
Training in der Scheune: Auch den inneren Schweinehund freuts
Luca Murabito turnt auf dem Airtrack – eine luftgefüllte Bodenmatte – im Garten. (Bild: zvg) Luca Murabito turnt auf dem Airtrack – eine luftgefüllte Bodenmatte – im Garten. (Bild: zvg) Luca Murabito turnt auf dem Airtrack – eine luftgefüllte Bodenmatte – im Garten. (Bild: zvg)
Von aussen deutet nichts darauf hin, dass in einer Scheune von Gemüsebauer Widmer in Küngoldingen einer der besten Kunstturner des Landes trainiert. Hinter verschiedenen Arbeitsgeräten und Strohballen kommen aber plötzlich ein Barren und ein Pferdpauschen zum Vorschein. Noe Seifert ist am Trainieren und wird dabei von Frau Widmer und ihren beiden turnbegeisterten Söhnen beobachtet. Der Grössere steckt in einem Dress des Satus Oberentfelden-Rothrist-Oftringen (ORO), der Kleinere sitzt auf einem Holzkistchen und plumpst später slapstickmässig rückwärts ins selbige rein. Es mutet alles ein wenig bizarr an, aber Noe Seifert scheint sich mit der Situation arrangiert zu haben: «Ich bin jeden Tag ein bis zwei Stunden da und sehr froh um diese Möglichkeit.»
Das 21-jährige Mitglied des Schweizer Kunstturn-Nationalkaders aus Küngoldingen spricht von einem grossen Vorteil, momentan an Geräten trainieren zu können. Denn wegen der Corona-Pandemie ist das Sportzentrum in Magglingen, Seiferts eigentlichem Arbeitsort, vorübergehend geschlossen. «Im Vergleich zu Magglingen ist es nicht optimal, aber immer noch besser als gar nichts. Ich hoffe, dass ich dadurch nach dem Ende des Lockdowns schnell wieder auf mein gewohntes Niveau komme», sagt Seifert.
Winkelstütze und Spagat sind ihnen zu wenig
Eine wichtige Rolle in dieser Geschichte spielt Charly Zimmerli. Der Riegenleiter des Satus ORO wurde von Noe Seifert und dem Oftringer Luca Murabito, Mitglied des Junioren-Kunstturn-Nationalkaders, angefragt, ob eine Ausleihe von verschiedenen Turngeräten für den Eigengebrauch möglich sei. Mit ihrem Anliegen sind die talentierten Jungspunde, deren Karriere einst beim Satus ORO begann, bei Charly Zimmerli offene Türen eingerannt. «Sie wollen mehr machen als nur eine Winkelstütze oder einen Spagat, um den Verlust ihres Könnens in Grenzen zu halten. Ich helfe gerne mit, sodass sie beschäftigt und motiviert bleiben», sagt der Oftringer. Ausserdem gehe es ihnen auch darum, zwischendurch richtig auszuturnen sprich «den inneren Schweinehund rauszulassen».
So kam es, dass Charly Zimmerli an einem Nachmittag einen Barren und ein Pauschenpferd auf einem Anhänger zur Scheune des befreundeten Gemüsebauers transportierte. Seither bildet die temporäre Anlage für Noe Seifert und Luca Murabito eine ideale Ergänzung zum Trainingsprogramm, dass ihre Coaches zusammengestellt haben. Dieses fokussiert sich auf den Erhalt der Beweglichkeit und ist mit Kräftigungsübungen gespickt. Einheiten an Geräten sind mangels vorhandener Infrastruktur keine vorgesehen.
Noe Seifert versucht, das Beste aus der Situation zu machen. «Ich turne seit bald 16 Jahren und hatte noch nie eine solch lange Trainingspause», sagt der Mannschafts-EM-5. von 2018 . Neben den Einheiten in der Scheune geht er mit dem Hund spazieren oder unterstützt die Eltern im Garten. Und er bereitet sich auf die Abschlussprüfungen seiner kaufmännischen Ausbildung an der Sporthandelsschule in Biel vor. Wobei: «Wie die Prüfungen wegen der Pandemie ablaufen, ist noch unklar», sagt Seifert.
Training im Garten statt im Kunstturnzentrum
Manchmal ist auch Luca Murabito in der Scheune anzutreffen. Wie Noe Seifert schätzt der 17-Jährige diese Alternative sehr. «Es ist anders, aber super, um an Basiselementen zu arbeiten», sagt Murabito, der eigentlich im Aargauer Kunstturnzentrum in Niederlenz trainiert. Zu Beginn des Lockdowns hatte er Mühe damit, sich auf die neue Situation einzustellen. «Mein Respekt vor dem Verlust der Griffkraft war gross», sagt Murabito.
Seine Ängste sind inzwischen verflogen, auch dank Charly Zimmerli. Von ihm hat Murabito einen Airtrack – eine luftgefüllte Bodenmatte – erhalten, die er je nach Wetter im eigenen Garten aufstellt. Zusätzlich geht Murabito joggen, arbeitet mit einem Fitnessband oder setzt sich auf die Yogamatte. Auch die Schule kommt nicht zu kurz, wegen Corona wird der angehende kaufmännische Angestellte die Teilprüfungen des zweiten Lehrjahres aber wohl erst nach den Sommerferien schreiben müssen.
Keine Kontrollen, aber eine grosse Dankbarkeit
Charly Zimmerli hat auch einige jüngeren Riegenturner des Satus ORO mit einfachen Hilfsgeräten ausgestattet. Weil das Material Eigentum des Vereins ist, geht die Ausleihe unbürokratisch über die Bühne. «Wir haben uns aber mit dem Hauswart der Turnhalle abgesprochen, damit es einen offiziellen Charakter hat», sagt Zimmerli. Sorgen, dass die Geräte beschädigt zurückkommen, macht er sich keine. «Die Turner sind alle alt genug und wissen, wie sie damit umgehen müssen», sagt Zimmerli. Auch auf eine Trainingskontrolle bei «seinem» Nachwuchs, dem er regelmässig Übungsprogramme schickt, verzichtet Zimmerli. «Wenn der normale Betrieb wieder aufgenommen wird, sehe ich, wer etwas gemacht hat und wer nicht.»
Bei Charly Zimmerli überwiegt die Freude, dass er neben der eigenen Riege auch Noe Seifert und Luca Murabito unterstützen kann. «Das versuche ich sowieso das ganze Jahr hindurch», sagt er. Obwohl der Oftringer nicht mehr für die Nationalkaderturner zuständig ist, «ist mir wichtig, dass sie wissen, das ihr Verein jederzeit für sie da ist.» Sein Beistand kennt deshalb keine Grenzen. «Wenn Noe und Luca ein Ringgerüst brauchen, würde ich ihnen auch das besorgen», meint Zimmerli und lacht.