Simon Enzler verrät sein Penaltygeheimnis

Wenn nach einem 2:0-Auswärtssieg von den Fans der Goalie gefordert wird, obwohl der FC Aarau nach zwei Nullnummern endlich wieder wunderbare Tore erzielt hat, ja dann muss dieser Goalie Ausserordentliches geleistet haben. In der Kurzversion lautet die Bilanz von Simon Enzler am Freitagabend in Lausanne: Einen Elfmeter gehalten, mit einer Glanzparade den Anschlusstreffer des Heimteams verhindert und daneben in einem Spiel zwei Klublegenden überholt.

Nach der kurzen Party mit den Fans gibt der 23-Jährige dem FCA-TV ein Interview und sagt einen Satz, der aufhorchen lässt: «Als er den Ball auf den Penaltypunkt gelegt hat, wusste ich, wo er hinschiessen wird.» Im anschliessenden Gespräch mit Enzler wollen wir es genau wissen: Wie konnte er das wissen? Enzler redet erst von Gefühl, Erfahrung und dass es einige Tricks gebe, von denen er jedoch nicht zu viel verraten wolle – schliesslich sollen die Spieler, die in Zukunft zum Penalty gegen Enzler antreten, im Unwissen bleiben. Einen kleinen Einblick gewährt er dann doch: «Ich schaue dem Schützen in die Augen, verfolge seine Blicke. Schaut er immer in die gleiche Torecke? Schaut er zu Boden? Lacht er? Schaut er ernst? Wo genau setzt er den Ball? Manchmal versuche ich auch, den Schützen in ein Gespräch zu verwickeln.»

25 Prozent der Strafstösse werden weltweit gehalten

In Lausanne hält Enzler zum vierten Mal in einem Pflichtspiel einen Penalty, seit er im August 2020 vom FC Luzern nach Aarau gewechselt hat. Das entspricht dem Durchschnittswert. Die vier gehaltenen sind ziemlich genau 25 Prozent der insgesamt in dieser Zeitdauer gegen den FCA gepfiffenen Penaltys. Eine Studie hat kürzlich ergeben, dass weltweit rund 25 Prozent der Strafstösse abgewehrt werden.

In Lausanne läuft die 33. Minute, als Enzler den Schuss von Ouchy-Stürmer Brighton La-beau mit einem Sprung weit in die rechte untere Ecke abwehrt. Nicht nur bewahrt er Aarau in dieser Szene und später ein weiteres Mal vor dem 1:2-Anschlusstreffer – mit seinem bärenstarken Auftritt im Spitzenspiel übertrumpft Enzler zwei Klublegenden: Joel Mall und Andreas «Hausi» Hilfiker. Enzler ist nun derjenige FCA-Goalie, der seit der Saison 1995/96 am längsten ohne Gegentor geblieben ist. Um zum alleinigen Rekordhalter seit Beginn der FCA-Neuzeit (NLA-Aufstieg 1981) zu werden, fehlt wenig.

Das letzte Mal hinter sich greifen musste Enzler am 10. September, in der 50. Minute in Yverdon, als Shkelqim Vladi zur Führung für das Heimteam traf (Endstand 1:1). Seither sind 490 Spielminuten (inklusive Cup) vergangen – ohne ein weiteres Gegentor. Und so ist der FC Aar­au mittlerweile das Team mit der zweitbesten Abwehr und dem zweitbesten Torverhältnis hinter Leader Winterthur.

Verrückt: Bis zum Yverdon-Match war Aarau eine Schiessbude mit durchschnittlich zwei Gegentoren pro Match – dann die Kehrtwende. Enzler, der die neue Defensivstabilität geniesst und dazu viel beiträgt, sagt: «Wir zwingen nun den Gegner beim Aufbau dazu, über die Aussenpositionen zu spielen. So kommen wir im Zentrum schnell wieder hinter den Ball. Und dann haben wir es zur obersten Maxime erklärt, dass im Bereich rund 20 Meter vor unserem Tor kein gegnerischer Spieler freistehen darf. Das mag simpel tönen, doch seit wir uns das vor jedem Spiel zu Herzen nehmen, sind wir stabil.»