Trotz Widerstand von Links: Regierung muss Abstufung der Sozialhilfe prüfen

Soll ein 59-jähriger Schweizer, der seinen Job verloren hat und ausgesteuert wird, auch künftig gleich viel Sozialhilfe erhalten wie ein junger Flüchtling, der keinen Franken in die hiesigen Sozialwerke einbezahlt hat? Oder sollen die Ansätze der Sozialhilfe danach abgestuft werden, wie lange ein Bezüger zuvor schon AHV-Beiträge oder Steuern bezahlt hat?

Dies verlangten mit Martina Bircher (SVP, Aarburg), Renate Gautschy (FDP, Gontenschwil) und Susanne Voser (CVP, Neuenhof) drei bürgerliche Gemeindevertreterinnen mit einer Motion. Diese hätte die Regierung verpflichtet, eine Vorlage zur Abstufung der Sozialhilfe vorzulegen. Bircher nahm dem Vorstoss zu Beginn der Debatte einen Teil der Brisanz, als sie sagte, ihre Mitstreiterinnen seien bereit, die Motion in ein weniger verbindliches Postulat umzuwandeln.

«Spaghetti für alle gleich teuer»
Dennoch entwickelte sich eine emotionale Debatte, bei der unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention, die Bundesverfassung sowie kantonale Gesetze zitiert wurden. Es sei verfassungswidrig und widerspreche dem Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Diskriminierungsverbot, die Ansätze der Sozialhilfe nach Steuer- oder AHV-Jahren abzustufen, mahnte SP-Grossrätin und Rechtsanwältin Claudia Rohrer. «Die Spaghetti im Laden kosten auch für alle gleich viel: für einen jungen Flüchtling ebenso wie für einen alten Arbeitslosen», sagte Therese Dietiker für die EVP-BDP-Fraktion.

Kim Schweri (Grüne) kritisierte, eine Abstufung gemäss dem Vorstoss würde vorab Frauen treffen, die Kinder haben und deshalb einige Jahre nicht arbeiten, oder dann Junge, die gar keine AHV hätten zahlen können. Renata Siegrist (GLP) meinte, die Motion würde Ungleichheit bringen, ganz abgesehen davon, dass es um eine nationale Gesetzgebungskompetenz gehe. Lilian Studer (EVP) regte sich auf, dass nun ein Gesetz geändert werden solle, dessen letzte Revision noch nicht einmal in Kraft getreten sei.

Eine heftige Attacke gegen die Motionä- rinnen ritt SP-Grossrat Jürg Knuchel. Ihr Vorstoss sei populistisch, zynisch und menschenverachtend, weil er auf die Schwächsten der Gesellschaft ziele. Derweil forderte Severin Lüscher (Grüne), Menschen mit Integration in den Arbeitsmarkt aus der Sozialhilfe zu holen.

Gemeinden stark belastet
Martina Bircher (SVP) entgegnete, die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) sähen heute schon unterschiedliche Ansätze für verschiedene Gruppen von Bezügern vor. So erhielten zum Beispiel unter 25-Jährige weniger Sozialhilfe, argumentierte sie. Dies solle künftig auch für Menschen gelten, «die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben».

Adrian Schoop, FDP-Grossrat, Unternehmer und Gemeindeammann in Turgi, beschäftigt in seiner Firma selber drei Flüchtlinge. Es sei aber unmöglich, alle Zugewanderten in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sagte er. Schoop macht sich Sorgen, dass irgendwann das Geld in der Sozialhilfe nicht mehr reiche für die einheimischen Bedürftigen. «Das System ist von Schweizern für Schweizer geschaffen worden, ebenso wie für Ausländer, die seit Jahren in die Sozialwerke einzahlen.»

Eine der Gemeinden mit hohen Sozialausgaben ist Neuenhof, wo CVP-Grossrä- tin Susanne Voser als Gemeindeammann tätig ist. Voser warnte vor zunehmender Unruhe in der Bevölkerung, wenn die Menschen feststellten, dass 50- oder 60- Jährige gleich viel Sozialhilfe erhielten wie jene, «die das System ausnutzen».

Weniger emotional argumentierte Martina Sigg (FDP). Sie wies darauf hin, dass der neue Finanzausgleich zwar Geld für Gemeinden mit hohen Soziallasten vorsehe. Doch die Belastung steige, wenn die Flüchtlinge länger hier bleiben, und nur ein Teil werde vom Kanton ausgeglichen.

Schliesslich stimmte der Grosse Rat mit 80 zu 52 für die Überweisung des Postulats. Die Regierung muss nun prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, die Sozialhilfe abzustufen. Als verbindliche Motion wäre der Vorstoss wohl gescheitert, wie Bircher gegenüber der AZ einräumte: Sie habe im Vorfeld entsprechende Signale von FDP und CVP erhalten.