SVP-Präsidium: Martina Bircher zieht sich zurück – bekommt jetzt Glarner seine Kampfwahl gegen Heer?

Einen Moment lang sah es so aus, als ob in der SVP historisches passieren könnte. Martina Bircher, die 36-jährige Nationalrats-Newcomerin aus dem Aargau, schien auf dem Weg, die erste Präsidentin der grössten Partei der Schweiz zu werden.

Daraus wird wohl nichts. Bereits vor knapp drei Wochen hat Bircher der Findungskommission eine Absage für eine Kandidatur als SVP-Präsidentin erteilt. Sie sei erst seit sieben Monaten im Nationalrat und damit zu wenig erfahren, argumentierte sie. Vor allem aber führte sie ihren zweijährigen Sohn James-Henry als Hinderungsgrund für eine Kandidatur an, wie Informationen der «Schweiz am Wochenende» zeigen.

Findungskommission reagierte enttäuscht auf Absage

Eine hochrangige Quelle bestätigt die Absage. Die Findungskommission nahm sie enttäuscht zur Kenntnis. Sie hätte dem Parteileitungsausschuss gerne auch eine Frau als potenzielle Nachfolgerin von Albert Rösti präsentiert – weil es noch nie eine SVP-Präsidentin gab.

Damit zeichnet sich an der Delegiertenversammlung der SVP vom 22. August in Brugg ein Duell ab zwischen den Nationalräten Andreas Glarner (57, AG) und Alfred Heer (58, ZH). Sie sind übrig geblieben nach den acht Anhörungen, welche die Findungskommission geführt hat. An ihrer nächsten Sitzung wird sie noch weitere Kandidaturen erwägen.

Eine neue Generation von SVP-Vertretern

Die Absage von Martina Bircher hat sich abgezeichnet. Die Aargauerin gehört zur neuen Generation der SVP-Vertreter. Ihr sind Familienaspekte zentral. Bircher teilt sich die Betreuung ihres Sohnes James-Henry mit ihrem Partner auf. Zwei Tage pro Woche betreut sie ihn, einen Tag ihr Partner – und zwei Tage verbringt er in der Kita.

Martina Bircher in ihrem Garten.

Martina Bircher in ihrem Garten. © Fabio Baranzini

In einem Interview mit der «Aargauer Zeitung» vom 15. Juli hatte Bircher ihre persönlichen Prioritäten sehr deutlich herausgestrichen. «Die Familie kommt zuerst», sagte sie. Deshalb habe sie letztes Jahr als Regierungsratskandidatin abgesagt. «Mit einem zweijährigen Kind geht so ein Amt nicht.» Das kenne sie von ihrem Vater her.

Bircher: «Die Familie kommt bei mir an erster Stelle»

Dieser war Metzger und führte später ein Restaurant. Er arbeitete von früh bis spät, sechs Tage in der Woche. Und am Sonntag machte er das Büro. Martina Bircher war es sich gewohnt, nur mit ihrer Mutter in die Ferien zu fahren. «Mein Vater hat immer gearbeitet», sagte sie im Interview. «Das will ich nicht. Ich will, dass mein Kind etwas hat von Vater und Mutter.»

Sie stehe nach wie vor zu den Aussagen in der «Aargauer Zeitung», sagt Bircher – und betont: «Die Familie kommt bei mir an erster Stelle – und ein Kind braucht Vater und Mutter.» Was sie der Findungskommission gesagt hat, will sie dennoch nicht verraten. «In Absprache mit der Kommission nehme ich weiterhin keine Stellung.»

Dass in der grössten Partei der Schweiz neue Wertvorstellungen Einzug halten, beweist auch das Beispiel von Marcel Dettling (39). Der Schwyzer Bauer und Nationalrat gilt eigentlich als Wunschkandidat Nummer eins des engsten Kreises der Partei für das Präsidium. Doch Dettling hat der Findungskommission nun «definitiv abgesagt», wie er betont. Der Posten ist nicht mit seinem Familienleben vereinbar. Seine drei Kinder Julia, Eliane und Remo sind zu jung dafür.

Die Findungskommission will kein Co-Präsidium

Die Genfer Nationalrätin Céline Amaudruz brachte gar die Idee eines Co-Präsidiums aus der Deutsch- und Westschweiz auf das Tapet, wie es die SP mit Cédric Wermuth und Mattea Meyer realisiert. Amaudruz wäre bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie die Last des Amtes auf zwei Schultern hätte verteilen können und damit eine ausgewogenere Balance zwischen Beruf und Privatleben möglich geworden wäre. Das ging der Findungskommission aber zu weit.

Auch Geld wurde zum Thema. Eigentlich ein No-Go in der SVP, die ihrem Parteichef seit 2009 keinen Lohn mehr bezahlt. Die Partei gilt als strikte Verfechterin des Milizprinzips. Das ist aber selbst parteiintern nicht völlig unbestritten. Nicht alle gehandelten Kandidaten waren bereit, das Amt zum Nulltarif auszuüben. Ständerat Werner Salzmann soll auf eine angemessene Entschädigung gepocht haben. Als sie nicht gewährt wurde, entschied er, sich auf sein Ständerats-Mandat zu konzentrieren.

Auch wenn keine Frau zur Wahl steht, könnte es am 22. August an der Delegiertenversammlung in Brugg trotzdem zu einer historischen Präsidentenwahl kommen. Dann nämlich, wenn der Parteileitungsausschuss entscheidet, mit Andreas Glarner und Alfred Heer ins Rennen zu steigen. 

Glarner hat schon früh für einen Zweiervorschlag mit Heer plädiert: «Es wäre gut, wenn die SVP-Delegierten wieder einmal eine Auswahl hätten. Wir sind ja nicht die KPdSU.» Damit spricht Glarner die kommunistische Partei der ehemaligen Sowjetunion an.

Kommt es in der SVP erstmals zu einer Kampfwahl?

SVP-Präsident Adolf Ogi (Mitte) wird 1987 von der SVP des Kantons Bern einstimmig zum Bundesrats-Kandidaten gewählt.

SVP-Präsident Adolf Ogi (Mitte) wird 1987 von der SVP des Kantons Bern einstimmig zum Bundesrats-Kandidaten gewählt. © Keystone

Damit käme es erstmals in der Geschichte der SVP zu einer Kampfwahl. Bisher hatte die Ausmarchung um das Amt stets im Vorfeld der Delegiertenversammlung stattgefunden. Die Präsidenten wurden dann über Einzelkandidaturen gewählt: von Fritz Hofmann (1976-84) über Adolf Ogi (1984-88), Hans Uhlmann (1988-95), Ueli Maurer (1996-2008), Toni Brunner (2008-16) bis zu Albert Rösti (2016-20).

Das war selbst 1971 nicht anders. Zwar gab es am 19. September 1971 harte Widerstände gegen das Zusammengehen der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) mit den Bündner und Glarner Demokraten. Eine BGB-Minderheit wollte eine Fraktionsgemeinschaft mit der FDP.

Strahlen um die Wette: Hans Conzett (ganz rechts) ist an diesem 18. Dezember 1971 erster Präsident der neuen SVP geworden. Ganz links freut sich Bundespräsident Rudolf Gnägi mit ihm.

Strahlen um die Wette: Hans Conzett (ganz rechts) ist an diesem 18. Dezember 1971 erster Präsident der neuen SVP geworden. Ganz links freut sich Bundespräsident Rudolf Gnägi mit ihm. © Keystone

An der konstituierenden Gründungsversammlung der SVP in Zürich gab es dann aber keine Diskussionen mehr. Hans Conzett, der Präsident des Gründungskomitees, schlug einen Kosmopoliten und Verleger vor als ersten Präsidenten der neuen SVP. Jenen Mann, der als BGB-Präsident auch den Zusammenschluss mit den Demokraten durchgedrückt hatte: sich selbst.

Die Delegierten hätten die Wahlvorschläge «unbestritten und mit Beifall» übernommen, vermeldete die Morgenausgabe der NZZ vom 20. Dezember 1971. Hans Conzett war erster Präsident der neuen SVP.

Präsidium: Die SVP-Delegierten wählen am 22. August

Seit dem 1. Februar prüft und beurteilt die Findungskommission unter der Leitung von Caspar Baader die Kandidaturen, die für die Nachfolge von Präsident Albert Rösti eingegangen sind. Die Kommission ging auch selbst auf potenzielle Kandidierende zu. Nach diversen Absagen sind die Kandidaturen von Andreas Glarner und Alfred Heer übrig. Die Findungskommission will noch diskutieren, ob es weitere Kandidaten gibt. Dann unterbreitet sie ihre Kandidatenliste dem Parteileitungsausschuss. In der Folge entscheidet das höchste Gremium der SVP, mit welchem Kandidatenvorschlag es vor die Delegiertenversammlung tritt, die am 22. August in Brugg stattfindet. «Zu Personen und Daten sage ich nichts», hält Caspar Baader fest, Präsident der Kommission. Die Kommission werde die Öffentlichkeit informieren, wenn sie die Kandidaturen der Parteileitung unterbreitet habe. (att)