Tobias Vogel und Andreas C. Brändle sind sich einig: «Roggwil ist für Lidl der falsche Standort»

Vor einer Flut an Lastwagen fürchtet sich die Region Zofingen. Bringen könnte diese das von Lidl Schweiz geplante Verteilzentrum in Roggwil. 710 Lastwagen und 520 Personenwagen-Fahrten soll der etwa 640 Meter lange Bau an Werktagen gemäss dem Verkehrsgutachten verursachen. Gegen das Grossprojekt auf dem 150 000 Quadratmeter grossen Gugelmann-Areal wehren sich deshalb die Gemeinde Rothrist und der Regionalverband Zofingenregio. Beide haben je eine Eingabe eingereicht. Denn bis zum 25. November lief in der Gemeinde Roggwil eine öffentliche Mitwirkung zur Zonenplan- und Baureglementsänderung (wir berichteten). Neun Eingaben gab es gemäss Herbert Schnetzler, Fachbereichsleiter Bau und Betriebe der Gemeinde Roggwil. Drei Eingaben reichten Privatpersonen ein und sechs Eingaben gab es von Institutionen und Vereinen – dazu gehört auch die des Regionalverbands Zofingenregio. Im Gespräch erklären Tobias Vogel, Regionalplaner des Regionalverbands Zofingenregio, und Andreas C. Brändle, Wirtschaftsförderer für die Region Rothrist-Oftringen-Zofingen, weshalb sich ihrer Ansicht nach Roggwil für das Lidl-Grossprojekt nicht eignet. Beide machen sich für eine engere Zusammenarbeit über die Kantons- und Gemeindegrenzen stark.

Tobias Vogel, sind Sie als Regionalplaner gegen Logistikleistungen?
Tobias Vogel:
Im Gegenteil! Wir sind aufgrund unseres Lebensstils auf Dienstleistungen der Transportbranche, Logistik und Distribution angewiesen. Die Herausforderung besteht darin, optimale Standorte zu finden und der Branche zugänglich zu machen.

Weshalb hat dann der Regionalverband eine Eingabe gegen das Lidl-Projekt gemacht?
Aus drei Gründen. Erstens ist der Standort aus raum- und verkehrsplanerischer Sicht ungeeignet, weil er in grosser Entfernung zu den Autobahnanschlüssen liegt. Zweitens beeinträchtigen die Lastwagenfahrten grossflächig Wohnquartiere unserer Mitgliedsgemeinden, was den regionalen Interessen widerspricht. Und drittens ist aufgrund der Dimension des Vorhabens und der Nähe zu drei Nachbarkantonen eine überkantonale Zusammenarbeit nötig. Diese ist gesetzlich vorgeschrieben, im vorliegenden Fall jedoch noch nicht erfolgt.

Gibt es unter den 16 Aargauer und Luzerner Gemeinden, die Zofingenregio angehören, einen Pakt?
Die Gemeinden haben im regionalen Entwicklungskonzept vereinbart, neue güterverkehrsintensive Nutzungen ausschliesslich an Standorten zuzulassen, die direkt ab der Autobahn und ohne Beeinträchtigung von Wohnquartieren erschlossen werden können. Der Standort in Roggwil erfüllt diese Bedingung nicht, sondern führt zu einer Lastwagenflut und zu einer grossflächigen Beeinträchtigung von Wohnquartieren in Murgenthal, Rothrist, St. Urban und Pfaffnau.

Was haben Sie im Vorgehen durch die Gemeinde Roggwil und den Kanton Bern vermisst?
Ganz allgemein vermisse ich die Sensibilität. Dass bei einem Vorhaben dieser Dimension unmittelbar an der Kantonsgrenze die Nachbarschaft informiert und einbezogen wird, wäre eigentlich selbstverständlich. Diese Kritik richtet sich vor allem an die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern, die das Verfahren eng begleitet.

Denken Sie, dass Ihre Einwendung etwas bewirken kann?
Ich hoffe es! Entscheidend wird aber sein, dass sich die Kantone Aargau und Luzern ins Verfahren einschalten.

Alle wollen nah einkaufen und schätzen Heimlieferdienste. Niemand will aber Logistikfirmen im Dorf haben. Gibt es eine Absprache zwischen den Kantonen?
Als Regionalplaner kann ich nicht für die Kantone sprechen. Meine Hoffnung ist, dass dieser Fall dazu beiträgt, dass die in einer Studie evaluierten Areale über die Kantonsgrenzen hinweg koordiniert werden. Dies, damit der Transport-, Logistik- und Distributionsbrache genügend Areale zur Verfügung stehen, die planerisch sinnvoll sind. Unter der Leitung der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz hat eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Kantone und der Transport- und Logistikbranche nämlich ein Kriterienset erarbeitet, um Logistikstandorte von überkantonaler Bedeutung zu finden. Der Standort Roggwil erfüllt diese Kriterien nicht.

Wie viele geeignete Standorte gibt es hierzulande überhaupt?
In der erwähnten Studie wurden in 19 Kantonen über 500 Areale geprüft. Die Kantone haben in der Folge jene Flächen ausgeschlossen, bei denen Konflikte mit den kantonalen Planungen bestehen. Übrig geblieben sind 183 Areale. Sie stellen aus planerischer und unternehmerischer Sicht potenzielle Logistikstandorte von überkantonaler Bedeutung dar und eignen sich potenziell für Vorhaben wie das geplante Verteilzentrum.

Andreas C. Brändle, als Wirtschaftsförderer schlägt bei Grossprojekten bestimmt Ihr Herz höher. Sehen Sie eine Möglichkeit, es in der Region unterzubringen?
Andreas C. Brändle:
In unserer Region haben wir kein passendes Areal, auf dem das Projekt Lidl realisiert werden könnte. Daher haben wir entsprechende Anfragen von Lidl auch abschlägig beantworten müssen.

Wie stehen Sie zum Lidl-Projekt?
Roggwil und der Kanton Bern sind frei in ihrer Ansiedlungspolitik, ich kritisiere weder deren Entscheidungen noch das Projekt. Kurzfristig mag diese Ansiedlung einige Arbeitsplätze in diese Gemeinde bringen, längerfristig jedoch auch die negativen Folgen. Die Abwägungen hierzu anzustellen ist nicht meine Aufgabe. Meiner Meinung nach ist Roggwil aber für das Lidl-Projekt der falsche Standort.

Das sehen aber Roggwil und der Kanton Bern ganz anders.
Das Gugelmann-Grundstück hat einen direkten Anschluss an die Eisenbahnlinie und deshalb eignet sich Roggwil vor allem für Unternehmen, die einen grossen Teil ihrer Lieferungen per Bahn vornehmen. Lidl Schweiz will nach eigenen Angaben aber 100 Prozent der An- und Auslieferungen über die Strasse vornehmen. Ein solches Verteilzentrum muss also direkt an die Hauptverkehrsachsen angeschlossen sein und gehört zwingend an die Ein- und Ausfahrt einer Autobahn. Roggwil liegt aber mindestens 10 Kilometer vom nächsten Autobahnanschluss Niederbipp entfernt. Täglich werden also weit über 10 000 Lastwagen-Kilometer über die Landstrassen gefahren, bis die Transporte nur mal auf der Autobahn sind. Diese Landstrassen-Kilometer müssen vermieden werden, oder zumindest alle auf den nächstliegenden Autobahnanschluss Niederbipp geführt werden.

Schön und gut, damit verlagern Sie das Problem aber einfach.
Das sehe ich anders. Ich erwarte, dass bei solchen Grossvorhaben Freude und Last gemeinsam getragen werden. Wer den Nutzen beansprucht, soll auch die daraus entstehenden Lasten übernehmen. Wenn aber über 70 Prozent des gesamten LKW-Verkehrs über die Nachbarkantone und hier über unsere Verbandsgemeinden Rothrist und Reiden geleitet werden soll, ohne dass diese daraus einen Nutzen haben, dann ist Lidl das falsche Projekt für den Standort Roggwil. Zudem erwarte ich bei solchen Grossprojekten von den Initianten den proaktiven Einbezug aller Mitbetroffenen in einer Frühphase des Projekts. Dieser ist zwar in den Vorgehensregeln enthalten, wird aber offensichtlich nicht eingehalten.

Ist das Ihr Appell für eine engere Zusammenarbeit über die Kantons- und Gemeindegrenzen?
Ganz klar, denn der Raumbedarf von Logistikunternehmen und Verteilzentren steigt. Um ideale Standorte zu finden, bedarf es einer übergeordneten Planung und allenfalls Einzonungen direkt entlang der Autobahn.

Gibt es dafür geeignetes Bauland in der Region Zofingen?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass kleinere Logistikunternehmen sich auch in der Region Zofingen noch in bestehende Bauten und Lagerhallen einmieten können. Bauland hingegen ist meines Wissens für Logistikfirmen kaum mehr verfügbar.