So will die FDP-Präsidentin den Niedergang ihrer Partei stoppen: «Wir müssen pointierter auftreten»

Die FDP verliert seit 2019 Wähler in den Kantonen. Warum ist das so?

Petra Gössi: Alle etablierten Parteien fallen zurück, nicht nur die FDP. Die grüne Welle, die man in den nationalen Wahlen spürte, ist nun in den Kantonen angekommen.

Die FDP verliert aber am meisten Sitze.

Es ist ein Warnsignal: Wir müssen arbeiten und kämpfen. Entscheidend ist nicht, ob wir einen Sitz mehr verlieren als andere. Manchmal hängt das auch mit dem Wahlsystem zusammen. In Basel-Stadt haben wir ein Viertel mehr Stimmen als die CVP geholt, aber nur gleich viele Sitze gemacht. Es gibt einen klaren Trend von den traditionellen Volksparteien zu Parteien mit «grün» im Namen. Entsprechend können Sie die Frage auch der SVP und der SP stellen.

Ihr Öko-Schwenk, den Sie vor eineinhalb Jahren vollzogen haben, zahlt sich nicht aus. Der Eindruck ist verbreitet, dass die FDP nicht aus Überzeugung handelte, sondern aus Opportunismus.

Das stimmt überhaupt nicht. Die FDP kümmerte sich in den Achtzigerjahren intensiv um Umweltthemen. Der Slogan unserer Partei heisst Freiheit und Verantwortung, und diese nehmen wir ernst. Die von Ihnen als Öko-Schwenk bezeichnete Wende gründet auf einer basisdemokratischen Befragung der Mitglieder. Hätten wir uns nicht wieder den ökologischen Belangen angenommen, wären die Verluste an die Grünliberalen noch viel grösser. Jetzt sind wir auf dem richtigen Weg.

Sind Sie sicher?

Ich bin absolut überzeugt. Die Parteileitung fühlt sich durch den Entscheid der Delegiertenversammlung vom vergangenen Samstag in ihrer Stossrichtung bestärkt. Die Delegierten haben dem C02-Gesetz mit 78 Prozent zugestimmt. Sie sehen: Den Worten folgen Taten. Das nenne ich Glaubwürdigkeit. Mit den vorgesehenen Lenkungsabgaben entspricht das Gesetz einem urliberalen Ansatz. Die Gefahr ist nun, dass eine unheilige Allianz aus SVP und Klimaaktivisten die Vorlage an der Urne zum Absturz bringen wird.

Ihre Kritiker meinen, dass sich die Wähler für das Original entscheiden, die Grünliberalen.

Die Grünliberalen als Original? Wofür? Schauen Sie sich an, wie sich die Partei zur Steuerreform und AHV-Finanzierung positioniert hat und zur Unternehmensverantwortungsinitiative. Ist das liberal? Sogar Parteigründer Martin Bäumle kritisiert, dass ihm seine Partei in gewissen Positionen zu links geworden ist. Eine Partei als Original zu bezeichnen, die es erst seit 13 Jahren auf nationaler Ebene gibt, finde ich übrigens speziell.

Ihr Vorgänger Philipp Müller wollte aus der FDP den «Volksfreisinn» machen – eine Partei, die nicht als verlängerter Arm grosser Unternehmen wahrgenommen wird. Nun scheint es, dass man die FDP wieder als kalte Wirtschaftspartei sieht.

Der Schein trügt. Wenn wir wirtschafts- und unternehmensfeindliche Initiativen der Linken nicht unterstützen, verteidigen wir nicht die Interessen einzelner Unternehmen, sondern die Interessen des Wirtschaftsstandorts Schweiz und damit die Arbeitsplätze. Eine florierende Wirtschaft nützt allen Menschen im Land, denn sie ist die Voraussetzung für einen guten Sozialstaat. Dafür setzen wir uns als FDP mit ganzer Kraft ein.

Was tun Sie, damit die FDP auf die Siegerstrasse findet?

Wir bringen die FDP wieder auf die Siegerstrasse, weil die Wähler merken werden, dass wir als Volkspartei zu allen Themen Lösungen bieten, unabhängig vom herrschenden Zeitgeist. In unserer Enkelstrategie nehmen wir uns der Altersvorsorge, der Sicherung der Lebensgrundlagen und der Sicherung der Arbeitsplätze an – gerade in der Coronakrise ein grosses Thema. Aber wir müssen wieder stärker auf die Menschen zugehen und auch besser erklären, warum private Initiative und Unternehmertum zur Wohlfahrt von allen beiträgt und dem Staat erst ermöglicht, den Leuten unter die Arme zu greifen – wie es die Schweiz heute in der Coronakrise tut.

Sollte die FDP mehr tun in der Gesellschaftspolitik?

Wir engagieren uns schon stark. So kämpfen wir seit Jahren für die Individualbesteuerung. Das ist ein zentrales Instrument für die Gleichstellung von Mann und Frau. Wir sind für die Ehe für alle. Zudem haben wir nun gerade einen Vorstoss eingereicht, der verlangt, dass die Mädchen besser an die naturwissenschaftlichen Fächer herangeführt werden.

Beim Vaterschaftsurlaub war die Partei gespalten. So profiliert man sich nicht.

Wir sind eine Partei, die interne Diskussionen zulässt. Die FDP war eigentlich für eine flexible Elternzeit, das wäre die fairste Lösung. Der Vaterschaftsurlaub war ein Kompromiss, der nicht alle Freisinnigen überzeugt hat.

Die Liberaldemokraten haben sich in Basel-Stadt gut gehalten. Was machen sie besser als die Freisinnigen?

Sie sind nahe dran an den Menschen. Und bei der Planung des politischen Nachwuchses sind uns die Liberaldemokraten einen Schritt voraus.

Einige Mitglieder der Fraktion finden, die FDP sei manchmal zu still. In wichtigen Themen höre man zu wenig von ihren Exponenten.

Wir sind oft in der Kommunikation zu differenziert. Da müssen wir noch pointierter und klarer auftreten. Aber das liegt nicht nur an der Parteileitung. Es sind alle Mitglieder der Fraktion gefragt. Sie sind Vorbilder in ihren Kantonen und mitverantwortlich für Erfolg und Niederlage.

Bei der Konzernverantwortungsinitiative – zieht da die FDP den Kopf ein? Die Forderung scheint in weiten Kreisen populär.

Im Gegenteil, wir kämpfen an vorderster Front gegen diese Initiative. Unsere Mitglieder lehnen sie am deutlichsten von allen ab. Wir sind für den griffigen Gegenvorschlag, der das gleiche Ziel verfolgt, aber einen anderen Weg einschlägt.

Wie gewinnt man eine Volksabstimmung über den Rahmenvertrag, wenn die Rolle des Europäischen Gerichtshofs so bleibt, wie sie vorgesehen ist? Die SVP wird eine Kampagne aufziehen, die vor der Aufgabe der Eigenständigkeit der Schweiz warnt.

Ihre Frage kommt zum falschen Zeitpunkt. Warten Sie ab, bis wir wissen, wie das Rahmenabkommen am Ende aussehen wird. Dann können wir die Frage gerne nochmals diskutieren.

Sie sind Parteipräsidentin seit 2016. In der Schweizer Politik gibt es kein härteres Amt. Wie lange füllen Sie es noch aus?

So lange ich Freude daran habe, so lange ich meinen Beitrag leisten kann zu einer liberalen Schweiz und natürlich, so lange mich die Mitglieder unterstützen.

FDP-Chefin Petra Gössi

Petra Gössi, 44, ist Juristin und arbeitet als Rechts-, Steuer- und Unternehmensberaterin in Zürich. Die Schwyzerin war von 2004 bis 2011 Kantonsrätin, ab 2008 war sie Fraktionschefin der FDP. In den Nationalrat wurde Gössi 2011 gewählt. Die freisinnigen Delegierten wählten sie 2016 zur Parteipräsidentin.