Todesfalle Littering: «Wie viele Tiere müssen noch sterben?»

NACHGEFRAGT BEI ERIKA WUNDERLIN, KANTONSTIERÄRZTIN

Frau Wunderlin, bleibt Hundeoder anderer Tierkot auf Landwirtschaftsland liegen, kommt Angst auf, die Nutztiere könnten krank werden. Wie «giftig» ist Hunde- und Katzenkot wirklich?

Erika Wunderlin: Er ist primär ekelerregend. Mit Kot verunreinigtes Grünfutter wird von Pflanzenfressern wie Kühen oder Ziegen mehr oder weniger stark gemieden, kann aber zu einer wirtschaftlichen Einbusse infolge Futterverlusts führen.

Wie rasch infiziert sich ein Tier?
In erster Linie sind Tiere der gleichen Art einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Ebenso haben Kühe, Schafe und Rinder ein grösseres Ansteckungsrisiko, wenn sie auf Weiden gehalten werden, die mit Gülle aus Stallungen, wo Artgenossen gehalten wurden, gedüngt werden. Es gibt auch gewisse Krankheitserreger, die von Hunden und Katzen auf Nutztiere übertragen werden können. Dazu gehören vor allem parasitäre Krankheiten. Hunde, Katzen, Marder und Füchse können Bandwurm-Eier ausscheiden und für Bauern einen wirtschaftlichen Schaden ergeben. Seit die Heimtiere mit hygienisiertem Futter gefüttert werden, sind die Übertragungen von Bandwurmeiern eher selten geworden. Dasselbe gilt für bakterielle Erkrankungen wie die Salmonellose.

Beunruhigender und gefährlicher ist also Abfall. Zum Beispiel Alubüchsen, die aus dem fahrenden Auto geworfen werden.
Weggeworfene Gegenstände können gefährlich werden. Kühe nehmen relativ grosse Mengen an voluminö- sem Futter zu sich und daraus entsteht die Gefahr, dass futterfremde Gegenstände abgeschluckt werden. Unter Umständen können die Verletzungen lebensbedrohlich werden. Besonders gefährlich sind lange und scharfe Gegenstände wie Blechstücke, Drahtstücke, Nägel, Glas.

Wie häufig ist dieses Problem?
Der Veterinärdienst führt keine Statistik über Ansteckungen oder Verletzungen durch weggeworfene Gegenstände. Sicher ist: Littering kann bei viel befahrenen Strassen zu einer Gesundheitsgefährdung bei den Weidetieren führen. Das Problem führt beim Landwirt, auch ohne verletzte Tiere, oft zu Mindereinnahmen, beispielsweise deshalb, wenn er den Zaun deshalb weiter weg von der Strasse aufstellen muss. 

Die Kantonstierärztin Erika Wunderlin aus dem Fricktal leitet den kantonalen Veterinärdienst seit 1998. Sie tritt per Ende März in den vorzeitigen Ruhestand.

Die Wegwerfgesellschaft wächst weiter. Täglich. Sehr zum Leidwesen von Landwirten und ihren Tieren. Erst vor wenigen Tagen musste in Bottenwil wieder ein junges Rind notgeschlachtet werden, weil es Futter frass, das mit Alusplittern versehen war. Das Tier erlitt innere Blutungen.

Bottenwil ist kein Einzelfall. Immer öfter müssen Landwirte den Notarzt rufen. «Seine Tiere so zu verlieren ist eine Katastrophe und ein grosser Verlust, auch emotional», sagt Christian Glur, Landwirt und SVP-Grossrat aus Glashütten. «Unsere Wiesen verkommen immer mehr zu Abfallhalden», stellt Glur fest. «Es wird jedes Jahr mehr.» Er und seine Mitarbeiter hätten jeden Tag Clean-up-Day, nicht nur einmal im Jahr, wie es eine nationale Kampagne vorsieht. Bevor Glur jeweils Gras mäht oder seine Tiere ins Freie lassen kann, trägt er kiloweise Abfall aus seinem Kulturland zusammen. So wie ihm ergeht es den meisten Landwirten in der Schweiz.

Selektive Fresser, aber …
«Kühe fressen auf dem Feld keine Büchsen», sagt Ralf Bucher, Geschäftsführer des Bauernverbandes Aargau. «Sie sind selektive Fresser.» Trotzdem haben die Wiederkäuer das Ziel, in möglichst kurzer Zeit viel zu verschlingen und es später in aller Ruhe zu verwerten. «Das hat zur Folge, dass sie Scherben und Spitter im Futter nicht ausscheiden können und sich dadurch innere Verletzungen zuziehen», sagt Ralf Bucher.

Vor fast zwei Jahren scheiterte ein Anlauf für eine nationale Litteringlösung und einem einheitlichen Bussenkatalog. Deshalb reichte Grossrat Ralf Bucher (CVP) zusammen mit weiteren Ratsmitgliedern eine Motion ein, die ein kantonales Litteringverbot und Bussen bis 300 Franken forderten. «Die Regierung wollte dies nicht», sagt Bucher. Der Rat überwies die Motion trotzdem mit 61:54 Stimmen. «Nun muss die Regierung eine Vorlage ausarbeiten, die noch dieses Jahr in die Vernehmlassung gehen wird», freut sich Bucher. «Wir streben eine kantonale Lösung an, damit nicht jede Gemeinde etwas anderes regelt.»

Für Landwirt Christian Glur sind 300 Franken Busse zu wenig: «1000 Franken wären angebracht, denn es muss den Verursachern richtig wehtun.» Er betont aber und weiss: «Hohe Bussen für Litteringsünder sind nur dann Erfolg versprechend, wenn es auch zweckmässige Kontrollen gibt.» Das Grundproblem der Litteringbussen liegt darin, dass man die Verursacher in flagranti erwischen muss. «Und das kommt selten vor, zu selten», sagen Glur und Bucher übereinstimmend.

Menschen sensibilisieren
Der Bauernverband Aargau startet in Kürze eine weitere flächendeckende Kampagne gegen Littering. «Wir müssen die Menschen sensibilisieren», ist Ralf Bucher überzeugt, «denn sie sind sich nicht bewusst, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf Tier und Mensch haben.» Statistiken, über die an Littering verstorbenen Tiere, gibt es kaum. Auch nicht beim Bauernverband Aargau. «Erhebungen machen nur Tierspitäler», weiss Ralf Bucher. Der Grund ist einfach. «Wenn ein Landwirt ein Tier notschlachten muss, dann will er nicht noch zusätzlich hohe Kosten für genauere Abklärungen ausgeben.» Der Verlust wiege auch so schon schwer genug.

Der Clean-up-Day 2018 ist Mitte September geplant. «Das Ziel muss es sein, nicht möglichst viele Helfer für diesen Tag zu finden, sondern die Zahl der Litteringsünder drastisch zu senken», sagt Ralf Bucher.