – jede und jeder durfte der Regisseurin zeigen, was sie oder er draufhat. Von Zeit zu Zeit wurde das inszenierte Casting unterbrochen, um einem Clown-Quartett mit Putzequipment die Bühne zu überlassen. Dieses fegte hingebungsvoll zu Musik den Boden – auf eigentümliche und feuchtfröhliche Weise.

In Dietrichs Stück wird aber nicht nur getanzt, geschauspielert und gesungen, auch für gesellschaftskritische Momente lässt die Inszenierung Raum. Nacheinander traten die Darstellerinnen und Darsteller in ihren Rollen an das Mikrofon und teilten ihre Gedanken mit. «Wir leben im Zeitalter der Schreihälse», meinte eine Schauspielerin. Früher habe bloss der Marktfahrer geschrien, heute schreie es aus jeder Ecke.

Während die Lauten Karriere machten, gingen die Leisen still unter. Und auch Corona bekam seinen Platz. «Kultur muss gerade in Zeiten von Corona gefördert werden, nur so kann Inklusion wie diese hier gelingen», betonte eine Mitspielende in ihrer Rolle als weltberühmte Regisseurin; darauf erntete sie lauten Zuspruch. So gross die schauspielerischen Herausforderungen für die Menschen mit Behinderung auch seien, sagt Dietrich-Niggli, so gross sei auch die Freude der Beteiligten, dabei sein zu dürfen.