
«Swissness» nach Vorgaben der EU?
Die Schweiz hat seit Jahrzehnten eine harte Währung und trotzdem ist sie eine starke Exportnation mit Handelsüberschuss. Solange der Frankenkurs nur langsam steigt, lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit mithilfe von Innovation und Rationalisierung hochhalten. Aber, wenn der Franken – wie im Nachgang der Finanzkrise von 2008 – explosionsartig an Wert gewinnt, sind Notstandsszenarien nötig.
Ein Mindestkurs des Frankens gegenüber dem Euro von 1,20 bremste die Negativspirale und brachte etwas Ruhe. Die hielt auch an, als die Nationalbank ihren Mindestkurs aufgab und seither versucht, den Franken mit Minuszinsen für Spekulanten und Anleger weniger attraktiv zu machen.
Dennoch, die Produktion in der Schweiz zu halten, ist eine Herkulesaufgabe. Dieser stellen sich längst nicht alle Unternehmer, wie der Blick in die Exportstatistik zeigt. Der klassische Industriesektor (ohne Pharma) hatte 2018 am Exportvolumen nur noch einen Anteil von 14 Prozent. Vor der Finanzkrise waren es 21 Prozent. Insbesondere grosse Unternehmen haben ihre Produktion mehr und mehr ins Ausland verlagert. Mit Fabriken in den Absatzmärkten sind sie kaum mehr einem nennenswerten Währungsrisiko ausgesetzt.
Tapfer für den Produktionsstandort Schweiz gekämpft hat die Wernli AG in Rothrist. Sie, die seit 1932 Verbandstoffe produziert, fällt immer wieder mit innovativen Produkten – beispielsweise für den Sportbereich – auf. So und mit Rationalisierungsmassnahmen haben die Rothrister dem harten Franken getrotzt. Nun aber zwingt sie die Politik in die Knie. 25 Arbeitsplätze werden nach Ungarn und damit in den EU-Raum verlagert.
Was ist geschehen? Ohne Rahmenabkommen sind Schweizer Unternehmer nicht mehr automatisch Nutzniesser eines privilegierten Zugangs zum EU-Binnenmarkt. Für Schweizer Medizinalproduktehersteller stand diese Türe bisher offen. Einzige Bedingung: Das Produkt musste in der Schweiz zugelassen sein. Ab Mai 2020 sind das– ohne Rahmenabkommen – Tempi passati. Eine neue EU-Verordnung tritt in Kraft, welche Schweizer Atteste nicht mehr automatisch anerkennt. Ohne Rahmenabkommen muss das EU-Zertifizierungs- und Zulassungsverfahren durchlaufen werden. Für die SVP reine Erpressung – für die Wernli AG ein kostspieliger Mehraufwand. Sie umgeht diesen, indem sie künftig in Ungarn produziert.
Beim Abschluss des Rahmenabkommens mit der EU – es setzt Rahmenbedingungen für die künftige Zusammenarbeit – steht nicht nur die SVP auf die Bremse. Die SP blockiert die Verhandlungen aus Gründen des Lohnschutzes.
Zurück zur Wernli AG. Die SVP Aargau bezeichnet die Medien-Meldungen zu den Problemen der Firma als Fake News. «Eine so einseitige und nicht vollständige Berichterstattung ist dazu geeignet, die Bevölkerung beim wichtigen Thema der Beziehungen mit der EU zu manipulieren», schreibt SVP-Parteisekretär und Essigfabrikant Pascal Furer. Was ist nicht korrekt? Die Wernli AG könnte ihre Produkte in der EU zertifizieren lassen – die Schweiz wiederum die EU-Zulassung akzeptieren, sodass eine zweite Zertifizierung entfällt, heisst es in der SVP-Medienrüge. Da reibt man sich die Augen: Die SVP will, dass EU-Zertifikate darüber entscheiden, was Schweizer Qualität, was Swissness ist? Ist das besser als ein Schiedsgericht, welches im Fall von Uneinigkeiten bei der Umsetzung bilateraler Abkommen über den Schweizer Gerichten steht?
Will die Schweiz – ohne EU-Mitgliedschaft – ungehinderten Zugang zum europäischen Markt, muss sie in den sauren Apfel des Rahmenabkommens beissen. Ein Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der unter allen Beteiligten für Augenhöhe und Mitsprache gesorgt hätte, ist 1992 auf Betreiben der SVP mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 50,3 Prozent an der Urne gescheitert. Eine wirtschaftliche Insel in Europa bleiben wollte die Schweiz dennoch nicht und schloss die Bilateralen ab.