Über tausend Coronaskeptiker, Hunderte werden weggewiesen und ein Polizist verletzt: Das war die Demo in Aarau

Offiziell war die Coronademo von diesem Samstag ja verboten. Und genauso war sie von den Veranstaltern «offiziell», zumindest öffentlich und medienwirksam, abgesagt worden. Trotzdem geisterten in den vergangenen Tagen in den sozialen Medien und auf Telegram zahlreiche Aufrufe herum, doch nach Aarau zu kommen und zu demonstrieren. Die Aufrufe bezogen sich alle auf Aarau. Von Wettingen, wo ursprünglich auch eine Demo geplant war, war nichts zu hören. Und dort blieb es dann auch den Tag über ruhig.

In Aarau markierte die Kantonspolizei bereits am Morgen Präsenz. Am Bahnhof wurden Personenkontrollen durchgeführt, insbesondere bei denjenigen, die ohne Masken unterwegs waren. Und auch die Zufahrtsstrassen nach Aarau wurden kontrolliert, es kam zu Stau in fast alle Richtungen. Das Ziel der Polizei zu diesem Zeitpunkt war, möglichst viele Menschen daran zu hindern, überhaupt nach Aarau zu kommen, sagt Corina Winkler, Mediensprecherin der Kapo. Das gelang zumindest teilweise. Nach Angaben der Polizei wurden über 180 Personen weggewiesen. Wobei sich nicht alle Menschen an diese Wegweisung hielten. Ihnen drohen nun Anzeigen. Wie viele Menschen das betrifft, ist noch unbekannt.

Polizei und Demonstranten spielten Katz und Maus

Offenbar hätte die Demo etwa um 13 Uhr beginnen sollen. Am Vormittag und über den Mittag kam es zu einem regelrechten Katz-und-Maus-Spiel zwischen Demonstranten und der Polizei. Letztere markierte an möglichen Versammlungsorten – beim Telliring, auf dem Schlossplatz oder vor dem Regierungsgebäude – Präsenz und versuchte, erst gar keine Menschenansammlungen entstehen zu lassen. Und Erstere versuchten, sich in kleinen Gruppen irgendwo zu sammeln, wo gerade keine Polizei anwesend war. Bis sich genug sammeln konnten, dass die Polizei die Gruppe nicht mehr einfach auflösen konnte.

Das gelang etwa um halb zwei Uhr beim Parkplatz Obere Schanz. Eine kleinere Gruppe von etwa 30 Personen war auf dem Weg dorthin, als plötzlich aus allen Richtungen Menschen dazukamen. Schnell waren es mehrere hundert, die dort anwesenden Polizisten zogen sich leicht zurück.

Von da an begann ein Marsch kreuz und quer durch Aarau. Die Polizei spricht offiziell von 1500 Demonstranten. Solch grosse Massen sind extrem schwierig einzuschätzen, gerade wenn sie sich bewegen. Aber zwischenzeitlich machte es den Eindruck, als wären deutlich mehr Menschen unterwegs.

Demonstranten finden, sie seien in einer Diktatur

«Friede, Freiheit, keine Diktatur» oder «Liberté» schreiend und massig Lärm machend zogen die Menschen zuerst in die Altstadt. Zwischen Leuten, die einkauften oder auf den Terrassen einen Kaffee tranken, hindurch. Sie drehten mehrere Runden durch die Altstadt:

Zuerst hatte die Polizei noch versucht, den Zugang dorthin zu blockieren. Doch der Druck der Demonstranten wurde offenbar zu gross. Ein Polizist wurde dabei von einem Demonstranten mit einem Kopfstoss verletzt. Der Täter wurde mittlerweile vorläufig festgenommen und angezeigt, dem Polizisten geht es gut.

Nach diesem Vorfall hatte die Polizei entschieden, die Demonstranten passieren zu lassen. «Der Druck war zu gross», sagt Winkler. Um den Zugang zur Altstadt zu blockieren, hätten wir Zwangsmittel anwenden müssen.» Von den Demonstranten ging zu diesem Zeitpunkt nach Angaben der Kapo Gewaltbereitschaft aus, sodass «wir uns gegen einen Durchgriff entschieden. Unser Vorgehen ist immer auch dem Prinzip der Verhältnismässigkeit untergeordnet», sagt Winkler.

In der Folge wirkte es fast planlos, wie die Demonstranten durch Aarau zogen. Der Umzug wurde von der Polizei zwar in Ruhe gelassen, die Beamten sperrten aber immer wieder verschiedene Strassen ab und zwangen die Marschierenden so zu Richtungswechseln. Dabei kam es hin und wieder zu Handgemengen. Das Ziel der Polizei zu diesem Zeitpunkt war es, so Winkler, eine grössere Kundgebung an einem Ort zu verhindern. Auch das gelang.

Wobei es auf dem Schlossplatz kurzzeitig kritisch wurde. Die Polizei setzte Zwangsmittel ein.

Schliesslich marschierte der Tross in Richtung Schachen. Im Leichtathletikstadion setzten sie sich auf die Tribünen und sangen den Schweizerpsalm, während nebenan Junioren kickten. Von der Polizei fehlte zu diesem Zeitpunkt jede Spur:

Das ging etwa eine halbe Stunde so, bis doch plötzlich die Polizei auftauchte. Hier kam es nun zu brenzligen Situationen. Die Demonstranten kesselten Polizeiwagen ein und schlugen auf sie ein. Bis schliesslich etwa 15 Polizisten in Kampfmontur die Wagen befreiten und vor ihnen herliefen. Es kam zu mehreren Handgemengen, aber keinen weiteren Verletzten.

Wieder in Bewegung, marschierte der Tross in Richtung Zentrum. Die Gruppe war sehr heterogen zusammengesetzt. Den Fahnen und Dialekten nach waren Menschen aus der ganzen Schweiz nach Aarau gekommen. Grosseltern marschierten mit ebenso wie Familien mit Kleinkindern. Auch einige wenige Personen mit eindeutig rechtsradikalen T-Shirts liefen mit. Und auch einige der Organisatoren der «abgesagten» Demo waren vor Ort und liefen mit, etwa Markus Häni, Sprecher des Aktionsbündnisses Aargau-Zürich.

Hin und wieder wurden die Demonstranten selbst von Demogegnern angepöbelt. Auf dem Weg ins Zentrum zum Beispiel, von einer Gruppe Jugendlicher, die die Demonstranten als Nazis beschimpften. Beim Bahnhof von Ultras des FC Aarau. Und in der Altstadt stellte sich ein Anwohner den Demonstranten mit einem Schild in den Weg: «Ich höre nur Mimimimi.» Die Demonstranten würden nur jammern, sagte er. Dabei ginge es ihnen in der Schweiz vergleichsweise gut, konkrete Vorschläge, die Situation zu verbessern, hätte zudem keiner der Anwesenden.

Schliesslich kam der Umzug beim Bahnhof an. Erneut wurde es brenzlig: Die Polizei versuchte, den Weg zum Bahnhofplatz zu sperren, musste dann aber der Menschenmasse weichen.

Ein weiteres Mal liefen die Demonstranten im Kreis. Erneut auf dem Bahnhofplatz löste sich die Gruppe gegen 17 Uhr dann langsam auf. Um 17.30 Uhr war die Demo laut Kapo offiziell vorbei.

Die Polizei hatte zu keinem Zeitpunkt versucht, die Demonstration aufzulösen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, Strassen zu sperren und Versammlungen an Orten zu verhindern.

Illegaler Umzug, der grossmehrheitlich friedlich blieb

Der Umzug war illegal – aber grossmehrheitlich friedlich. Ein leicht verletzter Polizist und einige Handgemenge, so das Fazit des Tages. Auch als Journalist konnte man die Demonstrierenden begleiten und über die Geschehnisse berichten, ohne dass man um seine Sicherheit hätte fürchten müssen. Auch kam es kaum zu Sachbeschädigungen. Selbst ein Polizeiauto, das mitten in der Altstadt parkiert worden war, und um das stundenlang Demonstranten herumliefen, blieb unbeschädigt.

Auch die Kapo Aargau zieht ein einigermassen positives Fazit. «Zufrieden wären wir gewesen, wenn sich die Menschen an das Demoverbot gehalten hätten», sagt Winkler. Aber in Anbetracht der Umstände und auch in Anbetracht der Strategie, die man verfolgt hatte, sei man durchaus zufrieden. In der offiziellen Mitteilung schreibt die Kapo: «Die im Vorfeld angekündigte Grossdemonstration mit 4000 bis 5000 Teilnehmern wurde durch die Polizei verhindert. Gemäss Einschätzung der Kantonspolizei nahmen lediglich 1500 Personen an der verbotenen Veranstaltung teil.»

Bis am Samstagabend kam es zu einer vorläufigen Festnahme sowie sechs Anzeigen. Die Zahl der Anzeigen dürfte noch steigen, auch Bussen sind verteilt worden. Wie viele, kann die Polizei bis am Samstagabend noch nicht beantworten.

Die Demonstranten waren ohne Masken unterwegs. Das Netz wurde zudem geflutet mit Videos und Bildern der Demo. Werden die Menschen an der illegalen Demo nun alle angezeigt? Über das weitere Vorgehen müsse man noch beraten, so Winkler. Man stehe in engem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft.

 

Volkswirtschaftsdirektor Dieter Egli schreibt, der Regierungsrat bedaure «das unsolidarische Verhalten der Coronamassnahmengegner». Damit hätten sie die eigene Gesundheit und «vor allem» die Gesundheit der Mitmenschen gefährdet. Die Polizei habe «vernünftigerweise» darauf verzichtet, «die von demokratisch legitimierten Institutionen angeordneten Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Menschen im Kanton Aargau systematisch gewaltsam durchzusetzen», schreibt Egli weiter.