
Soll ich die Enkel noch hüten? – Aargauer Experten beantworten die wichtigsten Leserfragen
90 Minuten haben sich Benedikt Wiggli (Kantonsspital Baden) und Christoph Fux (Kantonsspital Aarau) gestern Zeit für die Fragen der AZ-Leserinnen und Leser genommen. Kaum legten sie den Hörer auf, klingelte das Telefon erneut. Die beiden haben die Fragen geduldig beantwortet.
Fragen zum Alltag:
Kann ich die Post bedenkenlos aus dem Briefkasten nehmen oder die Einkaufswägeligriffe berühren?
Wiggli: Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass sich Menschen über sogenannte unbelebte Oberflächen angesteckt haben. Waschen Sie sich einfach immer gut die Hände. Wichtig ist: Es geht jetzt hauptsächlich darum, sich nicht in grossen Bevölkerungsmassen zu exponieren. Zu werweissen, ob der Pöstler infiziert gewesen sein könnte, würde zu weit führen.
Wie lange trägt man das Virus in sich, bis es ausbricht?
Wiggli: Nach dem Kontakt mit dem Corona-Virus braucht es maximal 14 Tage, bis es ausbricht. Im Schnitt macht sich die Infektion nach fünf Tagen bemerkbar. Die Symptome sind vielfältig. Klassisch sind Fieber und Husten, es können aber auch nur Schnupfen und Halsweh sein.
Ich habe Halsweh. Was soll ich tun?
Wiggli: Wenn es Ihnen sonst gut geht, bleiben Sie zu Hause und behandeln sie es wie eine Erkältung. Gehen Sie erst wieder unter die Leute, wenn Sie 24 Stunden ohne Symptome waren. Und wenn es Ihnen schlechter geht, rufen Sie den Arzt oder das Spital an. Wichtig: Gehen Sie nicht unangemeldet vorbei.
Kann ich beim Hausarzt einen Test machen lassen?
Fux: Im Moment noch nicht. In den nächsten Tagen werden aber alle Spitäler, Rehabilitationskliniken und auch Hausärzte im Aargau den Test machen können.
Wann werde ich getestet?
Fux: Wenn Sie erkranken und vorher engen Kontakt zu einem nachgewiesenen Corona-Patienten hatten, wenn Sie im Gesundheitswesen mit Patientenkontakt arbeiten oder wenn Sie so krank sind, dass sie ins Spital müssen.
Ich habe nächste Woche eine Darmspiegelung zur Krebsvorsorge. Soll ich den Termin verschieben?
Fux: Ich rate Ihnen, den Termin wahrzunehmen, weil die Gefahrensituation mutmasslich noch monatelang andauern wird. Es ist wichtig, solche Voruntersuchungen durchzuführen, und die Spitäler und Praxen achten darauf, die Patienten nicht einem unnötigen Ansteckungsrisiko auszusetzen.
Ich habe Angina Pectoris, eine Erkrankung der Herzkranzgefässe. Morgen haben meine Frau und ich zwei befreundete Paare eingeladen. Sollen wir das absagen?
Wiggli: Es gibt Unsicherheiten, wie viele Personen noch aufs Mal zusammenkommen sollen. Meiner Meinung nach soll man sich im familiären Rahmen und unter Freunden nicht zu sehr einschränken. Ein Treffen im kleinen Rahmen ist in Ordnung. Aber Ihre Freunde sollten besser nicht vorbeikommen, wenn sich jemand krank fühlt.
Meine Tochter ist schwanger. Besteht für Sie oder das Kind ein besonderes Risiko?
Wiggli: Im Moment gibt es keine Hinweise darauf, dass Corona-Infektionen bei Schwangeren zu schwereren Verläufen führen oder das Ungeborene schädigen. Ihre Tochter muss sich deshalb nicht anders verhalten oder besonders vorsichtig sein.
Mein Kind ist krank. Ich bin in der Pflege tätig, fühle mich selber aber gut. Kann ich arbeiten gehen?
Fux: Ja, solange Sie keine Symptome zeigen.
Ich habe Sarkoidose/Ich habe multiple Sklerose. Bin ich besonders gefährdet?
Wiggli/Fux: Das kommt darauf an, ob Ihre Lunge wegen der Krankheit eingeschränkt ist oder nicht, was Ihr Risiko bei einer Corona-Infektion erhöhen würde. Weiter ist entscheidend, welche Medikamente Sie nehmen. Wenn die Medikamente das Immunsystem schwächen, müssen Sie besonders vorsichtig sein, was den Kontakt mit grösseren Menschenmengen angeht und auf gute Händehygiene achten.
Ich habe gehört, dass Menschen mit hohem Blutdruck besonders gefährdet sind. Stimmt das?
Fux: Einen hohen Blutdruck alleine sehe ich nicht als besonderes Risiko. Gefährdet ist, wer ein vorgeschädigtes Herz oder eine vorgeschädigte Lunge hat, beispielsweise durch einen Herzinfarkt. Auch Zuckerkrankheit stellt ein Risiko dar.
Darf ich als Risikopatient noch ins Fitnesscenter?
Wiggli: Das Fitnesscenter ist ein Ort, wo potenziell viele Menschen zusammenkommen – auch Junge, die vielleicht selbst dann trainieren, wenn sie krank sind. Auch hier müssen Sie abwägen, wie stark ihre Vorerkrankung ist und wie sehr Sie sich in den nächsten Monaten in Ihrem Alltag einschränken möchten. Es ist sicher ratsam, nicht zu den Stosszeiten hinzugehen, und sich vor- und nachher gut die Hände zu waschen.
Ich gehe immer am Freitag zum Coiffeur. Mein Sohn findet, das sei zu waghalsig.
Fux: Ich würde das nach wie vor machen. Sie müssen damit rechnen, dass die Gefahr durch das Virus erstens in den nächsten Wochen grösser wird und zweitens über Monate anhält. Da kann man sich nicht komplett abschotten. Sie können für den Weg aber Stosszeiten im ÖV meiden und nach der Ankunft immer die Hände waschen. Jeder muss Selbstverantwortung übernehmen. Wer krank ist, soll sich so verhalten, dass er niemanden ansteckt.
Taugt die Mischung aus 50 Prozent Industriealkohol und 50 Prozent Wasser als Desinfektionsmittel?
Wiggli: Der Alkoholgehalt in dieser Lösung wäre eher zu gering, um zu desinfizieren, und der Alkohol trocknet die Haut aus. Besser ist, die Hände gründlich und mit Seife zu waschen – 90 Sekunden lang. Das tötet das Virus gut ab.
Reicht es, das Geschirr in der Spülmaschine bei 50 °C zu reinigen?
Wiggli: Das ist absolut ausreichend.
Fragen zum Thema Grosseltern:
Sollen wir die Enkel noch hüten?
Fux: Kinder sind enorm exponiert, weil sie mit vielen Personen in Kontakt sind in der Kita oder der Schule. Ausserdem zeigen sie bei einer Infektion oft nur geringe Anzeichen. Sobald die Kinder irgendwelche Symptome haben, auch ganz banale wie einen «Schnudderi», sollte man sich als Grosseltern nicht exponieren. Das gilt insbesondere dann, wenn die Grosseltern zusätzlich zum fortgeschrittenen Alter eine Erkrankung haben, die das Risiko erhöht. Es ist eine Abwägung, die man treffen muss – auch im Hinblick darauf, dass die Lage in den kommenden Wochen und Monaten eher schlimmer wird als besser. Solange die Enkel gesund sind, würde ich persönlich das Risiko eingehen und sie hüten – unter der Voraussetzung, dass eine andere Betreuungsmöglichkeit zur Verfügung steht, sobald sie krank werden. Wenn es gar nicht anders geht, dann sollte man als Risikopatient einfach darauf achten, einen gewissen Abstand zu wahren und nicht gerade mit dem Kind zu kuscheln.
Mein Mann (75) hat MS. Sollen wir die Enkel noch hüten?
Fux: Die Atemreserve Ihres Mannes ist durch die Krankheit eingeschränkt. Bekommt er eine Lungenentzündung, ist er sehr viel schneller gefährdet. Deshalb ist er schon ein Risikopatient, der sich besser nicht exponieren sollte. Ich würde vorschlagen, dass die Enkel sicher nicht kommen, wenn sie irgendwelche Symptome haben. Und im Zweifelsfall sollten nur Sie die Enkel hüten und – falls möglich – zu den Enkeln nach Hause gehen.
Stimmt es, dass Kinder besonders ansteckend sind?
Fux: Eigentlich nicht. Kleinkinder haben einen schwachen Hustenstoss und niesen nicht so stark, da verteilen sich die Tröpfchen weniger als bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Aber: Kleinkindern kommt man körperlich näher, man hat sie auf dem Schoss oder trägt sie herum – mit einem Fünfzehnjährigen macht man das nicht.
Fragen zum Thema Reisen:
Wir fliegen am Montag nach Marokko. Sollen wir am Flughafen eine Schutzmaske tragen?
Wiggli: Nein. Wenn Sie gesund sind, bringt eine Schutzmaske nichts. Die Masken sind für die kranken Menschen da, damit diese das Virus beim Husten nicht weitergeben können.
Wie kann ich mich im Flugzeug schützen?
Wiggli: Verzichten Sie auf Händeschütteln und versuchen Sie, Abstand zu halten. Das ist im Flugzeug ein bisschen schwierig, ich weiss. Das Wichtigste ist auch in dieser Situation, regelmässig und gründlich die Hände mit Seife zu waschen und – wenn Sie ein Desinfektionsmittel haben – dieses zusätzlich zu verwenden.
Mein Mann und ich (70 und 75) haben eine viertägige Carreise in Bayern gebucht. Sollen wir die Reise besser absagen?
Wiggli: Im Moment ist es so, dass es auch in Deutschland – und gerade in Süddeutschland – Übertragungen gibt. Dazu kommt: Bei einer Carreise ist man während längerer Zeit auf doch engem Raum mit verschiedenen Personen, von denen man nicht genau abschätzen kann, wer verschnupft ist und wer nicht. In der aktuellen Situation würde ich Ihnen deshalb eher von der Reise abraten, damit Sie sich nicht unnötig in Gefahr bringen. Auch weil Sie in Ihrem Alter zur Risikogruppe gehören.
Mein Mann und ich (72 und 66) möchten nächste Woche vier Tage ins Engadin mit dem ÖV. Wir sind unsicher, ob wir gehen sollen.
Fux: Das ist eine schwierige Frage. Wir gehen davon aus, dass es überall in der Schweiz mehr Fälle geben wird. Ich kann Ihnen nicht sagen: Gehen Sie nicht. Ich würde im Moment sicher nicht nach Italien, Spanien oder Frankreich reisen. Ins Engadin würde ich persönlich gehen. Aber das muss jeder für sich abwägen. Reisen Sie aber eher privat an und nur zu Randzeiten im ÖV –und waschen Sie regelmässig die Hände. Grundsätzlich gilt: Im Zweifelsfall zu Hause bleiben.